Grüner Daumen, schwarzer Block

STADTSTREITER Vom Kleingärtner bis zum Autonomen – ein skurriles Hamburger Bündnis will für eine bürgernähere City demonstrieren

VON MAXIMILIAN PROBST

Sie kämpfen für Apfelbaumwurzeln oder gegen horrende Mieten. Ordnungsbewusste Schrebergärtner haben sich in Hamburg mit freiheitsliebenden Autonomen zusammengeschlossen. Was sie eint, ist die Forderung nach einem „Recht auf Stadt“: Auf der Moorweide der Hansestadt werden sich am Freitag etwa hundert Initiativen zu einer Protestparade versammeln. Sie wollen gegen Gentrifizierung demonstrieren, dagegen, dass bestimmte Gruppen aus bestimmten Vierteln verdrängt werden, gegen eine Stadtentwicklungspolitik von oben, gegen einen Senat, der die Bedürfnisse der Bürger dem Standortmarketing unterordnet.

Seit eine Gruppe von Künstlern im August die baufälligen Reste eines historischen Arbeiterquartiers im Hamburger Gängeviertel besetzte, um sie vor dem Sanierungstod zu bewahren, ist die Diskussion über Stadtentwicklung in Hamburg nicht mehr abgerissen. Die Parade des Netzwerkes ist der vorläufige Höhepunkt einer längeren Entwicklung. Seit einiger Zeit schwelte die Debatte um die Gentrifizierung vor sich hin. Die Diskussion um das Gängeviertel hat die Hamburger Auseinandersetzung jetzt bundesweit bekannt gemacht.

Ikea-Klotz gegen Künstler

Bei den Protesten geht es längst nicht mehr allein um prominente Streitobjekte wie das Gängeviertel, wo ein großer niederländischer Immobilieninvestor historische Gebäude radikal sanieren will. Es geht auch nicht nur um das Kaufhaus Frappant in Altona, das von Künstlern genutzt wird und einem Ikea-Klotz weichen soll. Es sind auch kleine Bauvorhaben wie in Ottensen, an der Grenze zu den eleganten Elbvororten, die den Unmut vieler Bürger erregen: Dort befindet sich ein weitläufiger grüner Innenhof, den die Anwohner als Garten nutzen. In diesen Garten soll jetzt eine Handvoll Einfamilienhäuser gesetzt werden, was die Parzellen kleiner macht. Ein Rentner kommentiert das Vorhaben mit einem Blick aus dem Fenster: „Dies ist einer der Orte in Hamburg, an dem die Gentrifizierung gerade zupackt.“

All diese kleinen und großen Stadtentwicklungs-Brennpunkte haben die Gruppen unter dem Dach von „Recht auf Stadt“ zusammengetrieben. So sind skurrile Allianzen entstanden: Am Freitag werden die Autonomen des Besetzerhauses „Rote Flora“ mit der Kleingärtnerinitiative „Apfelbaum braucht Wurzelraum“ und der Gewerkschaft Ver.di in der „Recht auf Stadt“-Parade durch die Straßen Hamburgs ziehen. Und natürlich mit den Künstlern, die die treibende Kraft hinter den Protesten im Gängeviertel sind.

Das Netzwerk ringe noch um sein Selbstverständnis, sagt Peter Haß. Er ist 61, betreibt seit dreißig Jahren einen Buchladen im Schanzenviertel und hat sich zuletzt vergeblich dagegen eingesetzt, dass ein historischer Wasserturm zum Luxushotel umgebaut wurde. Ständig wollten neue Aktivisten dazustoßen, sagt er. Eine Gruppe streite sogar dafür, dass das „Recht auf Stadt“ auch für Hunde gelten müsse. „Wo zieht man da die Grenze?“, fragt er.

Leben im Gesamten ändern

Auch im Zentrum des Parade-Aufrufs steht eine Frage, keine Antwort: „In was für einer Stadt möchten wir eigentlich leben?“ Das Netzwerk weiß vor allem, in welcher Stadt es nicht leben möchte. Es wendet sich gegen Wohnungsmieten, die in die Höhe schießen, weil Investoren gezielt sanieren, und dagegen, dass Mietpreisbindungen aufgehoben werden, die bislang dafür sorgten, dass gewisse soziale Milieus sich das Wohnen in einem Viertel noch leisten konnten. Sie beklagen, dass sich die Stadtentwicklung auf Tourismus und teure Projekte wie die Elbphilharmonie konzentriert. Sie sind dagegen, dass man Künstler Räume nur so lange nutzen lässt, bis sie den Wert eines Viertels gesteigert haben und sie dann gewissermaßen abschiebt. So wie es jetzt im Künstlerkaufhaus Frappant passieren soll.

Das Motto „Recht auf Stadt“ hat der Soziologe Henri Lefebvre in den Siebzigerjahren geprägt: weil die Stadt der Ort sei, an dem seit der industriellen Revolution das ökonomische, soziale, politische und kulturelle Leben stattfindet. Und weil sie damit zu dem Ort wird, an dem sich dieses Leben in seiner Gesamtheit verändern lässt. Genau dafür wird die Parade „Recht auf Stadt“ am Freitag streiten – mit 15 Lkws, Musik und Ansprachen.