Notruf vor dem Berliner Lageso: Dies ist eine falsche Information

200 Flüchtlinge warten abends auf einen Schlafplatz. Das Amt tut nichts, klagen Helfer. Alles ist geregelt, sagt der Sozialsenator. Das stimmt nicht.

Flüchtlinge sitzen auf dem Boden

Tagsüber warten die Flüchtlinge vor dem Lageso auf eine Registrierung, nachts auf einen Schlafplatz. Foto: dpa

Es brennt. Von der abgefackelten Turnhalle in Reinickendorf, in der auch Flüchtlingskinder Fußball gespielt haben, weht leichter Qualmgeruch herüber. Die Journalisten warten am frühen Mittwochabend hinter dem Absperrband auf weitere Infos. 18.31 Uhr: Das Handy klingelt. „Vor dem Lageso warten 200 Flüchtlinge“, erzählt eine der Engagierten von „Moabit hilft“, der Initiative, die seit Wochen die Flüchtlinge vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales versorgt.

Die offizielle Ansage vom Amt aber sei: Heute kämmen keine Busse, um die Wartenden in Notunterkünfte zu fahren, weil jene voll seien. „200 Obdachlose, wir wissen nicht, was wir tun sollen“, sagt die Frau.

Wenig später tauchen Berlins Innensenator Frank Henkel, Sozialsenator Mario Czaja (beide CDU) und Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) auf. Sie sind alle hier, klar, weil es brennt. Angesprochen auf die Situation vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) sagt Czaja: „Das ist eine falsche Information.“ Es seien Busse unterwegs, und es gebe Platz für 200 Leute in einer Notunterkunft in Karlshorst.

19.45 Uhr, Realitätscheck am Eingang des Lageso-Geländes: Die 200 Flüchtlinge sind noch da, die Busse nicht. Die kommen auch nicht, sagen Mitarbeiter von „Moabit hilft“. Das bestätigt auch eine engagierte Lageso-Mitarbeiterin, die gerade Großraumtaxis ordert, um die Wartenden zu einzelnen Restplätzen in offiziellen Unterkünften zu schicken. Ein Polizist schüttelt den Kopf, als er das hört. Nach Informationen der taz wurden die Lageso-Mitarbeiter gegen 17 Uhr per Mail angewiesen, die Flüchtlinge weg zu schicken. Auf die Straße.

20.15 Uhr. Telefonische Nachfrage beim Sozialsenator, was denn nun stimme. Sein Stand sei, sagt Czaja, dass auf der Wiese vor dem Amt nur noch ein paar Menschen Fußball spielen und alle Familien mit Kindern untergebracht seien. Tatsächlich ist die Wiese weitgehend leer: Die Flüchtlinge warten wie jeden Abend 200 Meter entfernt am Eingang des Geländes. Darunter viele Frauen und Kinder, ein Querschnittsgelähmter im Rollstuhl. Andere sind längst in den als gefährlich geltenden Park nebenan gezogen. Czaja verspricht, nochmal mit dem Lageso-Chef Franz Allert zu reden.

Die private Schlafbörse

Die 20-jährige Sahra organisiert derweil per Telefon, Facebook und über die Webseite moabit-hilft.com Schlafgelegenheiten in Privatwohnungen. „Platz für eine dreiköpfige Familie“, ruft sie den anderen freiwilligen HelferInnen zu. Die schauen dann, welche Gruppe wohin passt. „Platz für vier Männer“: Die Flüchtlinge werden per Taxi gebracht oder gleich von ihren Gastgebern abgeholt. Sahra hat mit anderen meist jungen Frauen mittlerweile ein gut funktionierendes Netzwerk aufgebaut. Warda, die auch mitmacht, sagt später, sie allein habe an diesem Abend Plätze für 40 Menschen vermittelt; ihre MitstreiterInnen weitere rund 60 Plätze.

Lageso-Chef Franz Allert

„Das muss hier alles Schritt für Schritt gehen.“

Franz Allert taucht auf. Der Lageso-Chef zieht die Verteilung der Restplätze in öffentlichen Unterkünften an sich. Die von „Moabit hilft“, meint Allert, seien gut, aber ein wenig hektisch. „Das muss hier alles Schritt für Schritt gehen“. Auf die Frage, wieso es erst keine freien Plätze geben soll, dann 200 an einem Ort und nun doch nur einzelne über die Stadt verteilt, sagt Allert, sein Amt müsse halt immer ein paar Betten für Spätankömmlingen und Notfälle frei halten. Das eigentliche Problem aber sei: insgesamt gebe es viel zu wenig. „Bekämen wir eine neue Halle mit 250 Plätzen, wäre die am gleichen Tag voll. Wir bräuchten etwas richtig Großes.“ Sowas wie das ehemalige Flughafengebäude in Berlin-Tempelhof. Aber da gebe es noch Probleme mit dem Denkmalschutz.

Einer der jungen Moabithelfer erklärt, bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in der Pankstraße gebe es seit Tagen 15 freie Betten. Die würden nur auf eine Kostenübernahme durch das Lageso warten. Die komme aber nicht.

Das ist falsch, sagt Allert, der junge Mann verstehe das System nicht. Wenn die AWO freie Plätze hätte, dann würde das sein Amt doch wissen.

Erst nach langer Debatte lässt Allert doch dort nachfragen. Fünf Minuten später ruft die engagierte Lageso-Mitarbeiterin nach dem „Mann mit der AWO“. Es sei jetzt alles klar, die AWO habe tatsächlich freie Betten, der junge Mann darf 15 Flüchtlinge aussuchen und zur Pankstraße bringen. „Du kennst den Weg?“ Er nickt. Er war ja schon da.

„Super Job!“

Ein Frau von „Moabit hilft“ bedankt sich bei der Lageso-Frau. Super Job! Die beiden fallen sich in die Arme. „Ich bin die Mareike“. „Ich bin die Petra“.

21.30 Uhr. Ein paar Flüchtlinge sitzen immer noch in der Turmstraße, aber die meisten sind tatsächlich irgendwo untergebracht. Für diese Nacht.

Ein paar Deutsch-Araber bringen verschiedene Getränke. Eine Frau spendet Schlafsäcke und Isomatten. Der junge Schlacks von „Moabit hilft“, der hier jeden Abend steht, bereitet sich auf die Nachtwache vor. Er trägt eine stichfeste Weste. Für den Fall, dass es mal wieder brennt.

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