Debatte „Landesverrat“ abschaffen: Die Angst vor fremden Mächten

Die Strafnorm des Landesverrats muss reformiert werden. Und zwar so, dass demokratische Debatten nicht mehr behindert werden können.

Markus Beckedahl von Netzpolitik.org in einem Redaktionsraum

Markus Beckedahl von Netzpolitik.org in den Redaktionsräumen von Correctiv in Berlin im August. Foto: dpa

Nehmen wir an, eine Zeitung deckt auf, dass das Personal der Lebensmittelkontrolle im Zuge von Sparmaßnahmen halbiert werden soll. Sie prangert das an, will die deutsche Öffentlichkeit mobilisieren. Doch der Wirtschaftsminister reagiert mit einer Strafanzeige wegen Landesverrat.

Die Ausdünnung der Lebensmittelkontrolle sei ein Staatsgeheimnis, das vor fremden Mächten verborgen bleiben müsse, weil diese sonst wüssten, wie leicht sie in Deutschland Lebensmittel vergiften könnten. Es drohe ein schwerer Nachteil für die äußere Sicherheit Deutschlands.

Der Generalbundesanwalt sieht zumindest einen Anfangsverdacht und ermittelt wegen Landesverrat (§ 94 Strafgesetzbuch), Offenbarung von Staatsgeheimnissen (§ 95) und fahrlässiger Preisgabe von Staatsgeheimnissen (§ 97).

Das Beispiel ist etwa so abwegig wie die gerade gestoppten Ermittlungen gegen zwei Journalisten von Netzpolitik.org, die Einzelheiten aus dem Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz veröffentlicht haben. Auch hier wurde die Gefahr für die äußere Sicherheit darin gesehen, dass „fremde Mächte“ nach Schwachstellen im deutschen Sicherheitsapparat suchen könnten und deshalb keine Details über diesen erfahren dürfen.

Abschaffung oder Entschärfung

Der Vorgang zeigt, wie schnell der Begriff des Staatsgeheimnisses eine notwendige öffentliche Debatte nach geltendem Recht behindern kann. Es ist daher notwendig, über eine Abschaffung oder Entschärfung der Landesverrats-Paragrafen zu diskutieren. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat bereits angekündigt, dass er hierzu bereit ist.

Erst in jüngster Zeit hat der Gesetzgeber den Schutz der Pressefreiheit verbessert. Seit 2012 ist im Strafgesetzbuch festgehalten, dass Journalisten, die ein vertrauliches Dokument veröffentlichen, sich nicht wegen Beihilfe zur Verletzung von Dienstgeheimnissen strafbar machen (§ 353 b).

Es ist wohl auch kein Zufall, dass nun andere Möglichkeiten ausgetestet werden, gegen Journalistinnen und Journalisten vorzugehen – und sei es mit der juristischen Superkeule des Landesverrats. Deshalb muss nun versucht werden, auch hier einen expliziten Schutz der Pressefreiheit einzubauen.

Die Hoffnung, dass die Gerichte solche Exzesse am Ende schon stoppen werden, ist zwar berechtigt. Allerdings kann schon ein Ermittlungsverfahren stigmatisierende Wirkung haben. Und nicht jeder ist so sympathisch (und deshalb relativ gut gegen Diffamierungen geschützt) wie Netzpolitik-Chef Markus Beckedahl. Außerdem kann ein Ermittlungsverfahren benutzt werden, Redaktionen abzuhören und auszuforschen.

Es geht nun nicht darum, einen allgemeinen Freibrief für Journalisten einzuführen. Diese sollen nicht über dem Gesetz stehen. So verlangt niemand, dass sie bei der Arbeit andere bedrohen, bestechen oder bestehlen dürfen, um an Informationen zu kommen. Die Veröffentlichung von Nachrichten von allgemeinem Interesse sollte in der Demokratie aber möglichst straflos möglich sein.

Glaubwürdigkeit dank veröffentlichter Dokumente

Dazu gehört auch die Veröffentlichung von Informationen im Originalwortlaut. Das verschafft einem Bericht mehr Glaubwürdigkeit, es macht die Informationen besser nachvollziehbar und natürlich schafft es auch mehr Aufmerksamkeit.

Dazu können im Einzelfall auch Dokumente gehören, die als „vertraulich“ oder „geheim“ eingestuft sind. Es kann schließlich nicht sein, dass sich Behörden, die sich rechtswidrig oder sonst skandalös verhalten, schon dadurch immunisieren können, dass sie alle Informationen darüber mit dem Stempel „geheim“ versehen. Aber auch jenseits von illegalen oder kritikträchtigen Vorgängen werden in Deutschland zu viel Informationen vor der Öffentlichkeit geschützt.

Die naheliegende Forderung wäre, die Landesverrats-Paragrafen und den Begriff des Staatsgeheimnisses ganz abzuschaffen. Was schützenswert ist, könnte als Dienstgeheimnis geschützt bleiben. Dagegen ist der Bezug auf „fremde Mächte“ ohnehin antiquiert, wir leben nicht mehr im 19. Jahrhundert.

Natürlich können fremde Geheimdienste jede Information über Missstände in Deutschland auch gegen Deutschland verwenden – aber soll sie schon deshalb ein Staatsgeheimnis sein? Der ganze Ansatz ist verfehlt. Die Landesverrats-Delikte müssen zumindest ganz neu konzipiert werden.

Richtigerweise sollte dabei von den Funktionsbedingungen der Demokratie ausgegangen werden. Diese lebt von der freien öffentlich Information und Diskussion über gesellschaftliche Verhältnisse und Vorhaben. Alles was hierzu beiträgt, kann per se kein Staatsgeheimnis sein – auch wenn irgendjemand die Information gegen die Bundesrepublik verwenden könnte.

Eine Schutzklausel für Journalisten ist sinnvoll

Das muss auch für Informationen über Sicherheitsbehörden gelten. Bei der Polizei ist jedenfalls völlig anerkannt, dass ihre Eingriffsbefugnisse ausdrücklich gesetzlich zu regeln sind. Das heißt, bevor sie beschlossen werden, findet eine öffentliche und meist kontroverse Debatte statt. Nachdem sie beschlossen wurden, sind sie für jedermann – auch Kriminelle – im Gesetz nachlesbar.

Für manche Methoden – etwa das Abhören von Telefonen oder Wohnungen – gibt es sogar jährliche Statistiken, wie häufig sie angewandt wurden. Das sind demokratische Standards. Wenn der Verfassungsschutz das nicht für sich gelten lassen will, dann ist er kein demokratischer Dienst.

Weil aber im Einzelfall streitig sein kann, welche Debatten und Informationen zum normalen demokratischen Leben gehören, ist es sinnvoll, eine generelle Schutzklausel für die Veröffentlichungen von Journalisten vorzusehen.

Dabei ist die Frage, wer ein Journalist ist, durchaus lösbar und wurde bisher auch gelöst. Schließlich gibt es das Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten schon seit Jahrzehnten. Natürlich ist Blogger Markus Beckedahl ein Journalist und natürlich ist nicht jeder ein Journalist, der sich eine entsprechende Visitenkarte zulegt. Daran sollte eine notwendige Reform nun wirklich nicht scheitern.

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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