Friederike Schmitz Foto: Gabriele Goettle

Mit Haut und Haaren

VON Gabriele Goettle

„Unterhalb der Räume, in denen millionenweise die Kulis der Erde krepieren, wäre dann das unbeschreibliche, unausdenkliche Leiden der Tiere, die Tierhölle in der menschlichen Gesellschaft darzustellen, der Schweiß, das Blut, die Verzweiflung der Tiere.“

(Horkheimers Wolkenkratzer-­Metapher )

Dr. phil. Friedericke Schmitz, freiberufliche Publizistin, Dozentin an d. FU Berlin. 1982 in Kiel geboren u. aufgewachsen, nach Schule u. Abitur Studium in Heidelberg, Cambridge u. Berlin; 2008 Magistra Artium in Philosophie u. Neuerer deutscher Literatur a. d. Humboldt-Universität. 2008 bis 2011 wissensch. Mitarbeiterin am Philosophischen Seminar d. Universität Heidelberg, 2012 bis 2014 wissenschaftliche Mitarbeiterin am philosophischen Seminar d. Universität Tübingen. 2013 Promotion in Heidelberg: Zur philosophischen Methodologie von David Hume u. Ludwig Wittgenstein. Publikationen: „On Kant ’s Conception of Inner Sense: Self-Affection by the Understanding“, in: European Journal of Philosophy, online 8. Mai 2013. (Hg.): Tier­ethik. Grundlagentexte, Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. David Hume als therapeutischer Philosoph. Eine Auflösung der Induktionsproblematik mit wittgensteinianischer Methode, online 2014. Sie lebt streng vegan, derzeit arbeitet sie z. Ethik und Politik d. Mensch-Tier-Beziehung u. engagiert sich in verschiedenen Gruppen der Tierbefreiungsbewegung. Friedericke Schmitz ist unverheiratet.

In Deutschland grassiert eine Art Barbecue- Wahnsinn. Bau- und Gartenmärkte bieten ausladende Grillmaschinen an. Das Zubehör ist umfangreich und staffiert den Hausvater so aus, wie wir es aus amerikanischen Filmen kennen. Auch die Fleischstücke werden immer größer, zum Wenden bedarf es massiver Gerätschaften. Der Saft und die Soßen werden Ihnen von den Lippen tropfen, verheißt protzig die Werbung. Demgegenüber etabliert sich eine Bewegung für fleischlose Ernährung. Schätzungsweise gibt es momentan in Deutschland rund 7,8 Millionen Vegetarier (rund 10 % der Bevölkerung), wobei 13 % weibliche Vegetarierinnen, 3 % männlichen Vegetariern gegenüber stehen. Unter den 18- bis 24-jährigen Frauen beträgt dieser Anteil sogar etwas über 16 %. Dazu gibt es nach vorläufigen Schätzungen etwa 900.000 Veganer (1,1%). Tendenz steigend. Veganer lehnen nicht nur den Verzehr von Fleisch ab, sondern auch den von Honig und Milchprodukten. Ebenso die Verwendung von Wolle, Federn, Pelz, Leder und Seide. In reichen Ländern ist das im Prinzip kein Problem, denn es gibt eine breite Palette von Ersatzstoffen. Meist erfolgt die Entscheidung für eine vegane Ernährung aus Tierschutzgründen. Die Anhänger des sog. ethischen Veganismus verstehen sich weitgehend als Teil der linken Bewegung, sie wollen eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die Beendigung der Unterdrückung und Ausbeutung von Mensch und Tier. Weltweit.

