Die Wahrheit: Delfine des Orients

Um die Sympathiewerte von Flüchtlingen in der Bevölkerung zu steigern, werden sie nun in artgerechter Umgebung präsentiert.

Illustration: Michael Zander

Die fröhlich schnatternde Menschenmenge, die vor dem Kassenhäuschen in der Warteschlange steht, ist bunt gemischt. Wir sehen solariengebräuntes Landvolk in uriger Joggingtracht neben kichernden Japanern mit Tropenhelmen. Sogar eine Busladung bärtiger Hipster aus dem fernen Berlin hat es ins tiefste Sachsen gezogen, wo vor wenigen Wochen der erste Prima-Park eröffnet wurde.

Sie alle zahlen bereitwillig Eintritt, um die exotischen Kreaturen zu bestaunen, die in artgerechter Haltung darauf warten, dass ihr Asylantrag vielleicht irgendwann bearbeitet wird.

Überall stehen Schilder: „Palästinenser-Kinder streicheln: 1 Euro“, „Echte Araber reiten: 3 Euro“, „Rasen betreten verboten“ und „Bitte nicht füttern“. Lutz Fleischmann, der Initiator des Prima-Park-Projektes, begrüßt uns mit kernigem Händedruck. Bis vor wenigen Wochen war hier noch Post-Wiedervereinigungs-Brachland, ein ehemaliger Genossenschaftsbauernhof, dem Verfall überlassen.

Mit Tatkraft und unternehmerischer Fantasie hat Fleischmann, ein rundlicher Mittdreißiger mit Pferdeschwanz und Lehrerbart, daraus eine blühende Attraktion für Jung und Alt geschaffen.

Umfassendes Re-Branding

Mit quietschenden Gummistiefeln führt er uns herum und zeigt uns die Anlagen: Das weitläufige Syrer-Gehege. Der Zwinger mit den drolligen Afghanen. Die possierlichen Iraker auf ihrer Sommerweide. Klein-Albanien, karg und steinig, durch das die ebenso stolzen wie streitlustigen Balkan-Hominiden streifen. „Die Idee kam mir, als ich so auf Facebook herumsurfte und bemerkte, dass Asylkritiker und Rassenskeptiker in der Regel ein großes Herz für Tiere haben“, erklärt Fleischmann. „Grindwal-Massaker scheinen diese Menschen tiefer zu berühren als Genozid in Syrien, rumänische Straßenhunde mehr Empathie freizusetzen als hungernde afrikanische Kinder. Warum brennen Flüchtlingsheime, aber niemals brennt ein Tierheim?“ Fleischmann hält inne und wedelt mit dem Zeigefinger herum. „Ich sag’s Ihnen: Weil Flüchtlinge ein massives Imageproblem haben. Es fehlt ihnen an Niedlichkeit. Hier war ein umfassendes Re-Branding vonnöten.“

Fleischmann startete eine Online-Umfrage, die seine Vermutung bestätigte: Pudel, Pinguine, Pandas, Ponys, Erdmännchen oder Nymphensittiche erreichten Spitzensympathiewerte zwischen 95 und 99 Prozent. Sogar der Wolf kam auf solide 70 Prozent, während politische Flüchtlinge mit 30 Prozent ähnliche Beliebtheit wie Kreuzottern erfuhren und Wirtschaftsflüchtlinge gar am Tabellenende zwischen Stubenfliege und Küchenschabe herumkrebsten.

„Wenn man die besorgten Bürger also dazu brächte, Flüchtlinge wie Hunde zu behandeln, dann wäre das ein Upgrade, das diesen Menschen das Leben sehr erleichtern würde. Und da kam mir die Idee zum Asylantenpark. Ein prima Konzept. Hier können Eingeborene die fremdartigen Wesen unter Erlebnis-Zoo-Bedingungen besichtigen und ihre Scheu vor den bizarren Geschöpfen abbauen. Mit dem Geld, das wir einnehmen, finanzieren wir tierärztliche Versorgung und artgerechtes Futter. Gerade frische Maniokwurzeln und saftiges Bushmeat schlagen doch arg ins Geld.“

