Hier spricht die Seele

CHANSONS Verneigung vor einem Klassiker: Das neue Album „Trenet“ von Benjamin Biolay

Ist Benjamin Biolay ein selbstverliebter Womanizer oder ein genialer Musiker? Dem Erfolg in seiner Heimat Frankreich nach zu schließen, eher Zweiteres. Denn seit er 2002 sein Debütalbum „Rose Kennedy“ veröffentlichte, weisen ihm die Landsleute eine Rolle als legitimem Erbe von Serge Gainsbourg zu. Biolay gilt als Förderer des Nouvelle Chanson und wurde 2003 als beste Neuentdeckung mit dem wichtigsten französischen Musikpreis ausgezeichnet: dem Victoires de la Musique.

Nach seiner Heirat mit der Schauspielerin Chiara Mas­troi­anni, Tochter von Catherine Deneuve und Marcello Mas­troi­anni, drehte sich in der Regenbogenpresse alles nur ums Private. Seit ihrer Scheidung berichteten Klatschmagazine weiter aus der Intimsphäre, dichteten Biolay gar eine Affäre mit Präsidentengattin Carla Bruni an. Genauso konsequent stürzen sie sich jetzt auf Fotos, die Biolay mit der Schauspielerin Anna Mouglalis zeigen. Für sie soll er seine Lebensgefährtin Vanessa Paradis verlassen haben.

„Es gibt nichts Schlimmeres, als zuzusehen, wie das eigene Privatleben ausgeschlachtet wird“, wettert Benjamin Biolay. Spielt er diese Empörung nur? Auf jeden Fall weiß er das mediale Interesse zu nutzen, um die Werbetrommel für sein neues Album „Trenet“ zu rühren. Schließlich hat er während der Aufnahme Vanessa Paradis wieder ins Boot geholt, mit ihr sang er das Duett „J’ai ta Main“.

Er probiert sich mit seinem neuen Album „Trenet“ erstmals als Interpret aus: Mit seiner charakteristischen Baritonstimme taucht er in die Chansonklassiker von Charles Trenet ein, der schon für Maurice Chevalier oder Yves Montand Lieder komponierte. Der „singende Verrückte“ war sein Spitzname. Aus Trenets Stücken spricht Poe­sie, er hatte ein Gespür für beseelte Kompositionen. Eine Sensibilität, die auch einen Biolay berührt, deshalb hat er Trenet nun ein musikalisches Denkmal gesetzt, und nicht – wie von den Medien erhofft – Serge Gainsbourg.

Ein wenig Rebellion mag hinter dieser Entscheidung des 42-Jährigen auch stecken. Biolay hat null Interesse, irgendwelche Erwartungen zu erfüllen. Kommerzieller Druck im Musikgeschäft ist dem überzeugten Sozialisten ein Gräuel. Mit seiner alten Plattenfirma EMI hat er sich überworfen. Das war wie ein Befreiungsschlag.

Mit dem Album „La Superbe“ kehrte er 2009 sein Innerstes nach außen. Seine düsteren Songs kamen glaubwürdig und selbstkritisch rüber. Gegen dieses erneut mit einem Victoires de la Musique prämierte Meisterwerk konnte das nachfolgende Album „Vengeance“ nicht anstinken. Biolay sang darauf Seite an Seite mit dem kontroversen Rapper Orelsan und mit Libertines-Gitarrist Carl Barât – nicht das, was ihn in die Charts hieven konnte. Zuletzt hat er versucht, im Studio argentinischen Tango mit afrikanischen Pop zu kreuzen.

Bis er sich aus einer Laune heraus mit dem Gitarristen und Pianisten Nicolas Fiszman und dem Schlagzeuger Denis Benar­rosh an „Revoir Paris“ ausprobierte. Es folgte eine Trenet-Nummer auf die nächste, einiges wurde klassisch in jener Triobesetzung eingespielt, anderes opulent mit einem Orchester ausarrangiert.

Die nostalgisch anmutende Sammlung von Trouvaillen wie „Vous qui passez sans me voir“ oder „Verlaine“ gleicht einem Set in einem Jazzclub der 50er Jahre. So viel Traditionsbewusstsein hätte Biolay niemand zugetraut. Fast mantraartig betet er in jedem Interview herunter, dass er sich John Lennon oder Morrissey weitaus näher fühle als Gainsbourg.

Im angelsächsischen Raum konnte sich Biolay bis jetzt allerdings weder als Künstler noch als Produzent etablieren. Dafür hat er in seiner Heimat die Karrieren von Henri Salvador und Juliette Gréco wieder angeschoben. Er schrieb Songs für seine Schwester Coralie Clément, sang mit Françoise Hardy im Duett, half Keren Ann, als Sängerin Fuß zu fassen. Gerade Künstlerinnen tun sich gern mit ihm zusammen. Offenbar wissen alle, was sie an ihm haben: einen Mann, der der französischen Musik­szene neuen Schwung gegeben hat. Dagmar Leischow

Benjamin Biolay: „Trenet“ (Barclay/Universal)