Es scheint aber schier unmöglich, in einer Gesellschaft mit massenhafter Fleischproduktion, den tierischen Bestandteilen die überall verarbeitet werden, aus dem Wege zu gehen. Beispielsweise enthalten Zigarettenfilter den Eiweißstoff Hämoglobin, gewonnen aus Schweineblut, er dient zum Filtern von Schadstoffen aus dem Tabak. Die meisten Seifen enthalten Fettsäuren aus Schweineknochen, Körperlotionen enthalten Kollagen aus Rindergewebe usf. Bedenkenswert für radikale Veganer müsste eigentlich auch der Genuss von Kunst und Kultur sein. Gemälde könnten mit Eitemperafarben und Echthaarpinseln gemalt worden sein. Das heißt, keine niederländischen Meister mehr, kein Pieter Brueghel. Keine Konzerte mehr mit Streichinstrumenten, die mit Knochenleim zusammengefügt wurden, deren Bögen mit dem Schweifhaar von Schimmeln bespannt sind, an denen Horn und Elfenbein verarbeitet wurde. Keine Instrumente mit Darmsaiten, kein Klavierkonzert auf einem Flügel mit Elfenbeintasten und Wollfilzhämmerchen, keine Trommeln und Pauken, keine Blasinstrumente mit Hasenfilz auf den Klappen. Hier zeigt sich das Dilemma einer jahrtausendealten Nutzung von Tieren und ihren Bestandteilen für die menschliche Ernährung, Bekleidung und Kunst und Kultur.

Problematisch innerhalb der Bewegung sind aber insbesondere befremdliche Thesen und Vergleiche: Die Tierrechtsorganisation PETA hat z. B. auf ihrer Webseite zum Thema Tierrechte Folgendes formuliert: „So wie ein geistig behinderter Mensch Rechte hat, selbst dann, wenn er oder sie nicht niedlich oder nützlich ist und keiner ihn oder sie mag.“ Der Bioethiker Peter Singer, „Vater der neueren Tierrechtsbewegung“, macht sich seit 1979 mit Sätzen wie diesem unmöglich: „Die Tötung eines behinderten Säuglings ist nicht moralisch gleichbedeutend mit der Tötung einer Person. Sehr oft ist sie überhaupt kein Unrecht.“ Und während er für bestimmte Personengruppen den Status als Mensch zur Disposition stellt, fordert er Menschenrechte für Menschenaffen. Gegen Letzteres wäre nichts einzuwenden, außer durch ihn selbst. Er hat nämlich andererseits keine Bedenken gegen Tierversuche an Primaten – vorausgesetzt, es handelt sich, wie bei der Parkinsonforschung, um „gerechtfertigte Forschung“, bei der der Nutzen für den Menschen das Leid des Tieres überwiegt.

Friedericke Schmitz, Veganerin und Tierrechtlerin, ist so freundlich, uns ihre Sicht auf die Dinge darzustellen: „Ich habe als Kind und Jugendliche ganz normal gegessen, hatte jedoch bereits mit 14 Jahren einiges zum Thema Massentierhaltung über die Medien mitbekommen. Ich fand das sehr schlimm, habe mich dann damit beschäftigt, mit meinen Eltern drüber gesprochen und auch mit meinen Schulfreunden. Das hatte zur Folge, dass ich eine Weile fast ausschließlich vegetarisch gegessen und meine Eltern dazu gebracht habe, nur noch Biofleisch zu kaufen. Ich habe mir einen T-Shirt-Aufdruck gemacht gegen Tierversuche und hängte in der Nachbarschaft Zettel auf gegen den Kauf von Fleisch aus der Massentierhaltung. Dann aber, während des Studiums, habe ich das Thema wieder irgendwie verdrängt und ignoriert, habe wieder Fleisch gegessen. Meist Biofleisch, aber auch mal das Schnitzel in der Mensa. Ich bin erst recht spät, nämlich 2007, im Alter von 25 Jahren Vegetarierin geworden. Es war eine Entscheidung, die längst überfällig war. Ich dachte, ich muss mal Klarheit schaffen in meinem Leben! Ab jetzt bin ich Vegetarierin. So habe ich das Thema abgehakt.

Es war dann so, dass ich immer mal wieder was zum Thema gelesen habe, der Auslöser für eine ernsthaftere weitere Beschäftigung war dann aber ein Plakat von der Gruppe ‚Animals Angels‘ (Tierschutzorganisation, Ende d. 90er Jahre gegründet. Schwerpunkt Kampf f. d. Verbesserung d. europäischen Transport- und Verladebedingungen für Tiere. Anm. G.G.). Thema war damals gerade der Milchpreis und da stand auf dem Plakat: ‚Alle reden von der Milch, wir reden von der Kuh!‘ Ich habe mich dann über die Milchproduktion informiert und fand das schrecklich, diese Hochleistungsqual. Ich dachte, das kann ich nicht auch noch unterstützen durch Milchtrinken, versuche ich das einfach mal, das Vegansein. Es waren auch einige Leute in meinem Freundes- und Bekanntenkreis Veganer, aber ich habe nicht gesagt, dass ich mit dem Gedanken spiele …

