Burschenschaften: Gefährliche Burschen

Wenn Schüsse fallen: In Göttingen eskalieren die Konflikte zwischen Burschenschaftlern und linken Studierenden.

Hoffen auf ein Ende der Burschenschaften: Demonstrierende in Göttingen. Foto: Christina Hinzmann

GÖTTINGEN taz | Als die Schüsse fielen, probte in der Bühlstraße 28 eine Band. Mit einer Druckluftwaffe hatte jemand aus dem Dachgeschoss der Burschenschaft Germania quer über die Straße in das gegenüberliegende Wohnheim geschossen. Mehr als sechzig Kugeln fand die Hausgemeinschaft im Vorgarten, zwei weitere drangen auf Kopfhöhe durch das geöffnete Fenster ein und verfehlten ein Bandmitglied nur knapp.

Auch wenn es an jenem 19. Juli keine Verletzten gab und wohl niemand in Lebensgefahr schwebte, haben die Schützen schwere Körperverletzung bewusst in Kauf genommen. Die Polizei konfiszierte im Haus der Burschenschaft Germania zwei Druckluftgewehre; gegen einen der beiden beteiligten Schützen wird ermittelt.

„Solche Vorfälle korporierter Gewalt müssen wir ernst nehmen“, sagt der Sprecher der Wohnrauminitiative, in der auch die Bühlstraße 28 organisiert ist. Selbst wenn er sich aufregt, spricht der 25-Jährige besonnen. Seine ruhige, beinahe lakonische Art tut der kämpferischen Wortwahl aber keinen Abbruch: „Wir werden Göttingens Straßen nicht den Burschenschaftlern überlassen!“ sagt er. Wenn er sich nicht genau an ein Detail erinnert, verweist er beiläufig an seinen Anwalt. Um sich zu schützen, will er nicht namentlich genannt werden.

Auf Krücken zeigt der Soziologiestudent den Weg in den Garten, noch ist sein Gang mit der Gehhilfe etwas unsicher, sein Blick ist hellwach. Dass er nicht aufgebrachter oder hitziger erzählt, ist umso erstaunlicher, als auch seine Verletzung mit einer Burschenschaft zu tun hat: Vier Tage vor dem Pumpgun-Angriff, am Nachmittag des 14. Juli fuhr der Sprecher der Wohnrauminitiative mit dem Fahrrad nach Hause, vorbei an dem imposanten Vorstadthaus der Landsmannschaft Verdensia.

Dort, in direkter Nachbarschaft zum Deutschen Theater, beobachtete er zwei Burschenschaftler, wie sie mit einem Hochdruckreiniger versuchten, einen „Fuck AFD“-Schriftzug und die üblichen Farbkleckse von der Fassade ihrer Villa zu entfernen.

Die beiden „Burschis“ hinderten ihn am Weiterfahren, als er mit seinem Smartphone ein Foto von ihnen machen wollte. Der 25-Jährige versucht zu wenden, wobei ihn einer der beiden am Arm packte und vom Rad schubste. Was nach einer harmlosen Rangelei klingt, brachte dem Wohnrauminitiativen-Sprecher einen Kreuzband-, einen Meniskusriss und einen Knorpelschaden im Knie. „Die juristische Sachlage sieht gut für mich aus“, sagt der 25-Jährige optimistisch, auch weil er eine glaubwürdige Zeugin hat.

Nach mehrmaligem Klingeln öffnet ein Burschenschaftler das Dachfenster der Verdensia-Villa. Weil er den Vorfall aber nicht für die ganze Nachbarschaft hörbar besprechen will, öffnet er doch die Haustür.

Die Gesprächsbereitschaft bleibt auch auf Augenhöhe eher verhalten: „Unsere alten Herren haben uns Presseverbot gegeben“, ist die einzige Auskunft, die sich zwei Studenten Anfang 20 entlocken lässt: Nichts gegen Sie, heißt es freundlich, es liege daran, dass die Presse nicht für ihre neutrale Berichterstattung bekannt sei, erklären die Jungs, bevor sie die Tür ins Schloss fallen lassen. Ich muss an das Unwort „Lügenpresse“ denken und verstehe, wie eng Burschenschaften wie die Hannovera und die AfD zusammenhängen.

Lars Steinke etwa, ein Wortführer in der Hannovera und in neurechten Magazinen, hat die Göttinger Hochschulgruppe „Junge Alternative“ gegründet, eine Ortsgruppe der Jugendorganisation der AfD. Doch den Verbindungen gelingt es nicht, in der Hochschulpolitik wirklich Fuß zu fassen.

Bei den letzten Wahlen zum Studierendenparlament konnte Steinke mit seiner „Jungen Alternative“ keinen einzigen Sitz ergattern. Sein Vortrag „Universitäten – Chancen für die AfD“ wurde von der Göttinger Uni-Direktion abgesagt, nachdem autonome Studierendengruppen eine Blockade angekündigt hatten.

Die Burschenschaft Germania hat sich mittlerweile bei den BewohnerInnen der Bühlstraße 28 entschuldigt. In einem Offenen Brief heißt es, dass sie die Schüsse bedauern: „Wir distanzieren uns von den an der Tat Beteiligten und möchten zudem darauf hinweisen, dass diese zum Zeitpunkt der Tat nicht Mitglied der Burschenschaft Germania waren.“ Weitere Auskünfte wollen die Germania-Studenten weder vor Ort noch am Telefon geben.

