Action von Beginn an

Hardcore Geglücktes Comeback nach 23 Jahren: „Before Ever After“ ist das erste neue Album der New Yorker Rock-Erneuerer Blind Idiot God

Man ist geneigtzu sagen, es ist das Beste, was man von dieser Band bislang gehört hat

Es ist ja nicht so, dass die Erfolgsquote bei Comebacks im Indie oder Punk höher wäre als in der großen Welt des Pop. Und wieso sollte auch für, sagen wir, die Sex Pistols oder Black Flag etwas anderes gelten als für, sagen wir, Britney Spears oder Guns’n’Roses? Eben.

Aber dann gibt es auch solche Comebacks in der Johnny Cash-Liga. Blind Idiot God, so der Name der Wiederkehrer, die nun in diese Spielklasse aufgenommen werden dürfen, waren zwar nie solche Stars – aber sie waren hochgeschätzte Musiker, die in der US-Independentszene der achtziger Jahre zu den wichtigsten Weiterentwicklern und Fortschreibern der Geschichte des Gitarrenrock gehörten. 1992 veröffentlichte das Trio um Gitarrist und Songwriter Andy Haw­kins sein drittes und letztes Album.

Nun, 23 Jahre später, folgt Album Nummer vier – hierzulande erscheint es mit etwas Verzögerung. Das Mindeste, was man zu „Before After Ever“, so der Name des Werks, sagen kann: Blind Idiot God knüpfen nahtlos an die spektakuläre, spannungsreiche Stilmelange an, für die sie schon damals standen. Eher aber ist man geneigt zu sagen, dass es das Beste ist, was man von dieser Band bislang gehört hat.

Das Besondere an Blind Idiot God – der Name bezieht sich auf H. P. Lovecrafts Figur Azathoth mit dem Beinamen Blind Idiot God – ist, dass ihre Musik in wirklich nahezu alle Richtungen ausufert ohne auseinanderzufallen. Jazz, Art Rock, Hardcore und Reggae fallen einem da ein – vor allem aber Dub und Metal. Wenn The Clash die Band ist, die Reggae und Dub mit Punk zusammenbrachte, so haben Blind Idiot God die Stile Dub und Jazz und Impro mit Metal zusammengebracht. Und auch sie haben ihre Wurzeln in der Hardcore-/Punk-Szene, die Band startete seinerzeit in St. Louis/Missouri, während sie heute in New York ansässig ist.

Auf „Before After Ever“ ist Action, und zwar von Beginn an. Wenn es mit „Twenty Four Hour Dawn“ losgeht, so ist da sofort ein für das Album typisches, schnelles Changieren zwischen tiefen Riffs und hohen Tönen, so sind da spannungsreiche Tempowechsel. Zwischendurch verlassen Hawkins und Co. freejazzartig die eingeschlagenen Pfade, scheinen sich zu verlieren – doch nicht, sie gehen wieder zurück –, ehe man am Ende wieder zum Grundthema zurückkehrt. Gleich im Anschluss an diese knapp neunminütige musikalische Odyssee geht es in „High And Mighty“ mit ordentlich Hall auf der Gitarre und Dub-Akkorden wesentlich gemächlicher zu. Luftholen. Von diesem Wechselspiel, im Kleinen wie im Großen, lebt dieses Album.

74 Minuten lang ist das Werk, und es wirkt auf den Hörer wie eine gute, oft auch verstörende Erzählung, die mal abschweift, einen an andere Orte führt, aber den roten Faden nicht verliert. Wie gut die Dramaturgie ist, zeigt sich gegen Ende des Albums, wenn mit „Under the Weight“ noch mal ein Wahnsinnsstück kommt. Drummer Tim Wyskida,der einst bei der Drone Metal-Band Khanate hinter Snare und Becken saß, spielt Crash-Becken zu Staccato-Riffs von Hawkins, das Schlagzeug treibt das Stück voran, dann kommt Schicht für Schicht dazu, das Stück öffnet sich, nun folgen lange, ausklingende Riffs. Komplettiert werden Blind Idiot God von Will Dahl am brummenden Bass – Langzeitbassist Gabriel Katz hatte während der Entstehung des neuen Albums gesundheitliche Probleme.

Es sind tolle Spannungsbögen, die die drei auf diese Weise schaffen – Instrumentalrock, zumal in klassischer Besetzung einigermaßen reduziert, muss auf Albumlänge auch erst mal funktionieren. Wenn man eine Einschränkung bei diesem Album machen muss, so ist es die, dass die Dynamik live sicher noch um einiges besser rüberkommen wird als auf Tonträger. Aber, auch da gibt es gute Nachrichten: Blind Idiot God sollen bald wieder auf europäischen Bühnen zu sehen sein. Es ist ein Comeback, auf das man sich freuen darf. Jens Uthoff

Blind Idiot God: „Before After Ever“ (Indivisible Music/Flight 13 Records)