Ich fing einfach ziemlich locker an, habe in der Mensa immer das gegessen, was irgendwie vegan aussah. Inzwischen gibt es ja vegane Gerichte. Es war mir vollkommen klar, alle tierischen Nahrungsmittel sind schlecht, auch das Biofleisch. Wenn ich das esse, nehme ich das Leid der Tiere in Kauf. Ich habe dann auch so ein bisschen Tierethik an der Uni gemacht, habe bei meiner Magisterprüfung mir Singer ausgesucht. Habe mir auch Infos von Organisationen zum Tierschutz und zu den Tierrechten besorgt und angesichts der Grausamkeiten habe ich gefunden, dass die so radikal und extrem wirkende Haltung von Veganern genau passend ist. Es ist extrem, was da abgeht in der Fleischindustrie und Massentierhaltung, also hat es keinen Sinn, immer nur so vor sich hin zu wurschteln, ich musste mich deutlich dazu positionieren und Veganerin sein. Das war im Jahr 2009. Und sehr schnell habe ich festgestellt, es dreht sich dadurch sozusagen die ganze Betrachtung, weil man diese Nahrungsmittel im Alltag gar nicht mehr braucht. Man lebt total gut ohne sie. Und man hat das sichere Gefühl, endlich eine wichtige Konsequenz gezogen zu haben. Aber das Veganleben verändert natürlich gesellschaftlich nicht viel, ich habe ja noch nichts getan, nur aufgehört damit, etwas zu tun. Das vegane Konsumieren an sich ist noch keine politische Handlung. Dennoch hat es bei mir sozusagen einen richtiggehenden Bewusstwerdungsprozess ausgelöst. Meine Haltung, generell zur Gesellschaft und auch zur Welt, hat sich verändert. Man könnte sagen, es hat mich politisiert. Ich war zwar auch vorher schon ganz allgemein an Politik interessiert, war aber nie politisch aktiv. Ich war ziemlich naiv, hatte selbstverständlich Vertrauen in den Rechtsstaat, in die Demokratie, musste dann aber erkennen, am Beispiel des Umgangs mit den Tieren, dass solche krassen und schlimmen Dinge sich in der Mitte der Gesellschaft abspielen, dass sie unterstützt und gefördert werden von staatlichen Organisationen. Und das hat bei mir zu einer ganz starken Skepsis geführt, auch gegenüber anderen gesellschaftlichen Bereichen. Zum Beispiel auch dazu, dass ich das kapitalistische Wirtschaftssystem sehr problematisch finde, die ganze Weltordnung. Es ist ja auch kein Zufall, dass die ersten ausgearbeiteten Theorien zum Tierrecht 1894 vom Sozialisten Henry Stephans Salt aus der linken Theorietradition kamen. Es war klar, dass der Kampf gegen die Ausbeutung und die kapitalistische Verwertungslogik auch die Tiere mit einschließen muss. Diesen Gedanken hat dann auch die Frankfurter Schule in ihrer Kritischen Theorie wieder aufgenommen.

Ich bekam einfach eine veränderte Einstellung gegenüber dem ‚Normalen‘. Im Laufe der Zeit hatte ich das Bedürfnis, aktiv zu werden, etwas zu unternehmen und ich suchte nach Möglichkeiten, wie ich mich engagieren könnte. Ich war dann in Berlin in einer veganen Gruppe, da wurden auch Infostände gemacht. Ich habe mich auch darüber hinaus engagiert mit Recherchen, Briefen an Zeitungen, Blockaden von Schlachthöfen und in der Gruppe Tierversuche/Widerstand. Wir haben gerade vor vier Wochen in Aschersleben etwas gemacht, da sollen in der Gegend zwei neue Geflügelmastanlagen gebaut werden, eine für 60.000, die andere für 100.000 Tiere. Dagegen regt sich natürlich Widerstand. Aufklärung ist sehr wichtig, auch über die weltweiten Probleme. Also ich unternehme natürlich keinerlei Aktivismus, um in Peru die Tierhaltung abzuschaffen, aber ich mach darauf aufmerksam, dass die Tierhaltung in unseren Industrieländern vielen Leuten in den ärmeren Ländern sehr schadet. Die Weltgetreideernte beträgt in normalen Zeiten zwei Milliarden Tonnen. Davon gehen allein 500 Millionen Tonnen weg für die Intensivernährung von Schlachtvieh. Das bedeutet, dass dafür Regenwald abgeholzt wird, Menschen hungern, der Klimawandel beschleunigt wird. Also es gibt viel Diskussionsbedarf.

