Meditativ elegant und geschmeidig

TANZ Nichts weniger als begeisternd: Die junge chinesische Company Tao Dance Theatre bei ihrem Gastspiel am Mittwochabend beim Festival „Tanz im August“ im Haus der Berliner Festspiele

Bewegung modelliert den Klang und wird Teil der Zeichnungen im Raum

Als das Festival „Tanz im August“ vor zwei Wochen im Haus der Berliner Festspiele mit einem Klassiker der Postmoderne im Tanz begann, mit Lucinda Childs „Available Light“ von 1983, da war noch nicht abzusehen, dass ein junger Choreograf aus China die überraschendste Fortsetzung dieser Linie im Tanz bildet.

Repetitive Muster in der Musik und im Tanz, Beschränkung auf wenige und klare Linien im Raum, eine Architektur aus Licht, Reduktion der Farben und eine Ästhetisierung des Minimalismus, die als Eleganz daherkommt – all diese Qualitäten wurden zum Markenzeichen der amerikanischen Choreografin. All diese Attribute lassen sich auch im Stil von Tao Ye und seiner Company Tao Dance Theatre finden, 2008 in Peking gegründet. Doch wo man Lucinda Childs eher mit Respekt vor der Tanzgeschichte begegnete, sieht man das Tao Dance Theatre unter dem Vorzeichen einer aufregend neuen Bewegung.

Das liegt vor allem an einer besonderen Spannung, die Tao Ye durch die Verbindung von Virtuosität und Reduktion erzeugt. Der in Berlin gezeigte Abend bestand aus zwei Teilen, „6 & 7“ betitelt, 6 von 6 TänzerInnen in dunklen Kostümen in einem von grauem Rauch erfüllten Raum exerziert, 7 von 7 TänzerInnen in weißen Schlauchkleider auf weißen Tanzboden in einem schwarzen Raum. Ja, exerziert, dieses martialisch und militärisch aufgeladene Wort, passt in seiner Strenge und Unerbittlichkeit durchaus zu dem Duktus, in dem die sehr jungen Künstler Hüften und Schultern vertwisten, den Kopf in den Nacken werfen, den Torso im Halbkreis schleudern, sich seitlich, vor und zurück in Wellen verbiegen.

Weiche Wirbelsäulen

Aber zugleich ist dieser Akt der Disziplin von so großer Geschmeidigkeit, von solcher Weichheit in Wirbelsäulen und Gelenken, dass sich auch eine ganz andere Anmutung einmischt, von der Vielzahl der Entfaltungsmöglichkeiten des Organischen. Nicht zuletzt erzeugen die Wiederholungen eine Art Trance, einen Wechsel in einen anderen Zustand der Selbstvergessenheit und Konzentration. Dazu trägt die Musik bei, in 6 von Xiao He, in 7 von Tao Ye selbst komponiert. 6 beginnt fast ohne Licht, langsam erst vermag man im Dunkeln Bewegung zu spüren, während sich ein vibrierender, sirrender Klang aus elektronisch erzeugten Streichern zu einem massiven Sound aufbaut. Bass und Percussion setzen im Verlauf des halbstündigen Stücks ein, führen auch durch archaische Klangräume und treiben schließlich mit einem Beat voran. In 7 bewegen sich die Körper anfangs in großer Stille; wenn Stimmen leise summend einsetzen, kann man zunächst kaum glauben, dass sie aus den heftig bewegten Körpern kommen. Schließlich sieht man, wie die Bewegung den Klang modelliert und er zum Teil dieser konturenreichen Zeichnungen im Raum wird.

Das Tao Dance Theatre hat international eine erstaunliche Karriere hingelegt, von großen Festivals und Theatern eingeladen. Sie sind dadurch zu so etwas wie einem Repräsentanten eines aufbruchswilligen Chinas geworden. Im Magazin, das das Festival „Tanz im August“ begleitet, fragt die Kuratorin Virve Sutinen den gerade von Beijing nach Paris fliegenden Choreografen in einem Chat-Interview nach der Verbreitung des zeitgenössischen Tanzes in China.

Tao Ye antwortet mit einem ebenso lapidaren wie selbstbewussten Bild: „Im China der Zukunft wird den Künsten eine entscheidende Rolle zukommen. Derzeit genießt Kunst im Land einen zweifelhaften Ruf, ungefähr so wie Hähnchenflügel. Das ist der unbeliebteste Teil des Hähnchens. Dann wäre zeitgenössischer Tanz so was wie der Hühnerknochen der Künste.“ Nicht sehr ermutigend. Aber das Tao Dance Theatre hat einen starken Verbündeten gefunden in der Modeindustrie.

Das Magazin Vogue China brachte mehrfach Geschichten, das Stylemagazin Men’s Uno verlieh Tao Ye einen Elegance Award und – auf YouTube zu finden – der renommierte Modemacher Yohji Yamamoto holte das Ensemble auf seinen Laufsteg. Tatsächlich verbindet sich dort ein Ausschnitt aus dem Tanzstück 6 mit dem Auftritt der Models in Yamamotos Schnitten als wäre es dafür gemacht. Die Linien korrespondieren, die Konzentration und die Reduktion, die Zurückhaltung und die Strenge.

Katrin Bettina Müller