Provinzserie mit Wladimir Kaminer: Klarer Blick aufs Abseits

Der Deutschen liebster Russe ergründet das flache Land und seine Abgründe. In der Serie kommt der Autor dem deutschen Wesen ganz nahe.

Waldimir Kaminer und Stefan Strumbel auf einem Traktor

Waldimir Kaminer und Stefan Strumbel auf einem provinziellen Fortbewegungsmittel. Foto: Christian A. Roeder, Nordend Fil.

Er kann kein „ü“ sprechen. Aber das macht nichts, im Gegenteil. Selbst wenn er den Akzent ablegen könnte, er dürfte es gar nicht. Wladimir Kaminer würde sein Geschäftsmodell gefährden, das darauf beruht, dass der in der untergegangenen Sowjetunion sozialisierte Außenseiter den Deutschen die Deutschen und ihr Land erklärt. Weil er durch seine Herkunft das Abseitige und Abgründige zu sehen in der Lage ist, das die Deutschen sich selbst gar nicht zugetraut haben, das sie sich selbst aber sehr sympathisch macht.

Mit Superlativen soll man als Journalist sparsam sein, aber das ist eine eindeutig unumstößliche Tatsache: Kaminer ist der Deutschen liebster Russe. Der Goldmann Verlag listet derzeit 35 Titel von ihm. Da kann man einerseits staunen, dass der fleißige Schreiber überhaupt noch Zeit zum Fernsehmachen hat. Andererseits kann man sich auch wundern, dass dieses Format jetzt erst kommt.

Expeditionen von TV-Promis in die Dörfer sind eigentlich so ein alter Hut, dass manch ein Sender den Promi (Comedian und Schauspieler Michael Kessler) schon mal auf einen Hundeschlitten oder Rasenmäher setzen zu müssen meint, damit die neue Sau noch als solche erkennbar ist. Derselbe Sender (RBB) hat sich auch das kulturorientierte Subgenre ausgedacht und findet es originell, einen prominenten Nebenerwerbslandwirt (Dieter/Max Moor) im Oldtimer zu Berliner Kulturfuzzis in die brandenburgische Pampa zu schicken, wo sie inzwischen alle Bauernhöfe unter sich aufgeteilt haben. Was zur Folge hat, dass andere Kulturpromis, vor allem die Kultur-B-Promis, auf andere Provinzen in anderen Bundesländern ausweichen müssen. Und genau hier kommt nun Kaminer ins Spiel.

„Die ersten zehn Jahre in der Bundesrepublik verbrachte ich in Berlin“, hatte Kaminer schon 2003 in seinem Vorwort zu „Mein deutsches Dschungelbuch“ geschrieben: „Ich hatte damals keine große Lust, in die Provinz zu fahren.“ Um dann natürlich exakt das für sein „Dschungelbuch“ gemacht zu haben. Es sollten noch zwölf Jahre ins Land gehen, bis der auch kulturaffine Sender 3sat auf die Idee kommen würde, Kaminer im schon etwas klapprigen Land Rover zu entsenden. Zu manchmal mehr, meistens weniger prominenten Kulturschaffenden in die außerbrandenburgische deutsche Provinz.

Wahrscheinlich war Kaminer einfach zur falschen Zeit am richtigen Ort

Wobei „Provinz“ zweimal als Bundesland verstanden wird (Teil 3: Saarland, Teil 4: Mecklenburg-Vorpommern), zweimal als Mittelgebirge (Teil 1: Schwarzwald, Teil 5: Eifel) und einmal als Stadt (Teil 2: Wuppertal). Dabei hat die eine Stadt in Sachen Promifaktor mehr zu bieten als alle vier anderen Provinzen zusammengerechnet: den Tänzer Lutz Förster, seit 1975 beim Tanztheater Wuppertal Pina Bausch; das Kraftwerk-/Neu!-Urgestein Eberhard Kranemann; den Skulpturenparkarchitekten Tony Cragg.

Eine begehbare Kuckucksuhr

Wer da meint, die sei doch eher was für Eingeweihte, der wird von allen übrigen Kulturmenschen der Serie noch nie gehört haben. Aber Kaminer ist ja auch der für das Abseitige und Abgründige zuständige. Und was könnte er im Schwarzwald (Folge 1), genauer gesagt in Triberg, Abseitigeres finden als – die Kuckucksuhr? Eine begehbare gar und solche mit Nachtabschaltungsautomatik.

Mit seinem viel bewunderten einzigartigen Blick sieht er klarer und entzaubert den Mythos: „Die Kuckucksuhr ist gewissermaßen aus Langeweile entstanden. Die Winter hier sind hart und außer Schnapstrinken und Liebemachen gab es nicht viel zu tun. Also schnitzte man wie verrückt.“

„Kulturlandschaften“, 19.30 Uhr, 3sat

Triberg ist übrigens das Städtchen, in dem zuletzt der CDU-Bürgermeister zwei „Männerparkplätze“ im Parkhaus mit der Silhouette einer nackten Frau beschildern wollte. Dazu der Text: „Steile Berge, feuchte Täler.“ Wahrhaft ein Kaminer-würdiger Abgrund – der aber in seinem Film leider gar nicht vorkommt. Wahrscheinlich war er einfach zur falschen Zeit am richtigen Ort.

Dafür, und das ist dann doch das Entscheidende, kommt er dem deutschen Wesen ganz nahe und macht es vor allem dem Schweizer 3sat-Zuschauer endlich begreifbar, wenn er einmal nicht selbst erklärt, sondern sich von einem Schwarzwälder erklären lässt: „Der Wald ist für die Deutschen das, was für die Schweizer die Berge sind.“ Worauf Kaminer drei Tage später, in der Folge über Mecklenburg-Vorpommern, noch mal zurückkommen wird.

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