Reine Essenz

MAXIMAL LAUT Berlin liebt Krach und Katharsis. Deshalb kommen SunnO))) hier gut an

SunnO))) im Heimathafen Neukölln Foto: Miguel Lopes

Zwei Gestalten in Mönchskutten stehen vor einem Altar aus Boxen und Verstärkern. Über das Publikum im sehr gut gefüllten Heimathafen Neukölln in Berlin hängen Schwaden aus Trockeneisnebel, der Hintergrund ist flimmernd rot illuminiert. Öffnet sich hier gerade das Tor zur Hölle? Die Show der amerikanischen Drone-Gitarrenband SunnO))) ist minimalistisch und doch unheimlich überwältigend. Eine gute Stunde lang machen die Gitarrenmönche eigentlich nichts anderes als rumzustehen, immer mal wieder in die Saiten ihrer Instrumente zu greifen und gelegentlich – das ist dann schon echte Action! – reißt einer der beiden die Faust in die Luft, was im Publikum mit derselben Geste begrüßt wird.

SunnO))) spielten in Berlin am Wochenende gleich zwei Konzerte. Das eine war so schnell ausverkauft, dass sie kurzerhand einen zweiten Termin anberaumten. Dass das Konzert der Band, die Elemente aus Doom- und Blackmetal auf ziemlich originelle Weise mit Spielarten der Avantgarde wie Drone-Musik erweitert, gleich zwei Abende in Berlin ausverkauft ist, ist durchaus bemerkenswert. Schließlich ist die Klanglava, die sie seit gut 16 Jahren erzeugt, alles andere als leichte Kost.

Typisch für die Band, die sich besetzungstechnisch und musikalisch andauernd neu verpuppt, ist, die beiden Auftritte im Heimathafen Neukölln unterschiedlich zu gestalten. Einmal kommt zum Bandkern aus Stephen O’Malley und Greg Anderson als Gast der Kreischsänger Attila Csihar von der Blackmetalband Mayem hinzu. SunnO))) sind inzwischen Meister der Kollaboration.

Um sie herum existiert ein unübersichtliches Netzwerk aus Musikern, mit denen sie an Projekten unter anderen Namen beteiligt sind oder die mit SunnO))) immer mal wieder zusammenspielen. Ihre letzten beiden Alben waren ebenso Kollaborationen, das eine entstand mit dem englischen Solitär Scott Walker, das andere mit den norwegischen Avantgarde-Metallern von Ulver.

Der Konzertabend, den die beiden Kuttenträger allein bestreiten, ist so eine Art Back-to-the-Roots-Event, SunnO))) entschlackt, pur, in der reinen Essenz, so, wie sie Rick Rubin, der schon den späten Johnny Cash aufs Nötigste reduzierte, am liebsten hätte. Und so, wie sie wirklich immer noch am großartigsten sind. Was Greg Anderson und Stephen O’Malley da, ganz allein mit ihren Gitarren und den Verstärkern, veranstalten, ist in seiner Konsequenz ja immer noch schwer zu toppen. Das Konzert ist maximal laut, so gut wie jeder hier im Publikum trägt Ohrenstöpsel, die extra verteilt werden.

Es gibt keine Songs, sondern einfach nur pausenlos Gitarrenriffs, die von Obertönen begleitet werden und sich in Feed­back­grummeln auflösen. Was SunnO))) aufführen, ist eine Ein-Trick-Show, die auf völlige Überwältigung und Katharsis setzt. Nach einem Konzert wie diesem, bei dem einen die Schallwellen zuerst die Magengrube massieren und dann so komisch die Beine erzittern lassen, bei dem wirklich jeder im Publikum nur auf die Bühne starrt und sich niemand unterhält, weil es dafür eh viel zu laut wäre, führt man am Ende auch keine Fachgespräche darüber, was einem nun gut oder weniger gut gefallen hat. Sondern man ist einfach nur froh, dass man den Aufenthalt im Lärmkessel überlebt hat und es endlich mal still ist.

Andreas Hartmann