Operationen, Mauern und Bläschen

AUSZEICHNUNG Gestern erhielt der in Paris und Berlin lebende französische Maler Bernard Frize den diesjährigen Käthe-Kollwitz-Preis. Ein Porträt anlässlich der Ausstellung seiner Werke in der Akademie der Künste

Bernard Frize, „Brome“ (2015), zu sehen in der Akademie der Künste Foto: Courtesy Galerie nächst St. Stephan,Wien

von Stefan Hochgesand

„Eigentlich suche ich die Farben überhaupt nicht aus, sie interessieren mich nicht sonderlich“, sagt Bernard Frize. Und: „Oft überlasse ich sie dem Zufall.“ Farben aussuchen, das wäre Dekoration – und das interessiert den zierlichen Franzosen, Jahrgang 1954, nicht. Ein bisschen wie Woody Allen sieht er aus. Schwarzes Hemd und schwarze Brille trägt er, Jeans, helle Sneakers. Sein Statement zu den Farben jedenfalls kann jeden irritieren, provozieren, der die Bilder sieht: Strahlende Farben scheinen doch auf den ersten Blick das Markenzeichen des Malers zu sein, dessen Bilder das Pariser Centre Pompidou und auch das Frankfurter Museum für Moderne Kunst für ihre Sammlungen ankauften.

Philosophische Reflexion

Frize geht es, wenn man seinen Worten folgen mag, nicht um „hübsch abstrakte Dekoration“, sondern ums philosophische Reflektieren. Darüber, wie uns Bilder zum Denken antreiben. Mit Farben führt er Aktionen, Operationen durch: Verschiedene Farben verwendet er nicht, damit die Bilder hübsch aussehen, sondern damit entschiedener deutlich wird, wie sich Linien überlagern oder überhaupt zueinander verhalten.

Zu seiner eigenwilligen Art des Malens fand der Künstler erst nach einer Schaffenskrise in den Siebzigern. Damals, noch nah an den Studentenrevolten von 1968, verzweifelte er darüber, ob und wie sich seine Bilder auf die Welt beziehen und woher sie ihre Relevanz nehmen sollten. Im Katalog zur Ausstellung anlässlich des Käthe-Kollwitz-Preises spricht der Kunstkritiker Jurriaan Benschop von einer mönchischen Methode: „Anstatt von Stil könnte man von einer Haltung sprechen.“

In der Begründung der Jury zum mit 12.000 Euro dotieren Preis, den schon Künstler wie Martin Kippenberger (1996) bekamen, ist etwas nüchterner von „selbst geschaffenen Regeln und Systemen“ die Rede, die in sich logisch seien, aber „keine Referenz außerhalb des Bildes“ haben. „Malerei ist etwas Absurdes“, sagt Frize heute selbst. Das wolle er auch mit seiner achtteiligen Serie „Suite au Rouleau“ (1993) zeigen.

Kirschrot und giftgrün sind die breiten Acrylfarb­balken, herbstlaubgelb und himmel­blau. Die ­Horizontalen, Vertikalen und Diagonalen über­lagern sich gegenseitig. Aus der Entfernung wirken die Bilder wie Mauern. Tritt man sehr nah heran, sieht man mitunter geplatzte Bläschen. Die glatte Oberfläche fällt auf. Frize hat seinem Acryl Harz beigemischt, eine Substanz, die Restauratoren verwenden, um Gemälde auszubessern.

Überhaupt ist das Serielle bei Frize von größtem Belang. Erst im Kontext der Serie gewinnen die Variationen ihren vollen Reiz. Wie in „Juin“: Rechte Gitter­winkel in 23 Tempera- und Lackfarben überkreuzen sich hinter Glas. Benannt sind die Bilder nach Tagen im Juni 2011 und im April 2013. Grafische Tagebücher? „Ich würde fast sagen, nein“, meint Frize. „Selbst wenn Sie sie als Tagebuch betrachten möchten, ist es keines, das viel ausplaudert.“

Die Gemälde von Bernard Frize kommen dem Figürlichen oft nahe

Diese Zurückhaltung teilen die Bilder mit dem Künstler selbst, der mir zu Beginn unseres Gesprächs nur hin und wieder in die Augen blickt. Plaudern mag er dann aber doch. Darüber, warum er mittlerweile so gern in seinem „schäbigen“ Atelier in Charlottenburg arbeitet, das längst nicht so chic sei wie sein zweites in Paris. Dass sich hier in Berlin zwischenmenschliche Beziehungen leichter gestalten ließen als in Paris, weil sich die Menschen mehr Zeit nähmen.

Harter Winter

Dafür bleibt er auch während der harten Winter in Berlin: „Es ergeben sich interessante Si­tua­tio­nen als Ausländer: Man ist viel weniger selbstsicher, bewertet neu, was man macht.“ Alle Bilder der Schau anlässlich des Preises sind in Berlin entstanden, zwischen 1981 und 2015, verschiedenen Perioden seines Lebens. Immer wieder ist er aus der Stadt verschwunden und zurückgekehrt. Er negiert aber, dass Berlin einen direkten Einfluss auf seine Bilder habe: „Dafür male ich nicht figurativ genug. Der Einfluss zwischen Stadt und körperlicher Produktion ist viel diffuser.“ Vor allem, weil Frize so abstrakt malt. Andererseits arbeitet er am Limit der Abstraktion: Seine Bilder sind oft dicht dran, eben doch die Erinnerung an etwas Figürliches heraufzubeschwören.

Manchmal kommt man in Versuchung, Frizes Bilder als Landschaften zu lesen. Da wären dann schwarze Wolken, aus denen es farbig regnet. Die Farben ziehen viel daraus, dass auch das Schwarz präsent ist. An Nordlichter und galaktisches Leuchten in fahlem Gelb und Barbie-Pink lässt sich in anderen Werken denken, ebenfalls eingefasst in düstere Vignetten. „Ich verwende Ornamente, aber meine Werke sind nicht dekorativ“, betont Frize, „sie sind ja nicht mal hübsch.“ Da muss er dann aber selbst lachen.

Akademie der Künste am Hanseatenweg, Di.–So. von 11–19 Uhr, bis 25. Oktober