Wenn man sie nach Gründen fragt, verweisen sie auf Klausurenstress – mitten in den klausurfreien Semesterferien. Die Bühlstraße 28 begrüßte das Entschuldigungsschreiben in einem Brief. Aber der endet sehr deutlich damit, dass „auch bei einem friedlichen, nachbarschaftlichen Verhältnis“ der Konflikt mit der Germania erst an dem Tag beigelegt sei, an dem sie „Ihren elitären Männerbund auflösen.“

Konfrontationen wie in der Bühlstraße sind in Göttingen kein neues Phänomen. Seit Jahrzehnten gibt es gegenseitige Sticheleien zwischen den Burschenschaftlern und anderen Studierenden: Die einen bewerfen die Vorstadtvillen der Verbindungen mit Farbbeuteln, die anderen klauen, womöglich als Mutprobe oder Aufnahmeritual die Transparente der anderen.

Vorgärten wurden verwüstet, Nachbarn verunglimpft und beleidigt. Vor zehn Jahren steckten zwei Verbindungsleute sogar eine Ausstellung des AStA in Brand. Erschreckend ist jedoch die Häufung der offenen und direkten Gewalt gegen Menschen.

Auch deshalb fanden sich am vergangenen Montagabend laut Göttinger Tageblatt mehr als 200 Demonstrierende am Gänseliesel zusammen. Unter dem Motto „Rechte Konjunktur lahmlegen“ bewegte sich der Demonstrationszug in das Göttinger Ostviertel, vorbei an mehreren Verbindungshäusern. In der Theaterstraße drohte die Situation zu eskalieren, als neben Farbbeuteln auch Pyrotechnik auf das Haus der Landsmannschaft Verdensia geworfen wurde.

Der weitläufige Garten des heruntergewohnten Wohnheims in der Bühlstraße grenzt an ein Verbindungshaus. Dort veranstaltete der Sprecher der Wohnrauminitiave im letzten Jahr ein sechswöchiges Camp für wohnungslose Erstsemester. Das Wohnheim, das er mit 15 anderen Studierenden teilt, wird seit drei Jahrzehnten vom Studentenwerk verwaltet, das Instandhaltungsarbeiten offenbar verzögert.

Bald könnte das Haus als baufällig eingestuft werden und somit geräumt werden, sagt der Soziologiestudent und streicht über den Holztisch, als wolle er die Wogen glätten: „Es ist kein Zufall, dass sich in letzter Zeit die Vorfälle von rechts häufen“, sagt er.

Obwohl er nun wochenlang auf Krücken angewiesen ist, klingen seine Erklärungsversuche nicht nachtragend, sondern sachlich: „Gesamtgesellschaftliche Entwicklungen wie Pegida und die Flüchtlingsdebatte geben den Burschenschaftlern Rückenwind bei dem Versuch, sich die Straße offensiv zurückzuerobern.“

Leicht haben die Verbindungen es in Göttingen dennoch nicht. Sie haben in ihrer etwa 200-jährigen Tradition schon bessere Zeiten gesehen. Einst waren sie tatsächlich eine gesellschaftliche Elite, eine studentische Basis in der konservativen niedersächsischen Universitätsstadt. Der nationalsozialistische Studentenbund Göttingen leitete bereits 1933 die Verbrennung von regimekritischen Büchern in die Wege.

Auch in der Nachkriegszeit wurde die Hochschulpolitik von Konservativen dominiert. Erst mit der Studentenbewegung 1968 kippte der Stimmanteil im Studierendenparlament drastisch nach links. Seitdem hat sich in Göttingen eine aktive, linke Szene gebildet, die an der Uni und durchaus auch im Stadtbild präsent ist.

Heute gibt es zwar noch über 40 Verbindungen in der Stadt, in denen etwa 500 Männer sowie einige Frauen organisiert sind, so Rune Wiedner, ein Göttinger Szenebeobachter. Einige Verbindungen hätten jedoch mit immensen Nachwuchssorgen zu kämpfen, sodass sie sogar ortsfremde Werksstudenten aufnehmen, was für die elitären Männerbünde noch vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen wäre.

Zudem hat der Dachverband Deutscher Burschenschaften (DB) seit einigen Jahren mit Austritten ganzer Verbindungen zu kämpfen. Die Burschenschaft Hannovera verzichte etwa aus strategischen Gründen auf eine DB-Mitgliedschaft, seit der Dachverband für seine nationalistischen Tendenzen öffentlich in die Kritik geriet, so Wiedner.

Wie lange die Burschenschaftler noch die Farbattacken auf ihre Fassaden hinnehmen werden, ist nicht absehbar. Rune Wiedner findet die Häufung der Vorfälle zwischen ihnen und den anderen Studierenden zwar „bedenklich – aber eine Gewaltspirale kann ich nicht erkennen“. Die Demonstration gegen ausfällige Burschenschaftler ist jedoch ein Zeichen, dass die Bewohner Göttingens die wachsende Gewaltbereitschaft von rechts nicht mehr lange dulden werden.

Die Universität hat auf Anregen der Grünen Jugend mittlerweile die Links zu allen Verbindungen von ihrer Website entfernt. „Das begrüßen wir, ist aber nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung“, sagt der Student aus der Bühlstraße 28, stützt sich auf seine Krücke und verschwindet mit Hilfe vieler kleiner Schritte in seinem umkämpften Haus.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.