Betreuungsgeld

Karlsruhe kippt das umstrittene Betreuungsgeld. Die Begründung: Der Bund ist nicht zuständig. Was passiert jetzt mit den Millionen?

Nur in Bayern mit Mutti allein

Reaktionen SPD und Opposition begrüßen das Urteil. Bayern kündigt an, das Betreuungsgeld weiter zu zahlen. Nun entbrennt ein Streit, was mit dem Geld künftig passieren soll

Juhu, Herdprämie gekippt! Endlich wieder in die Kita Foto: Antonia Zennaro / Zeitenspiegel

von Simone Schmollack

Ralf Kleindiek ist ein gemütlicher Mensch. Fast nichts kann den Staatssekretär im Familienministerium so leicht aufregen. Auch Freude teilt er nicht in jedem Fall öffentlich. Mit einer Ausnahme: das Betreuungsgeld.

Der Mann mit der randlosen Brille und der sonoren Stimme hat es noch nie für eine besonders gute Idee gehalten, Eltern jeden Monat 150 Euro dafür zu zahlen, dass sie ihre kleinen Kinder zu Hause betreuen statt in eine Kita zu bringen. Die Freude stand ihm ins Gesicht geschrieben, als das Bundesverfassungsgericht am Dienstag einstimmig diese umstrittene familienpolitische Leistung für verfassungswidrig und damit nichtig erklärt hat. Um das zu hören, war Kleindiek – anstelle seiner Chefin, SPD-Familienministerin Manuela Schwesig – nach Karls­ruhe gefahren. Der Bund, so hörte er dort, habe im Sommer 2013 gar nicht die Kompetenz besessen, das Gesetz durchzuwinken (siehe Text unten).

Kleindiek argumentiert eher politisch als formell: Das Betreuungsgeld sei keine sonderlich moderne Familienleistung. Im Gegenteil: Es halte Frauen davon ab, arbeiten zu gehen, und Männer, sich stärker in die Erziehungsarbeit einzubringen. Viele Kinder mit Migrationshintergrund, für die eine Kita aufgrund von Sprachbarrieren besonders wichtig ist, hätten es später schwerer. All das sieht Ministerin Schwesig ähnlich.

Doch im Gegensatz zu ihr, die schon früher als Sozialministerin in Mecklenburg-Vorpommern das Betreuungsgeld ablehnte und das laut sagte, musste sich Staatssekretär Kleindiek damit bislang zurückhalten. Das ist nun anders.

Daher entbehrt es nicht einer gewissen Komik (oder Tragik, je nachdem), dass Kleindiek als Betreuungsgeldgegner am Dienstag in Karlsruhe das Urteil als Vertreter der Bundesregierung vernahm. Die hat das Betreuungsgeld bekanntlich befürwortet. Zumindest hat sie die Leistung, die 2012 von der damaligen schwarz-gelben Koalition beschlossen worden ist, nicht zurückgenommen.

Und Kleindiek selbst war es, der 2013 eine Normenkontrollklage der Stadt Hamburg gegen das Betreuungsgeld, auf der das Urteil des Bundesverfassungsgerichts beruht, vorbereitet hat. Damals war Kleindiek Staatsrat in der HamburgerJustiz- und Gleichstellungsbehörde. In der Stadt hat die Hälfte der Kinder einen Migrationshintergrund. Aber sie hätten weniger Sprachprobleme, wenn sie frühzeitig in eine Kita gingen, argumentierte Hamburg damals.

Doch Ruhe wird trotz des eindeutigen Urteils nicht eintreten. Während die Opposition das Urteil erwartungsgemäß begrüßte, sagte CSU-Chef und Bayern-Ministerpräsident Horst Seehofer den Familien in seinem Land schon mal zu, dass sie sich um das Betreuungsgeld keine Sorgen machen müssten. In Bayern werde es weiter gezahlt. Dafür verlangt Seehofer nun Geld vom Bund.

Für CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt ist das Betreuungsgeld gar ein „großer Erfolg“. Betrachtet man die Zahlen der BezieherInnen dieser Leistung, bestätigt sich das: Bayern ist hinter Nordrhein-Westfalen das Land mit den meisten BetreuungsgeldempfängerInnen. Allerdings sind das zwei Bundesländer, in denen massenhaft Kitaplätze fehlen.

Insgesamt haben im ersten Quartal dieses Jahres 455.321 Eltern Betreuungsgeld bekommen, hat das Statistische Bundesamt ausgerechnet. Knapp 95 Prozent von ihnen sind Frauen. Für die SPD, die die „Herdprämie“ des Koalitionsfriedens wegen schlucken musste, ein Beweis, dass „es sowohl bildungspolitisch als auch hinsichtlich der Gleichstellung von Frauen und Männern und der Integration das falsche Instrument ist“, so Sönke Rix, familienpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.

Es sei zwar absurd, dass „das Bundesverfassungsgericht die Arbeit von politischen Entscheiderinnen und Entscheidern machen musste“, sagte Katja Dörner, Vizefraktionschefin der Grünen, der taz. Gleichzeitig sei die Entscheidung „eine rote Karte für die CSU, das Land nicht weiter mit Unsinnsprojekten zu drangsalieren“. Damit spielt Dörner auf Streittehmen wie Maut, Stromtrassen und Atommüll an.

Was passiert nun mit den 900 Millionen Euro, die in diesem Jahr für das Betreuungsgeld eingeplant waren? Die SPD und die Opposition haben eine Idee: Der Kitaausbau muss vorangetrieben werden. Es sei zu „hoffen, dass die Bundesregierung die freigewordenen Millionen nun endlich sinnvoll in Betreuungsinfrastruktur umwidmet“, fordert Cornelia Möhring, frauenpolitische Sprecherin und Vizefraktionsvorsitzende der Linkspartei.

Familienministerin Schwesig darf sich am Ziel ihrer Bemühungen sehen: „Das Betreuungsgeld ist der falsche Weg und hat keine Zukunft. Die frei werdenden Mittel sollen Kindern und Familien zugutekommen, zum Beispiel durch eine verbesserte Kinderbetreuung.“

Wie es jetzt weitergeht, werde Ministerin Schwesig am 13. August mit den Regierungsfraktionen beraten. Ralf Kleindiek dürfte dabei sein.

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