Die Zwecklosigkeit des Tiers

Die Leute fragen dann immer, wie es unserer Meinung nach in der Zukunft aussehen sollte. Das ist natürlich schwierig zu beantworten. Aber ich sage es mal so: Also unsere Utopie sieht da ja meistens vor, dass Tiere unter Missachtung ihrer eigenen Interessen und Bedürfnisse keinesfalls mehr zu menschlichen Zwecken genutzt werden dürfen. Auch nicht im Sport oder zum Zweck der Unterhaltung, also als Reitpferde, Zoo- oder Zirkustiere. Eben so wenig dürfen Tiere zukünftig noch Eigentum sein. Es müssen ihnen Rechte zugestanden werden.“ Ich werfe ein: „Wenn sich der Wunsch der Tierrechtler nach einem Ende der Nutztierhaltung über Nacht erfüllen würde, dann gäbe es die 850 Millionen Nutztiere hier bei uns nicht mehr. Ihre Abwesenheit würde wahrscheinlich kaum auffallen, denn ihre Anwesenheit heute ist für uns ja auch kaum sichtbar, außer bei den Mahlzeiten. Jedenfalls wäre doch die Frage ihrer Lebensbedingungen und Rechte damit dann hinfällig!“ Frau Schmitz schweigt einen Moment und sagt dann: „Mh … hm. Ja, dann stellt sich die Frage, zu welchem Zweck soll man Tiere dann noch haben? Nur so fürs ‚zweckfreie‘ Zusammenleben? Dazu gehen die Meinungen in der Tierrechtsbewegung auseinander. Manche sagen, die Domestikation ist eigentlich ein Ausbeutungsverhältnis gewesen, von vornherein. Sie wurden von uns abhängig gemacht und wenn es sie weiterhin gibt, dann bleiben sie abhängig. Es kann nie ein faires Verhältnis geben! Und andere, wie Gary Francione, ein US-amerikanischer Rechtsprofessor, die fordern Tierrechte und sind der Meinung, dass damit auch domestizierte Tiere ein gutes Leben führen könnten innerhalb der menschlichen Gemeinschaft, z.B. indem sie als Mitbürger respektiert werden. Gut, bleibt die Frage nach ihrem Zweck, ich würde sagen, sie haben erst mal keinen. Wir haben ja auch keinen.

Ich habe vorigen Herbst auf einem bioveganen Gemüsehof mitgearbeitet, zwei Wochen lang. Da gab es zwar ein Haustier, einen Hund, aber keinerlei Nutztiere. Das war schön. Der Hund wird vegan ernährt, doch doch! Das geht. Man kann Hunde und Katzen sehr gut vegan ernähren.“ (Ich habe mich inzwischen sachkundig gemacht. Es geht nicht, oder nur auf Kosten der Gesundheit der Tiere, denn sie erleiden einen Mangel an Taurin. Die reinen Fleischfresser unter den Säugetieren, wie z. B. Katzen, können kein Taurin bilden und werden durch Mangel blind. Hunde können zwar fleischarme Nahrung vertragen, aber nicht fleischlose. Es gibt auch Menschen, die zu wenig Taurin bilden, für die ist vegetarische und vegane Ernährung dann kritisch, denn es treten Störungen auf, wie eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Stressfaktoren betreffend Leber, Darm, Lunge, Herz, Pankreas und Immunsystem. Anm. G.G.)

