Von der Politik-Sekte in
den Tod getrieben?

Ermittlung Nach einem Sektentreffen 2003 starb ein Student. Ein Zusammenhang wird untersucht

„Die Theorie des Selbstmords ist zurückgewiesen. Nichts spricht dafür, aber vieles dagegen“

BERLIN taz | Mehr als zwölf Jahre nach dem Tod des britischen Studenten Jeremiah Duggan in der Nähe von Wiesbaden stehen die Ermittler davor, ihre anfängliche Diagnose eines Suizids zu revidieren. Wie die zuständige Staatsanwaltschaft auf Anfrage mitteilte, werde im Zusammenhang mit dem mysteriösen Todesfall gegen einen 40-jährigen Deutschen und einen 36-jährigen mutmaßlich französischen Staatsangehörigen ermittelt. Beide sollen der LaRouche-Sekte angehören. Nach Informationen der taz soll der Deutsche ehemals als Body­guard des US-amerikanischen Sektenführers Lyndon LaRouche tätig gewesen sein.

Der damals 22-jährige Duggan hatte im März 2003 im Zuge des Irakkriegs an einer Konferenz des Schiller-Instituts teilgenommen, einer Art Thinktank der rechten Polit­sekte. Die Verbindung zur LaRouche-Bewegung, die für ihre kruden Verschwörungstheorien und einen extremen Führerkult bekannt ist, war ihm wohl nicht bekannt. Der deutsche Ableger ist die Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo), geführt von LaRouches Ehefrau Helga Zepp-LaRouche.

Duggan hatte in der Nacht seines Todes seine Mutter angerufen und ihr von „großen Schwierigkeiten“ berichtet, in denen er stecke. Kurz darauf wurde er auf der B 455 von zwei Autos erfasst. Die Polizei ermittelte oberflächlich, verzichtete auf eine Obduktion und Ermittlungen in den Kreisen, in denen sich Duggan zuvor aufgehalten hatte. Nach zweieinhalb Monaten legten sie den Fall zu den Akten.

Duggans Eltern jedoch glaubten nicht an die Theorie einer Selbsttötung. Ihrem hartnäckigen Einsatz ist es zuzuschreiben, dass die Wiesbadener Staatsanwaltschaft im Dezember 2012 die Ermittlungen wieder aufnehmen musste – auf Anordnung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main, das einen Anfangsverdacht für eine Körperverletzung mit Todesfolge sieht.

Laut dem Berliner Rechtsanwalt Serdar Kaya, der die Familie Duggan vertritt, wurden seitdem etwa ein Dutzend Zeugen vernommen. Erstmals wurden die Fahrer befragt, vor deren Autos Duggan lief, auch Aussagen von Teilnehmern der Konferenz wurden protokolliert. Auch eine Beschuldigtenvernehmung habe stattgefunden.

Ende März untersuchte ein Gerichtshof für ungeklärte Todesfälle in London den Fall. Im kurzen Urteil schreibt der Richter, dass Duggan „eine Reihe von unerklärlichen Verletzungen“ aufgewiesen habe, die nicht durch den Zusammenprall mit den Autos resultieren können. Auch Zeugen hätten ausgesagt, dass Duggan geschlagen und auf die Straße gejagt worden sei, sagt Kaya. Für ihn steht fest: „Die Theorie des Selbstmordes ist zurückgewiesen. Nichts spricht dafür, aber vieles dagegen.“ Das Urteil hat er nach Wiesbaden weitergeleitet, verbun­den mit der „Anregung, in der LaRouche-Bewegung zu ermitteln“.

Der Londoner Richter schrieb, Duggan sei womöglich als „Risiko für Mitglieder der Organisation“ angesehen worden. Tatsächlich erfüllte Duggan Kriterien, die bei LaRouche-Anhängern womöglich den Verdacht geweckt haben, er sei ein Spion. So hatte sich Duggan als britischer Jude zu erkennen gegeben – beides Merkmale, die laut der LaRouche-Doktrin für besondere Macht stehen.

Auch eine frühere Behandlung in der Londoner Tavistock-Klinik könnte Duggan zum Verhängnis geworden sein. Die Klinik steht bei der Sekte in dem Verdacht, Hirnwäsche zu betreiben. All das habe womöglich zu „paranoiden Wahnvorstellungen“ der LaRouche-Mitglieder geführt, sagt Kaya.

Ob die Ermittlungen in diese Richtung intensiviert werden, ist dennoch fraglich. Mit dem Fall betraut ist derselbe Polizeibeamte wie vor zwölf Jahren.

Erik Peter