Kommentar CSU und Betreuungsgeld: Tradierte Dickschädlichkeit

Die Christsozialen in Bayern haben seit jeher einen Hang zur Verfassungswidrigkeit. Doch die früheren Schlappen zeigen: Ihre Misserfolge kommen an.

Bayerns Ministerpräsident Seehofer hält Hände an den Mund.

Will das Betreuungsgeld trotz Verfassungsgerichtsentscheid weiter in Bayern halten: der Ministerpräsident des Landes Horst Seehofer (CSU). Foto: dpa

Die CSU bestand nicht auf das Grundgesetz. Im Gegenteil. Die ganze Nacht hindurch hatte der bayerische Landtag über die neue Verfassung diskutiert, über zu wenig Gott in der Präambel und zu wenig Einfluss für die Länder, und dann, am frühen Morgen des 20. Mai 1949, stimmte die CSU-Mehrheit einfach mit Nein. Ein unmissverständliches Statement: Dieses Grundgesetz wollen wir nicht. Nur über juristische Umwege trat es kurz darauf doch noch in Kraft, sogar in Bayern.

Für die Debatte um das Betreuungsgeld und das Bundesverfassungsgericht liefert das Abstimmungsverhalten des ersten bayerischen Landtags gleich zwei Schlüsse. Erstens: Dass Gesetze mit CSU-Handschrift an der Verfassung scheitern, zeugt von einer bemerkenswerten Konsequenz. Zweitens: Widerstandsgeist und Dickschädlichkeit haben in Bayern so tiefe Wurzeln, dass sich die Christsozialen auch über ihre jüngsten Schlappen freuen können. Ihre Wähler nämlich werden den Misserfolg goutieren.

Das sprengt freilich die politische Logik. Von jeder anderen Partei würden sich die Wähler abwenden, wenn sie eine Schlappe nach der anderen einfährt; wenn sie in den Koalitionsverhandlungen kaum eine Forderung durchbringt, wenn das eine Herzensthema (Autobahnmaut) an den europäischen Verträgen zerschellt und das andere Herzensthema der vergangenen Legislaturperiode (Betreuungsgeld) am Grundgesetz. Denn wozu braucht der Wähler schon eine Partei, die seine Interessen nicht in Gesetze umwandeln kann?

Als Regionalpartei unterliegt die CSU aber einer speziellen politischen Logik. Die Bayern prägt nicht nur der bemerkenswerte Widerstandsgeist, sie sind auch immun gegen Niederlagen.

Als bayerischer Nationalheld gilt bis heute ein Schmied, der vor 300 Jahren die Bauern gegen die österreichischen Besatzer aufwiegelte – obwohl der Volksaufstand nach wenigen Wochen in der Sendlinger Blutweihnacht ersoff. Der Widerstand der frühen CSU gegen das Grundgesetz war zwar letztendlich ein Rohrkrepierer – zum Dank darf die Partei aber seitdem mit kurzen Unterbrechungen den Freistaat regieren. Und die CSU mag 1976 mit dem Versuch gescheitert sein, die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU aufzukündigen – aber den Mann hinter dem Kreuther Trennungsbeschluss (Franz Josef Strauß) wählten die Bayern zwei Jahre nach der Pleite erst recht zum Ministerpräsidenten.

Und so wird der CSU auch das Urteil zum Betreuungsgeld zugute kommen. Ihre Anhänger werden sich an der Wahlurne nicht daran erinnern, dass sich die Christsozialen mit ihrem Hang zu verfassungswidrigen Gesetzen jeden Gestaltungsspielraum raubten. Bei ihnen bleibt etwas ganz anderes hängen: dass Seehofer und Co den Saupreußen aus Berlin, Brüssel und Karlsruhe mit Herdprämie und Autobahnmaut mal so richtig die Stirn geboten haben.

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Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.

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