Die Ernte als Happening

KLIMA KUNST KULTUR Buchvorstellung und Diskussion in dem nach Dessau umgezogenen Umweltbundesamt, mitveranstaltet vom Goethe-Institut

Ob die Kunst die Kraft hat, etwas zur Veränderung des eigenen Lebenswandels ­beizutragen?

Steigender Meeresspiegel? Abholzung des Regenwaldes? Extremwetterphänomene? Oder auch jahrtausendelang strahlender Atommüll? Wen kümmert das eigentlich? Wer hätte angesichts dieser Entwicklung eigentlich schon mal darüber nachgedacht, sein Leben von Grund auf zu ändern. „Die Menschen in den Industrieländern wollen nicht auf ihren Lebensstandard verzichten: Sie wollen weiterhin Auto fahren, täglich Fleisch essen und mit dem Flugzeug in den Urlaub fliegen.“ So liest man es in einem gerade erschienenen Buch „Klima Kunst Kultur“, das das Goethe-Institut gerade herausgegeben hat. Das Goethe-Institut?

Generaldirektor Johannes Ebert erklärte am letzten Mittwoch auf einer Diskussionsveranstaltung im Umweltbundesamt in Dessau, warum sich das in 160 Ländern der Erde aktive Kulturinstitut schon seit einigen Jahren auch mit dem Thema Klimawandel und Umweltzerstörung befasst. Im Sinne eines „erweiterten Kulturbegriffs“ (nach Ralf Dahrendorf) hätte man das Thema in Kunstausstellungen aufgegriffen, weil Künstler sich eben damit befassen. Und gemäß den „Leitsätzen für eine auswärtige Kulturpolitik“ von 1970 kommen für die Darstellung deutscher Kultur im Ausland auch „zivilisatorischen Gegenwartsprobleme“ in Betracht.

Dass die Klimakatastrophe in vollem Gang ist (und nicht nur eine Symptom spezifisch deutscher Angst), daran gab es bei der Diskussion in Dessau unter den Teilnehmern keinen Zweifel. Maria Krautzberger, Präsidentin des in Dessau beheimateten Umweltbundesamtes, die sich von Amts wegen mit Fragen des Klimawandels befasst, konnte durchaus feststellen, dass ein Bewusstsein für die katastrophale Entwicklung insbesondere bei der jungen Generation durchaus vorhanden sei. Die Frage von Jürgen König vom Deutschlandradio und Moderators des Abends nach einem fehlenden Bewusstsein für Klima und Umwelt stellt sich also in Deutschland so gar nicht. Und damit verschiebt sich auch die Hoffnung auf die Rolle von Kunst und Kultur, um der Klimakatastrophe zu begegnen. Die Frage ist nämlich hierzulande längst nicht mehr, ob es Wissen über den Klimawandel gebe, sondern welche Konsequenzen wir daraus ziehen. Und aus der internationalen Perspektive von Goethe-Chef Ebert heißt das zugleich: Er könne einer Milliarde Indern nicht erklären, warum sie nicht auch Auto fahren sollen, wenn in Deutschland ungebremst auf Automobilität gesetzt wird – obwohl doch jeder Autofahrer hierzulande weiß, dass er das Klima schädigt.

Ob nun die Kunst die Kraft hätte, nicht nur Bewusstsein zu bilden, sondern etwas zur Veränderung des eigenen Lebenswandels beizutragen, ließ sich in der Diskussionsrunde nur durch Glaubenssätze beantworten. Denn messen lässt sich die Wirkung von Kunst nicht. Vielmehr warnte vor allem Claudia Perren, Direktorin der Stiftung Bauhaus Dessau, vor einer Ins­trumentalisierung der Kunst. Nötig sei eine „Bandbreite der ästhetischen Möglichkeiten“. Hier lieferte der neue Band des Goethe-Instituts den Diskutanten diverses Anschauungsmaterial.

Schon vor 40 Jahren, Ebert erinnerte das an diesem Abend aus eigener Erfahrung, habe Klaus Staeck Kunst zu Umweltthemen gemacht. „Die Mietsache ist schonend zu behandeln“, hieß es damals auf einem Staeck‑Plakat mit dem Bild des Planeten Erde. Heute konstatiere Klaus Staeck „Ernüchterung“ über die Wirkung von Kunst. Doch die künstlerischen Methoden sind inzwischen auch vielfältiger geworden.

Ein Beispiel auch aus dem Buch liefert die schwedische Künstlerin Åsa Sonjasdotter. Sie sammelt alte von der EU für den Anbau im großen Stil verbotene Kartoffelsorten und pflanzt sie als Kunstaktion an. Die Ernte durch die Kunstbesucher wird regelmäßig zu einem Happening. Die Sache macht Spaß, schafft Bewusstsein und rettet alte vor dem Aussterben stehende Kartoffelsorten.

Doch wie könnte aus solchen Kunstaktionen praktische Politik werden? „An der rechtlichen Normierung führt kein Weg vorbei“, beschied Angelika Poferl, in dem ihrer Profession eigenen Soziologie-Sprech. Auch Maria Kreutzberger erinnerte daran, dass hinter dem Umgang mit der Kartoffel „ökonomische Mechanismen“ st­ehen. Gleichwohl gebe es auch eine „Konsumentenmacht“, so etwa als die eigentlich in der EU ausgelaufene Zulassung der Kartoffelsorte Linda durch öffentlichen Druck mit Erfolg verlängert wurde. Gleichwohl brauche es bei Änderungen im Systemischen, so Soziologin Poferl, einen „langen Atem, Geduld und Ausdauer“.

Genau das aber könnte das Problem sein. Was die Kunst ad hoc in ihrer autonomen – aber auch gesamtgesellschaftlich wenig wirkungsvollen Sphäre – realisieren kann, im Museum oder selbst auf einem kleinen Kartoffelacker, das könnte im großen Maßstab im Systemischen und gar auf globaler Ebene zu lange dauern, als dass man den Klimawandel noch aufhalten könnte. In der abschließenden Diskussion mit dem eher spärlich erschienenen Publikum (hauptsächlich aus dem Umweltbundesamt selbst) kam das noch einmal zur Sprache. Es war dann wohl ein Lehrer, der das Gleichnis mit der Wasserlinse fand: Die unscheinbare Pflanze vermehrt sich nämlich extrem schnell und exponential, aus einer werden zwei, aus zwei vier usw. Wenn dann der Teich schon halb mit dem grünen Zeug bedeckt ist, mache es keinen Sinn mehr, auf Optimismus zu machen nach dem Motto: Alles halb so schlimm. Am nächsten Tag ist der Teich dann dicht und die ökologische Katastrophe perfekt. Ronald Berg

Johannes Ebert, Andrea Zell (Hrsg.), „Klima Kunst Kultur“, Steidl Verlag, 168 S. , 32 Euro