Widerstand gegen Giftmüll in Spanien: Die Enkel und das Dorf

Mit Wandbildern gegen Umweltverschmutzung: Wie sich das Dorf Fanzara in Spanien gegen eine Giftmülldeponie wehrte und sich dabei neu erfand.

Grafitti an einer Hauswand im spanischen Dorf Fanzara.

Kunst gegen die Deponie Foto: Pierre-Yves Marzin

People try to put us down – just because we get around. – Talkin’ 'bout my generation“, lärmen The Who bei jedem Anruf wie eine Art Lebensmotto aus dem Telefon von Javier López. Und die Anrufe sind zahlreich, seit der 49-Jährige Arbeitslose so eine Art Museumsdirektor geworden ist.

Zusammen mit einem Dutzend anderer aus dem 320-Seelen-Ort Fanzara in den Bergen der Provinz Castelló, unweit der Costa Azahar, einem der begehrtesten Urlaubsparadiese am Mittelmeer, erfand er das „Unvollendete Museum Urbaner Kunst“ (Miau). Im vergangenen Jahr verzierten so 22 (inter)nationale KünstlerInnen die kahlen Hauswände in dem Dorf mit 47 Graffitis und Wandmalereien.

Dieser Tage sind erneut 16 Künstler mit Spray, Pinsel und Farbrollen unterwegs, darunter Prominente wie Gonzalo Borondo, dessen überdimensionale Wandmalereien weltweit Aufsehen erregen. „Das Dorf der Kunst“ nennt die Presse den bis vor Kurzem völlig unbekannten Ort, der am Wochenende sein zweites Straßenkunstfestival veranstaltet.

Javier sitzt mit einer Handvoll Mitstreiter in der Bar d’Abajo, der Dorfkneipe an der kaum befahrenen Durchgangsstraße, dem informellen Hauptquartier des Miau. Die eintreffenden Künstler werden hier empfangen. Einwohner, die als Freiwillige helfen, kommen vorbei. Javier erzählt, wie alles anfing. Dabei ist zunächst weniger von Kunst die Rede als von etwas viel Profanerem: einer Mülldeponie.

Ohne Deponie kein Miau

„Ohne die Deponie hätte es das Miau nie gegeben“, sagt Javier. 2005 wollte die Provinzverwaltung der konservativen Partido Popular zusammen mit dem Bürgermeister gleicher Couleur das Tal unterhalb des Orts mit Haushalts- und Sondermüll aus Krankenhäusern aufschütten. „Wir protestierten, und 2011 übernahmen wir schließlich mit einem Bündnis von Unabhängigen und der Sozialistischen Partei die Gemeindeverwaltung“, so Javier. Vier derer, die heute das Miau veranstalten, zogen nach den Wahlen ins Rathaus ein. Die lokale Bevölkerung hatte ihnen den Widerstand gegen die Müllhalde gedankt. Die Konservativen mussten in die Opposition.

Fast alle, die für die Umwelt auf die Straße gehen, sind aus Javiers Generation. Doch anders als er lebten viele von ihnen schon lange nicht mehr am Ort. Oft waren bereits die Großeltern in Wirtschaftsmetropolen wie Barcelona abgewandert. Aber den Kontakt nach Fanzara hatten sie nie verloren. Sie kamen mit ihrem Eltern Jahr für Jahr in den Sommerferien, zu Dorffesten, zu Weihnachten und Ostern. Und auch die Enkelgeneration pflegte diese Tradition weiter. Und am Ende verteidigten sie Fanzara gegen Grundstücksspekulation und Müllkippe.

Einmal im Rathaus, stoppten sie das Projekt, ihr Ziel war erreicht und vor ihnen lag eine Legislaturperiode von vier Jahren. Was tun? Für Großes war kein Geld da. Die Vorgänger hatten einen riesigen Schuldenberg hinterlassen. „Was folgte, entstand aus einer Kette von Zufällen“, sagt Javier. Eigentlich wollten sie nur preisgünstig eine hässliche Wand neben dem Rathaus und einen Fußgängertunnel unter der Durchgangsstraße verschönern. Über den Freund eines Bruders von einer aus der Clique fragten sie bei einem „Grafitero“ auf Menorca an. Dieser kam mit seinem dreiköpfigen Kollektiv Guau. Bald schon entstand die Idee eines Festivals. Das Miau wurde geboren.

Straßenkünstler Hombre López – nicht verwandt mit Javier – war einer der drei aus Menorca. Der 45-Jährige wurde zu so etwas wie dem Festivalmanager. Einkauf von Material und Farben, Anmietung von Gerüsten und Kränen, Workshops für Einwohner und Besucher – Hombre López macht das und verfolgt dazu auch noch seine eigenen künstlerischen Projekte.

Im vergangenen Jahr bemalte er die Abdeckungen der Wasserzähler neben jedem Hauseingang mit Ausdrücken des örtlichen Dialektes, eines völlig unverständlichen Mischmaschs aus Spanisch und der Regionalsprache Valenciano von der Küste. „Wasser und Sprache verbinden die Leute im Dorf“, sagt Hombre López. Seine Arbeit soll ausgleichend wirken. Denn der Streit über die Mülldeponie und der „Machtwechsel“ im Rathaus haben den Ort polarisiert und entzweit. Die Fronten verlaufen einmal mehr dort, wo sie bereits im Spanischen Bürgerkrieg die Familien in Rote und Nationale – in Verteidiger der Republik und Anhänger des Diktators Franco – spalteten.