Kostenlose Voodoo-Workshops

„Faszination Afrika“ prangt in bunten Neonlettern über der Tür, durch die wir einen Hangar betreten. Drinnen ist es heiß und grün wie in einem Treibhaus. Fleischmann breitet die Arme aus: „Und hier sind unsere N-Menschen untergebracht, die beliebteste Attraktion.“ – „N-Menschen?“ – „Na, wegen dem verbotenen N-Wort“, sagt Fleischmann ungeduldig. – „Nazi?“ – „Nein, das andere. Aber alles total korrekt. Nur die Leopardenfellumhänge, die ich für sie schneidern ließ, mussten wir wieder verschwinden lassen. Tierschützer sind auf die Barrikaden gegangen. Jetzt sind sie ganzheitlich vegan angezogen.“

In der Tat: Schwarzafrikaner in Baströckchen sitzen unter Palmwedeln, schaukeln in Autoreifen, hängen an Lianen, futtern Bananen, trommeln auf Bongos und grinsen in die Kameras der Besucher. In einer Hütte bietet ein Dr. Samedi kostenlose Voodoo-Workshops an.

„Die Primitiven haben mehr Angst vor uns, als wir vor ihnen“, erklärt ein bierbäuchiger Papa in FC-Bayern-Trikot seinem pummeligen Sohn. Der schneidet eine Grimasse.

„Ist es denn nicht menschenunwürdig, diese Leute so einzusperren und vorzuführen“, fragen wir. – „Das ist doch nur während der Öffnungszeiten. In ihrer Freizeit dürfen sie die Gehege verlassen und sich normal benehmen. Die Privatquartiere befinden sich dort hinten in den ehemaligen Stallungen.“ – „Stallungen?“ – „Viel geräumiger und komfortabler als dieses berüchtigte Zeltcamp bei Dresden. Dort gibt’s 50 Quadratmeter für 34 Menschen, bei uns gibt’s 50 für 25, das sind satte zwei Quadratmeter pro Stück. Und keine Seuchengefahr wie drüben, hier ist alles sauber. Fließend Wasser, State-of-the-Art-Latrinen, täglich frische Streu.“

Freie Kost und Logis

„Wer in diesem Land Schweine so beengt unterbringt“, halten wir dagegen, „muss mit einer Anzeige rechnen. Die haben nämlich Anspruch auf 2,25 Quadratmeter pro Sau.“ – „Aber Flüchtlinge und Sauen gehören verschiedenen Arten an und sind auch vom Körperbau ganz anders beschaffen. Der Vergleich hinkt also gewaltig“, klärt Parkranger Sparwasser auf, der sich uns angeschlossen hat, nachdem er ein Rudel Ägypter zur Tränke geführt hat.

„Und überhaupt“, sagt Fleischmann: „Freie Kost und Logis, eine medizinische Versorgung rund um die Uhr sowie viel Freizeit zur Erholung. Wer will denn noch mehr? Auf Campingplätzen in den touristischen Regionen Europas verlangen Reiseveranstalter für ihre Unterkünfte im Zelt sehr viel Geld und bieten nicht annähernd den Luxus, den der Prima-Park zu bieten hat. Zwanzig Toiletten für 350 Gäste? Davon können die meisten Urlauber beim Campingurlaub nur träumen.“

„Darüber hinaus“, sagt Ranger Sparwasser, „bieten wir Kurse zur Einführung in unsere Kultur und unsere Werte an. Viele kennen Deutschland ja nur durch Modern Talking und Inspektor Derrick, dabei hat unsere Kultur so viel mehr zu geben. Bei uns erhält man Schulung in Gartenzwergkunde, Musikantenstadl und Dschungelcamp, aber auch ernste Sachen wie Dieter Nuhr.“

Richtige Wasserratten

„Die jungen Orientalen haben vor allem Germany’s Next Top Model super angenommen“, meint Fleischmann. „Viele von denen haben ja ein total archaisches Frauenbild, längst nicht so fortschrittlich wie in unserer Zivilisation.“

Wir kommen an einem großen Schwimmbecken mit Tribünen vorbei. „Perser: Die Delfine des Orients. Tägliche Show um 16 Uhr“ steht auf einem Schild. „Das sind total gute Schwimmer, die Iraner“, sagt Sparwasser, „richtige Wasserratten, das hat mich total überrascht bei diesen Wüstensöhnen.“

Fleischmanns Idee macht Schule: Überall in Deutschland und der Schweiz werden zurzeit Prima-Parks eröffnet. Luxemburg hat einen putzigen Zigeunerzoo, Frankreich das fantastische Tunisia-Land und auch Großbritanniens Con-Camps vermelden Besucherrekorde. „Ich wollte eben für alle Beteiligten das Beste aus der Apartheid-Grenzpolitik der EU machen.“, lächelt Fleischmann. „Ich bin einer von den Guten.“

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