Zum 70. Jahrestag des Kriegsendes: Korea in Berlin

Seit der Befreiung ist die koreanische Halbinsel bereits geteilt. Die Künstlerin Lee Eun-sook hat die verfeindeten Staaten miteinander verbunden – in Berlin-Mitte.

Lee Eun-sook vor der Botschaft Nordkoreas. Foto: Fabian Kretschmer

BERLIN taz | An diesem sonnigen Samstagmittag liegen Nord- und Südkorea nur 3,8 Kilometer entfernt. „Lasst uns gemeinsam den Friedensmarsch beginnen“, ruft Lee Eun-sook, komplett in weiß gekleidet, zu einer Menschentraube vor der südkoreanischen Botschaft. An ihrem Rücken trägt die Künstlerin zwei Spulen, an denen neonfarbene Fäden befestigt sind. Anhand dieser will sie die beiden Brüderstaaten symbolisch miteinander verbinden – durch das Brandenburger Tor hindurch, entlang am Holocaust-Mahnmal bis hin zur nordkoreanischen Botschaft.

Auf den Tag genau vor 70 Jahren wurde die koreanische Halbinsel von seinen japanischen Besatzern befreit, und fast ebenso lange sind die beiden Koreas nun schon geteilt. Entlang des 38. Breitengrades durchtrennt eine auf beiden Seiten hochgerüstete, vier Kilometer breite Demarkationslinie das Land. Als „furchteinflößendsten Ort der Welt“ bezeichnete einst der ehemalige US-Präsident Bill Clinton die DMZ. Für viele Koreaner symbolisiert sie vor allem eins: eine familiäre Tragödie.

Auch Lee Eun-sooks Eltern stammen ursprünglich aus dem Norden. Während der Wirren des Koreakriegs flüchteten sie auf einem US-Marineschiff gen Süden, wo sie sich in einem Auffanglager für Flüchtlinge kennenlernen. Lange Zeit blieb die traumatische Vergangenheit jedoch Tabu in der Familie. Niemand wagte es, die schmerzhaften Erinnerungen wieder hervorzuholen.

Erst 2005, inspiriert durch ihrem ersten Berlin-Aufenthalt, während der jede Straßenecke förmlich von der bewegten Vergangenheit der wiedervereinigten Stadt zu erzählen schien, fragte Lee bei ihren Eltern nach. Und erfuhr auf diesem Wege schließlich von ihren vier Halbgeschwistern, die der Vater im Norden zurücklassen musste. Jahrzehntelang ließ er heimlich nach ihnen suchen, gab ein Großteil seines während des rasanten Wirtschaftsaufschwungs angehäuften Wohlstandes aus – ohne jedoch von ihrem Verbleib zu hören. Vor vier Jahren nahm er schließlich die Ungewissheit mit ins Grab. Lee sagt: „Ich bin mir sicher, dass meine Geschwister noch am Leben sind, zumindest einer von ihnen. Ich hoffe inständig, dass ich sie noch einmal sehen kann – in einem vereinten Korea“.

Kein Interesse an einer Wiedervereinigung

Wirklich wahrscheinlich ist das nicht, denn 70 Jahren nach der Befreiung Koreas scheinen die Grenzen zementierter als jemals zuvor. Erst vor wenigen Tagen verletzten sich zwei südkoreanische Soldaten im Grenzgebiet bei einer Minenexplosion. Auch wenn Nordkorea jegliche Verantwortung von sich weist, hat Südkorea bereits Vergeltung geschworen. Die Armee hat entlang der DMZ Lautsprechermaste aufgerichtet, um den Nachbarstaat mit politischer Propaganda zu beschallen – ein Rückschritt in vergangene Jahrzehnte.

Tatsächlich sinkt mit jeder weiteren Generation das Interesse an einer Wiedervereinigung. Für die Jugend Südkoreas ist der Norden oft nur mehr ein fremdartiges Land, nicht zuletzt ein wirtschaftlicher Klotz am Bein, der den neugewonnenen Wohlstand gefährdet. Auch sprachlich haben sich die beiden Koreas nach jahrzehntelanger Trennung voneinander weg entwickelt, das wirtschaftliche Gefälle ist groß wie nie zuvor, und auch physiognomisch entfremden sich die Nachbarländer zusehends: Nordkoreanische Jugendliche sind mittlerweile im Schnitt 13 Zentimeter kleiner und elf Kilogramm leichter als ihre südlichen Altersgenossen. Auch die Lebenserwartung unterscheidet sich um rund zehn Jahre.

Hong Eun-ah kann sich noch gut daran erinnern, wie sie als Grundschülerin den 15. August gefeiert hat: Damals wurde ihrer Klasse von den Lehrern aufgetragen, in den umliegenden Wäldern die politischen Flugblätter aufzulesen, die die nordkoreanische Armee in Luftballons über die Grenze geschleust hat. Regelmäßig wurden sie im Unterricht vor Spionen aus dem Norden gewarnt, und in landesweiten Malwettbewerben zeichneten sie die Nordkoreaner als frevelhafte Karikaturen.

Heute tut sie vieles davon als übertriebene Paranoia ab. „Ein riesiges Problem ist, dass wir nicht die Möglichkeit haben, uns gegenseitig kennenzulernen. Die meisten Südkoreaner wissen – wie ich auch – nur durch die Regierung oder über die Medien voneinander“, sagt die 32-jährige Hong, die seit 2007 bereits in Deutschland lebt. Damit sich etwas ändert, hat sie sich dem Friedensmarsch Richtung nordkoreanische Botschaft angeschlossen.

Verbotene Kooperation

Mit dieser hatte auch Roman Hillmann zu tun. Als befreundeter Künstler übernahm er die Organisation des koreanischen Friedensmarsches. Doch die Vertretung Pjöngjangs untersagte jegliche Kooperation. „Wenn Nordkorea noch nicht einmal zulässt, dass eine Künstlerin zwei Fäden an ihre Botschaft anbringt – wie soll dann eine Annäherung zustande kommen?“, sagt Hillmann.

Als der Friedenszug an seinem Zielpunkt ankommt, lassen sich tatsächlich ein paar Botschaftsmitarbeiter sehen. In weit geschnittenen Hemden, braunen Stoffhosen und Jesus-Sandalen beobachten sie misstrauisch die Menschentraube vorm Botschaftseingang. Als ein südkoreanisches Fernsehteam das Stativ für ein Interview mit der Künstlerin aufbaut, platzt einem der Nordkoreaner der Kragen: „Haut ab, ihr habt hier nichts zu suchen“, brüllt er durch das Eingangsgitter.

Wenig später zerschneidet Lee Eun-sook die zwei Fäden. Ineinander verschlungen fallen sie auf den Bordstein.

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