Frau Schmitz beruft sich auf einen englischen Arzt, der vegane Ernährung für Hunde und Katzen für unbedenklich erklärt hat und fährt dann fort: „Ich war jedenfalls auf diesem bioveganen Hof und habe mir die Frage gestellt, was ist mit den Tieren? Man hat irgendwie so romantische Vorstellungen von der Landwirtschaft. Aber die Realität sieht für die Tiere anders aus in der Regel. Auch für Hunde. Was auf jeden Fall aufhören müsste, ist die Züchtung und das Kommerzielle, also auch der Handel mit Hunden. Das bedeutet aber, man muss eingreifen und die Frage ist, soll man dafür sorgen, dass Hunde aussterben? Es gibt Leute, die sagen, man soll das tun. Für mich ist die Frage eher, ist das Verhältnis von Menschen und Hunden notwendigerweise so schlecht, dass wir das generelle Aussterben von Hunden befördern sollten? Und da denke ich eben, nicht unbedingt. Es gibt sicher eine Art und Weise, wie Hunde bei Menschen wohnen können, die ziemlich weitgehend mit den Interessen der Hunde vereinbar ist, wo es einen fairen Ausgleich gibt. Insofern glaube ich nicht, dass Hunde komplett aussterben müssen.

Auf diesem bioveganen Bauernhof gab es, wie gesagt, keine Nutztiere, also auch keine Hühner, denn die müssen ja irgendwo herkommen. Sie kämen aus einer Zucht und wären auf hohe Legeleistung hin gezüchtet und wer sie kauft, würde die Zuchtindustrie unterstützen. Dass es überhaupt diese Art von Tieren gibt, ist jetzt nicht ein Wert an sich. Man kann ganz allgemein unterscheiden zwischen dem instrumentellen Wert und dem Wert an sich. Etwas ist wertvoll zu einem anderen Zweck, oder es ist für sich wertvoll. Ich kann sagen, für das Huhn ist das eigene Leben wertvoll. Was ich jetzt meine, mit dem Wert an sich: Es wäre kein Verlust, wenn es keine Hühner mehr gäbe. Also für die Welt wäre das kein Verlust. Unsere Haushühner sind halt so gezüchtet, dass sie etwa 300 Eier pro Jahr legen – das Urhuhn, das Bankivahuhn, legt 15–20 Eier pro Jahr, brütet die aus und zieht die Küken groß und kann 20 Jahre und länger leben. Unsere Hochleistungslegehennen müssen ganz viel ihrer Lebens­energie in unsere Eier stecken, sie müssen diese Unmenge – von auch noch viel zu großen Eiern – durch ihre Kloake durchquetschen, kriegen dann auch entsprechend oft Entzündungen, Eierstockprobleme. Nach der ersten Mauser legen sie weniger Eier, sie haben sich schon nach einem Jahr verausgabt und sind gesundheitlich geschädigt. Bereits nach einer Legeperiode von maximal eineinhalb Jahren hat eine Legehenne ausgedient, auf sie warten der Schlachthof und ein Ende als Suppenhuhn. Was ich sagen will, das sind Tiere, die verkörpern für mich das Prinzip, die sind gezüchtet worden für eine bestimmte körperliche Funktion und Leistung und ich weiß nicht, warum es nicht Ziel sein könnte, dass keine solchen Tiere mehr existieren, die körperlich auf Ausbeutung hin geformt sind.