Dieser und viele weitere Artikel wurden durch finanzielle Unterstützung des Auslandsrecherchefonds ermöglicht.

Punky und gut drauf

Hombre López verrät die Kriterien, nach denen die ersten Künstler eingeladen wurden. „Sie mussten gut drauf sein, etwas punky sein, bereit sein, auf dem Boden zu schlafen, und natürlich gut malen können.“ Die Künstler aus dem vergangenen Jahr empfahlen nun jeweils drei andere Kollegen, unter denen die Organisatoren ihre Auswahl für die zweite Edition trafen. Der Andrang von Künstlern ist groß.

Einer, der nun dabei ist, ist Gonzalo Borondo. Der 25-Jährige aus Segovia, 90 Kilometer nördlich von Madrid, gehört zur internationalen Avantgarde der Straßenkünstler. Als Teenie begann er mit Tags, malte bald im Kollektiv „Keller“ und „Trauma“ in der spanischen Hauptstadt, bewegte sich in der Welt der Sozialen Zentren. Borondo ist viel gefragt, hat weltweit Aufträge von Städten, Gemeinden und Institutionen. Seine „normalen“ Bilder und Skulpturen werden in Kunstgalerien ausgestellt, zuletzt in der für die Street-Art-Szene sehr angesagten RexRomae Gallery in London.

„Wenn du bekannt bist, verlierst du leicht den Kontakt zu den normalen Leuten, zur Straße, die dich eigentlich inspirieren soll. Anreise im Flugzeug, arbeiten, Abreise“, sagt Borondo, während er durchs Dorf schlendert, hier und da ein Schwätzchen hält – und nackte Mauern begutachtet. Die große Welt der Kunst sei oft etwas für Snobs. Hier in Fanzara entdecke er das „Gefühl der Freiheit“ wieder, Leidenschaft und Emotion, die ihn einst antrieben, mitten in der Nacht und ohne Erlaubnis irgendeine Wand zum Kunstwerk werden zu lassen.

Deshalb habe er, ohne zu zögern, einen bezahlten Auftrag abgesagt, um für ein gemeinsames Abendessen und die private Übernachtung im Haus einer Familie nach Fanzara zu kommen. „Adoptiere einen Künstler“ nennen sie diese Art der Unterbringung in Fanzara. So soll das Miau auch fest ins örtliche soziale Netz eingebunden sein und die Mentalitäten wechselseitig verändern.

Antonio Latorre, 68, und Salud Nieto, 56, sind eines der Ehepaare, die ihre Wohnung für die „Grafiteros“ öffnen. Javier erinnert sich an ihre anfänglichen Bedenken, als 2014 die ersten Künstler kamen. Die beiden wollen davon heute nichts mehr wissen. „Das Dorf hat durch die Kunst endlich einen Ruf. Es kommen Besucher, und das bringt auch Geld“, schwärmt das Paar, das 18 Jahre des Arbeitslebens in Düsseldorf verbrachte.

Natürlich nennen die beiden die zwei Graffitis aus dem Vorjahr an ihrem Haus stolz nun ihr Eigen. An der Fassade hat Julieta XLF eine Art Hirsch hinterlassen. Und neben der Eingangstür hat der Künstler Escif einen alten Sekretär aufgemalt, der drinnen tatsächlich den Flur ziert. Sowie eine Gitarre. „Escif fragte uns“, so das Paar, „nach etwas, was uns wichtig sei.“ „Das alte Möbelstück hatten wir im Haus gefunden, als wir es kauften, und es restaurieren lassen. Und ich spiele halt gerne Gitarre“, so Antonio Latorre. Escif malte die beiden Objekte in der Intention, „Privates auf die Straße zu tragen“.

Ein ganz besonderes Geschenk hat Pol Marban einem der Ältesten in Fanzara, dem 90-jährigen José Gascó, gemacht. Er nahm ein Familienfoto aus dem Jahr 1930, das in der Bar d’Abajo hängt, und malte es auf die Wand unterhalb des alten Waschhauses. „Der hier bin ich mit 5 Jahren“, zeigt Gascó auf einen Buben am Rande des Gemäldes, der Letzte der Verewigten, der noch lebt.

„Diejenigen, die hier zuvor das Sagen hatten, warfen den Organisatoren vor, sie würden das Dorf verschandeln“, erinnert sich der Alte an die Diskussionen im vergangenen Jahr. „Es muss ja nicht jedem gefallen, aber verschandeln, bitte … Die jungen Leute wissen, was sie tun“, erklärt er und meint damit die Clique der Enkel rund um Javier. Im Dorf sehen dies mittlerweile die allermeisten so. Bei den Wahlen im vergangenen Mai legte die offene Liste im Gemeinderat weiter zu und regiert nun mit 5 gegen eine konservative Opposition aus nur noch 2 Delegierten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.