Bardentreffen in Nürnberg: Singen im Schatten Dürers

Mehr als bloß Liedermacher beim Nürnberger Bardentreffen: Die 40. Folk-Vollversammlung bot Musik aus aller Welt.

Der Musiker Stephan Eicher umgeben von Musikautomaten

Da fehlt nichts: Stephan Eicher ließ sich in Nürnberg nur von Automaten begleiten. Foto: Berny Meyer

NÜRNBERG taz | Sommer in Franken. An den Straßenecken in der Nürnberger Altstadt lauschen Reisegrüppchen den Vorträgen der Stadtführer. Teens hängen in Flipflops und mit Sonnenbrillen am Denkmal Albrecht Dürers ab; eigentlich ja der größte Sohn der Stadt, aber inzwischen so etwas wie der Übervater – jedenfalls dösen die Jüngeren an diesem flauschigen Donnerstagnachmittag zu Füßen Albrecht Dürers des Jüngeren und warten auf den Abend. Volle Straßen. Gelassene Stimmung.

Der Grund für diese besondere Atmosphäre: das Bardentreffen, ein traditionsreiches Nürnberger Festival, das zum 40. Mal stattfindet. Innerhalb der Stadtmauern sind allerorts Konzerte von Straßenmusikern, auf elf großen Bühnen wird gespielt, vier Tage lang. Nur dem Namen nach – oder im Sinne einer musikhistorischen Kontinuität – hat das Musikfest etwas mit der altertümlichen Sangeskultur zu tun.

Seine Ursprünge hat es im Liedermachertum der Siebziger, heute nennt es sich World Music Festival. Als „alters-, schichten- und klassenlos“ und „Vollversammlung aller Nürnberger“ bezeichnet Bürgermeister Ulrich Maly (SPD) das Bardentreffen am Donnerstagabend zur Eröffnung im Rathaus.

Die Folk-Vollversammlung beginnt kurz darauf auf dem Hauptmarkt, der sich mit milden Temperaturen und mondbeschienenen Fassaden herausgeputzt hat und zur Gänze gefüllt ist. Etwa 10.000 Menschen sind da; an den Folgetagen sollen sich täglich 200.000 durch die Straßen bewegen.

Selbstspielende Instrumente

Nachdem der unkaputtbare deutsche Songwriter Stoppok, mit getönter Brille und zurückgekämmten Haaren etwas Bono-Vox-like, den Abend eröffnet hat, ist der Auftritt des Schweizer Chansonniers Stephan Eicher ein erstes Highlight des Jubiläumstreffens. NDW-Legende Eicher hat „Die Automaten“ mitgebracht – selbstspielende Instrumente, die um ihn herum gruppiert sind.

Er hätte noch mehr daraus machen können – wann hat man schon mal ferngesteuerte Xylofone oder Snare-Drums um sich herum? Gar eine Teslaspule, die auf Geheiß seiner Gitarre Hochspannung und also Blitze erzeugt, hat der Schweizer auf der Bühne. All dies fungiert nur als Begleitband. Der Charme seiner Lieder aber bleibt.

Über die Gründung des Bardentreffens spricht man am Besten mit Johannes Härtel. Härtel, Jahrgang 1947, hat das Festival 1976 am Wirtshaustisch ins Leben gerufen, gemeinsam mit Freunden. Der Mann, der heute stoppeliges weißes Haar und einen ebenso stoppeligen Schnäuzer hat, erklärt, dass sie damals die Stadt beleben wollten: „In den Sommerferien war hier ja immer tote Hose.“

Klampfenheinis

So suchte man – während sich der Todestag des Nürnberger Meistersängers Hans Sachs zum 400. Mal jährte – für einen Liederwettstreit nach Musikern, die ohne Gage auftraten. „In den Siebzigern gab es unglaublich viele, die den Waders und Degenhardts und Reinhard Meys nacheiferten. Zweihundert Kassetten haben sie uns geschickt“, so Härtel, „wir haben uns diese ganzen Klampfenheinis angehört, das war grauenvoll.“

Irgendwann habe die Stadt Nürnberg erkannt, was man aus dieser Geschichte machen könne. „Es sprach sich schnell rum, dass hier eine gute Atmosphäre herrscht.“ Als das Fest einige Jahre später etabliert war, habe es geheißen: „Wenn du nicht in Nürnberg gespielt hast, bist du kein richtiger Liedermacher.“

In den Gassen, an den Plätzen sieht man dieser Tage viele ältere Männer mit Wandergitarren, grauen Zöpfen und gelblich verfärbten Bärten, die nicht nur darauf hinweisen, dass früher mehr geraucht wurde in der Liedermacherszene, sondern wie ein Symbol für sich hartnäckig haltendes Nichteinverstandensein wirken.

Aufgeklappte Gitarrenkoffer

Auch deren Enkelgeneration ist da. „Wir sind jung und brauchen das Geld“, steht auf einem Schild am aufgeklappten Gitarrenkoffer, hinter dem ein Trio poppige Sounds fabriziert. Derweil trägt Singing Lilly zum vierten Mal ein 4-Non-Blondes-Cover vor – ja, es gibt auch nervige Momente.

Der neue Festivalleiter Rainer Pirzkall will am Grundkonzept nicht groß schrauben: „Wichtig ist, dass die Besonderheit der Konzerte und Locations bleibt“, sagt er. Die Konzertorte sind in der Tat toll, es wird auch in einer Kirchenruine gespielt. Und stilistisch? „Im Bereich der elektronischen Musik ist noch Luft nach oben“, sagt der 36-Jährige.

Zum Jubiläum gibt es Bewährtes: Mit Rainald Grebe und seiner Kapelle der Versöhnung, dem österreichischen Funfolk-Duo Attwenger und dem Münchener Georg Ringswandl hat man alte Bekannte eingeladen, die machen, was sie schon immer gemacht haben: böse Volksmusik, gewohnt gut, zuweilen konservativ.

Rotzige Straßensongs

Entdeckungen: Die kurdische Rembetiko-Sängerin Çiğdem Aslan gibt ein umjubeltes Konzert, der neue portugiesische Fado-Star Gisela João wird gefeiert. Die Bonner Songwriterin Cynthia Nickschas vertritt mit ihren rotzigen Straßensongs vielleicht am ehesten das Widerborstige und Kauzige, das das Festival in seinen Ursprüngen hatte.

Und: Man verpasst wahnsinnig viel. Denn am Schönsten ist so ein Festival ja dann, wenn man sich einfach nur von Ort zu Ort treiben lässt. Und zwischendurch auch mal am Dürer-Denkmal abhängt.

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