Ich beschäftige mich in letzter Zeit auch mit der Lobbytätigkeit der Tierindustrie und wie der Bauernverband so agiert. Ich lese zum Beispiel die Zeitschrift Top Agrar, auch deren Internetseite. Da geht es viel um Marketing – und Öffentlichkeitsarbeitsstrategien. Bisher war ja die Hauptstrategie das Verstecken. Legebatterien, Mastanlagen, Tiertransporte und Schlachthöfe wurden den Blicken der Öffentlichkeit entzogen. Als dann aber immer mehr grauenerregende Bilder und Berichte in die Medien kamen und nicht nur Empörung ausgelöst, sondern auch noch den Fleischkonsum reduziert haben, wurde man auf Seiten der Fleischindustrie nervös. Es gibt nun diese Gegenstrategie, auch vom Bauernverband. Man setzt auf angebliche Transparenz, macht einen Tag des offenen Hofes, installierte Internet-Webcams direkt im Schweine- und Kuhstall und man hat eine Tierwohl-Initiative ins Leben gerufen.“ (Die Initiative „Tierwohl“ wurde von Unternehmen der Fleischbranche und des Handels gegründet und dient vor allem der eigenen Imageverbesserung. Vier Cent pro verkauftem Kilogramm Fleisch zahlen Aldi, Edeka, Kaufland, Kaiser’s Tengelmann, Lidl, Netto, Penny, Real und Rewe seit Anfang 2015 in den neuen Tierwohlfonds ein. 85 Millionen Euro sind für dieses Jahr zusammengeflossen. Betriebe, die teilnehmen, erhalten Zuschläge für wahlweise Verbesserungen in ihrer Tierhaltung, Entweder 10% mehr Platz im Stall oder ständiger Zugang zu Rauhfutter, dafür gibt es 2,80 € je Schwein. Für 40% mehr Platz gibt es 8 Euro, eine Liegefläche mit Einstreu bringt 2,50, Auslauf 1 €. Aber Schweine und Hühner werden weiterhin verstümmelt. Anm. G.G.) „Es wird natürlich beschönigt und gelogen, es wird zum Beispiel behauptet, die Fütterung sei optimal auf die Bedürfnisse des Tieres abgestimmt, was ja Quatsch ist, denn die Fütterung ist ausschließlich auf maximale Gewichtszunahme aus. Auf tier­ethische Argumente gehen sie gar nicht ein, sie sagen nur: Hier ist der Schweinestall und wir machen es so gut wie möglich. Auch der Preis wird niedrig gehalten. Wenn aber ein Huhn nur noch ein paar Cent wert ist, dann hat das auch zur Folge, dass Hühner nicht nur als Ware wahrgenommen werden, sondern als absolut minderwertige, quasi wertlose Waren, für die sich keinerlei Aufwand lohnt.

Zugochsen, Österreich 1350 Foto: Archiv G. Goettle

Ansätze des Tierrechts

Aber ich möchte noch mal auf die Tierrechte zurückkommen. Da gibt es ja verschiedene Ansätze. Man kann, glaube ich, generell unterscheiden zwischen einer ethischen und einer politischen Perspektive. Aus der ethischen Perspektive gründen sich Tierrechte fast immer auf eine bestimmte Moraltheorie, nämlich eine, die mit Rechten operiert. Es gibt aber auch utilitaristische Theorien, zum Beispiel Singer, der keine absoluten Rechte für Tiere vorsieht. Und dann gibt es noch die Mitleidsethik und die Tugendethik, da gibt es auch keine Rechte. Auf dieser moralischen Ebene wird unter Rechten Unterschiedliches verstanden, manchmal so was wie Naturrecht. Aber meist sind es einfach moralische Ansprüche, die stark genug sind, anderen Menschen Pflichten aufzuerlegen. Ich meine moralische Ansprüche, die nicht abgewogen werden dürfen gegen andere Interessen, wie zum Beispiel das Recht auf Leben. Selbst wenn 1.000 Leute profitieren würden davon, dass ich sterbe, ist es nicht legitim, mich deshalb umzubringen. Das wäre dann eine Bedeutung von Recht. Und wenn man eine Rechtstheorie für Menschen hat, wird gesagt, dann gibt es keine vernünftigen Gründe, nicht auch Tieren Rechte zuzuschreiben, Grundrechte, wie das Recht auf Leben, Freiheit, Unversehrtheit. Und diese Forderung wird begründet, mit dem Fehlen von moralisch relevanten Unterschieden zwischen Menschen und anderen Tieren. Dann wird oft mit Fähigkeiten argumentiert, zum Beispiel: Die Menschen haben Rechte, weil nur Menschen Selbstbewusstsein besitzen und moralisch handeln können. Tiere nicht. Allerdings haben halt auch nicht alle Menschen diese viel beschworenen kognitiven Fähigkeiten …

