Glaubensstreit: Kampf um ein Menschenopfer

Kurz bevor er ein hohes Amt antritt, fordern Evangelikale, der Hamburger Theologe Horst Gorski solle Aussagen aus dem Jahr 2006 widerrufen.

Umstrittener Amtsträger: Horst Gorski. Foto: dpa

HAMBURG taz | Es geht ums Widerrufen, und es geht um Dinge des Glaubens. Wer jetzt glaubt, er sei im Mittelalter angekommen, liegt gar nicht so falsch: Galileo Galilei fällt einem ein, von dem die Kirchenoberen im 16. Jahrhundert forderten, er solle widerrufen, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Denn dass die göttliche Erde nicht das Zentrum des Universums sei, missfiel dem Papst.

Von Galileo zu Gorski: Horst Gorski ist derzeit Propst im Nordkirchenkreis Hamburg-West/Südholstein, tritt aber im September gleich zwei hohe Ämter an: Er wird Vizepräsident des Kirchenamts der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) sowie Leiter des Amts der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands. Diese Position bedeutet eine große Machtfülle, Gorski dürfte sowohl die Zusammenarbeit der kirchlichen Gremien als auch die theologische Linie der EKD entscheidend prägen.

Wenn es nach einigen seiner evangelischen Glaubensbrüder geht, dann hat auch dieser bald so einflussreiche Mann sich von etwas Gesagtem zu distanzieren: In einem offenen Brief haben Ulrich Rüß, ehemaliger Pastor aus Hamburg, Lübecks Alt-Bischof Ulrich Wilckens und andere Amtsträger konservativ-evangelikaler Bekennender Gemeinschaften gefordert, Gorski möge Teile einer Karfreitagspredigt widerrufen – gehalten im Jahr 2006.

Gorski: Kreuzestod Jesu wäre nicht nötig gewesen

Gegründet wurde die Konferenz Bekennender Gemeinschaften der Evangelischen Kirchen Deutschlands im Jahr 1970. Sie fungiert als Dachverband konservativer evangelischer und evangelikaler Bewegungen.

Anlass waren die rationalen Bibelauslegungen der 1950er-Jahre sowie die zunehmend gesellschaftskritische Haltung der evangelischen Kirche.

Ziel der Konferenz Bekennender Gemeinschaften ist dagegen eine wörtliche Auslegung der Bibel sowie das Festhalten an konservativen Hierarchien.

Gründungsmitglieder waren die Verbände Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, die Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis, die Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Bayern, die Evangelische Sammlung Berlin sowie die Ludwig-Hofacker-Vereinigung in Baden-Württemberg.

Damals hatte Gorski, der den Vorgang derzeit nicht kommentieren möchte, gesagt, dass der Kreuzestod Jesu Christi nicht nötig gewesen sei, damit Gott den Menschen vergebe. „Die Behauptung einer solchen Notwendigkeit ist eins der größten Missverständnisse der christlichen Geschichte“, heißt es in der Predigt. Man dürfe Jesu Ankunft in der Welt schlicht als Erlösung deuten und sich lösen von der Idee eines Blut-, ja: Menschenopfers.

In dieser Predigt könne er keine Gotteslästerung erkennen, sagt der Hamburger Hauptpastor und Propst Johann Hinrich Claussen, der selbst mit einer liberalen Jesus-Deutung promovierte. „Die mittelalterliche Vorstellung eines Gottes, der durch die Sünde der Menschen so in seiner Ehre verletzt ist, dass er gar nicht anders kann, als seinen Sohn wie einen Sündenbock zu opfern, um sich von seinen eigenen Rachegelüsten zu befreien, ist schon lange umstritten.“

Zwar ist im biblischen Brief des Apostels Paulus an die Korinther, einem der frühesten christlichen Glaubenszeugnisse, die Rede von genau diesem Sündenbock. Aber das später verfasste Johannes-Evangelium, auf das sich Gorski in jener Predigt bezieht, schwächt das ab: Es bezeichnet Jesus ganz allgemein als Erlöser.

Für fundamentalistische Christen ist das ein Dilemma: Die Bibel – laut Claussen keine starre Wahrheitsdoktrin, sondern eine über Jahrhunderte entstandene Bibliothek verschiedener Autoren, die darin ihre Gotteserfahrungen bezeugen – legt sich nicht fest. Zudem läuft Gorskis Deutung auf eine Solidarisierung mit dem leidenden Jesus hinaus, die jeder Gläubige erreichen kann.

Mit handfesten Konsequenzen: Wenn das christliche Abendmahl die rituelle Wiederholung des Opfertodes Jesu ist, hat der Priester mehr Macht, als wenn sich jeder Gläubige unmittelbar mit Jesus verbinden und vom Priester emanzipieren kann, wie die Mystiker aller Zeiten es taten: Dann rührt das an der Institution Kirche, an ihren Ritualen und Hierarchien.

„Entfernt vom Zeugnis der Bibel“

Wenig erstaunlich also, dass vor allem konservative, auf den Erhalt bestehender Strukturen bedachte Theologen Gorskis Ansatz nicht schätzen, den übrigens auch eine neue Broschüre der EKD stützt. Es sei nicht akzeptabel, dass sich Gorski vom Zeugnis der Bibel entferne, heißt es nun – „insbesondere von der Kernaussage des ersten Briefs an die Korinther, wo der Apostel Paulus schreibt: ,Als erster habe ich euch weitergeben, was ich auch empfangen habe: dass Christus gestorben ist für unsere Sünden.‘“ Diesen Bibeltext betrachtet Rüß als nicht auslegbar, das liberalere Johannes-Evangelium dagegen als geprägt vom Zeitgeist.

Es sei unerträglich, „dass ein Amtsträger der EKD in leitender Funktion das Zentrum biblischer und lutherischer Theologie ablehnt“, schreiben nun die Verfasser in dem Brief der Bekennenden Gemeinschaften. Gorski wird aufgefordert, sich vor Amtsantritt „öffentlich von der Leugnung des Sühnetodes Jesu zu distanzieren“. Zwar habe die evangelische Kirche keinen Oberhirten wie den Papst, der über die Einhaltung der „reinen Lehre“ wache. Aber jeder Christ habe eine Wächterfunktion und darauf zu achten, dass Kirchenbedienstete im Einklang mit dem Glaubensbekenntnis und der Bibel agierten, finden die Unterzeichner.

„Die Forderung nach einem Widerruf entspricht nicht der Art, wie die evangelische Kirche heute den theologischen Diskurs führt“, erwidert Propst Claussen. Von „öffentlichen Beschämungsattacken“ verspreche er sich nichts.

Evangelikale kritisierten Gorskis Homosexualität

Die sind im Übrigen nicht neu: Schon 2008, als Gorski Bischof von Schleswig werden wollte, hatte die konservative Kirchliche Sammlung, der gleichfalls Rüß vorsteht, Gorski kritisiert. Damals allerdings nicht nur wegen jener Karfreitagspredigt, sondern auch wegen Gorskis offenem Bekenntnis zu seiner Homosexualität, die Gottes Willen widerspreche.

Bei der Schleswiger Bischofswahl unterlag Gorski knapp, was seinen Kritikern sicherlich zupass kam. Jetzt macht er doch noch Karriere. Dass auch der aktuelle Streit eigentlich mit Gorskis Homosexualität zu tun habe, bestreitet Altpastor Rüß der taz gegenüber allerdings ganz entschieden.

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