Wenn übrigens von Tieren hier die Rede ist, dann meint man meist empfindungsfähige Tiere. Also man unterstellt ihnen Bewusstsein, Wahrnehmungsfähigkeit aus einer Innenperspektive heraus. Und Empfindungsfähigkeit ist deshalb die relevante Größe, weil durchs Empfinden dessen, was gut oder schlecht ist, überhaupt erst Werte in die Welt kommen. Für den Stein ist es egal, ob er auf dem Boden liegt oder in die Luft geworfen wird. Es ist überhaupt die Quelle der Moral, dass es andere Wesen gibt, die positive oder negative Erfahrungen machen. Dann stellt sich natürlich die Frage, wer ist denn empfindungsfähig? Und da gehen die Meinungen dann auseinander. Also ich finde es plausibel, dass Wesen ohne zentrales Nervensystem ganz anders wahrnehmen, wenn sie was wahrnehmen. Mich interessieren, ehrlich gesagt, Insekten schon weniger als andere Tiere. Es wäre praktisch unmöglich, Insekten genauso zu berücksichtigen wie Säugetiere oder andere Wirbeltiere. Aber ich sehe ein, dass das eine willkürliche und problematische Grenzziehung ist – aber weniger willkürlich, als die, die wir jetzt praktizieren. Man könnte also sagen: im Zweifel für Insekten. Es gibt ja auch Leute, die sagen, wir können es nicht wissen, ob nicht vielleicht auch die Pflanze etwa spürt, wenn wir sie aus dem Boden reißen und zerschneiden. Aber da sage ich dann immer: Wir wissen auch nicht, ob der Tisch was spürt…“ (Die Zellularbiologie fand heraus, dass die Wurzeln der Pflanzen – was die Kommunikation betrifft – über ein Informationssystem verfügen, das mindestens so groß und dynamisch ist wie das World Wide Web. Anm. G.G.)

„Zur politischen Perspektive des Tierrechtes möchte ich sagen: Hier ist mit Tierrechten häufig gar nicht moralisches Recht gemeint, sondern es geht um bestimmte politische Forderungen, wie zum Beispiel: Abschaffung der Tierhaltung für menschliche Interessen, da ihr eine Missachtung der tierischen Interessen zugrunde liegt. Da braucht man eigentlich gar nicht diese moralische Rechtsposition, man kann utilitaristisch argumentieren, man kann mit ‚Mitleidsethik‘ argumentieren und trotzdem eine Position auf der politischen Ebene haben. Eine solche Position haben in jedem Fall die Tierbefreiungs- und Tierrechtsbewegung, also es gibt eine heftige Diskussion darüber, dass man jetzt stärkere Rechte für Tiere haben will, das Recht auf Leben, Persönlichkeitsrechte für Tiere.

Man muss dabei allerdings daran glauben, dass Rechte das richtige Mittel sind, um moralische Verpflichtungen zu realisieren. Das kann man auch kritisch sehen, wenn man Rechtsstaat-kritisch eingestellt ist. Tatsache ist jedenfalls, dass in fast allen Bereichen der Gesellschaft Praktiken vorherrschen, wo Tiere als Rechtlose behandelt werden, als Dinge. Es gibt dieses generelle Verständnis, dass man halt mit Tieren fast alles machen kann, was man will. Das gilt es zu verändern. Grundsätzlich. Das gesamte System!

Ich höre oft: Veganer, schön und gut, ihr könnt euer Ding machen, aber lasst uns unser Ding machen. Das gehört zur Freiheit! Dazu sage ich: Das Argument, dass Fleisch zu essen oder nicht zu essen in den Bereich der persönlichen Freiheit fällt, wird sofort hinfällig, wenn dabei mitgedacht wird, dass diese vermeintliche Freiheit notwendigerweise die Unfreiheit, das Leid und den Tod von Tieren inkludiert. Die persönliche Freiheit hat also ihre logische Grenze da, wo sie die Freiheit der anderen berührt. Nun ist die Frage, sind ‚andere‘ nur Menschen, oder umfasst das auch Tiere?

Ich denke, sobald Tiere tatsächlich moralisch zählen, kann man sie nicht mehr ausschließen aus der Ethik. Ethik hat für sich einen universalen Anspruch. Und wenn ich sage, ich finde es falsch, Tiere zu töten, dann sage ich nicht nur, ich finde das falsch, sondern ich sage, ich finde es generell falsch. Tiere sollen nicht getötet werden. In diesem Sinne hat man mit einer Tierrechtsposition schon den Anspruch, dass das für andere auch gültig ist. Es muss aber natürlich über die Einsicht gehen, die Individuen und auch die Gesellschaft müssen diese Schritte in freier Entscheidung tun und dann zu dem Schluss kommen: Nicht um eine Verbesserung der Tierhaltung geht es, es geht um die Beendigung der Tierhaltung. Das wird schwer, denn wir haben es mit einer milliardenschweren Industrie zu tun. Aber die Zigarettenindustrie ist schließlich auch mächtig und milliardenschwer…“