Flüchtlinge in Belgrad: Transitland Serbien

Spontan und unorganisiert helfen Serben den Flüchtlingen in Belgrad. Die wollen eh bald weiter nach Westeuropa. Solange es noch geht.

Vorne ein Zaun mit darüber gehängter Kleidung, dahinter ein Zelt und Menschen

Flüchtlinge haben in Belgrad ihre Wäsche zum Trocknen auf einen Zaun gehängt. Foto: dpa

BELGRAD taz | Sie kommen und kommen und kommen. Mal sind es Hunderte, mal sind es Tausende, die täglich durch Belgrad ziehen. Man sieht sie auf der Straße und in den Parks, Familien mit Kindern, hauptsächlich, jedoch, jüngere Männer. Sie sind unverkennbar, die erschöpft aussehenden, schäbig angezogenen Menschen aus dem Nahem Osten und Nordafrika, die mit Rucksäcken auf den Schultern offensichtlich nach irgendetwas suchen.

Die meisten harren rund um den Belgrader Bahnhof und der zentralen Busstation aus, bis sie eine Möglichkeit finden, zur Grenze mit Ungarn zu gelangen. Hier ist schon vor Monaten ein Campingplatz entstanden. Manche schlafen in Zelten, manche im Parkhaus nebenan, in den heißen Sommertagen bietet das wenigstens Schatten. Viele schlafen unter freiem Himmel, in Schlafsäcken oder auf dem Rasen. Wäsche hängt auf Leinen, Kinder werden mit Wasser aus Flaschen gewaschen.

Die Belgrader haben sich an solche Szenen gewöhnt. Lange bevor die „Flüchtlingsfrage“ die Titelseiten in westeuropäischen Zeitung füllte und Breakingnews in Fernsehsendungen wurde, zogen Flüchtlingskolonnen entlang der Balkanroute über Griechenland, Mazedonien und Serbien in Richtung Ungarn und weiter nach Deutschland. Zuerst passierten bis zu Tausend am Tag die serbische Grenze, dann waren es Zweitausend, im August bis zu Dreitausend.

Nach offizieller Statistik sind in Serbien seit Jahresbeginn 96.000 Flüchtlinge registriert worden, dazu zählen sollte man schätzungsweise noch rund fünfzig Prozent, die sich nicht von der serbischen Polizei registrieren ließen. Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge in Serbien kommt aus Syrien, manche direkt, manche haben zuvor eine gewisse Zeit in Libanon und der Türkei verbracht. Etwa ein Viertel kommt aus Afghanistan und rund zehn Prozent aus dem Irak.

Serbien hat sein Grenzen schon längst geöffnet

Die riesige Flüchtlingswelle war schon im Frühjahr nicht zu übersehen. Aus der Sicht des politisch unstabilen und wirtschaftlich und sozial ruinierten Balkans ist es enttäuschend, wie unvorbereitet und chaotisch die EU auf das Flüchtlingsproblem reagiert. Das Wochenmagazin Vreme fragt, warum es erst notwendig gewesen sei, dass in Österreich, im „zivilisierten“ Kerneuropa, ein Kühlwagen mit 71 Leichen entdeckt wird, damit die Öffentlichkeit endlich aufschreit und Medien Politiker unter Druck setzen, etwas zu unternehmen.

Österreich und Deutschland taten danach, was Serbien längst tut: die Grenzen für die Flüchtlinge mehr oder weniger öffnen und nicht das Tor vor massivem menschlichen Leid schließen. Dazwischen liegt allerdings Ungarn mit seinem 175 Kilometer langen und 3,5 Meter hohen Stacheldrahtzaun entlang der Grenze zu Serbien.

Die Aufnahmekapazitäten Serbiens sind gering, das Land ist völlig überfordert. Doch die Regierung tut ihr Bestes. Von Anfang an waren Flüchtlinge in Serbien willkommen, die Behörden taten und tun alles, um ihren Aufenthalt zu erleichtern. Fürchterliche Szenen wie in Mazedonien oder Ungarn, brutales Vorgehen der Sicherheitskräfte oder Proteste von Rechtsextremisten blieben bisher aus.

Wenn Ungarn die Grenze dichtmacht, freuen sich Schlepper

Serbien ist für die Flüchtlinge lediglich ein Transitland. Sie halten sich hier so kurz wie nur möglich auf. In Belgrad besteht die Befürchtung, dass die Lage außer Kontrolle geraten könnte, wenn es Ungarn schafft, die Grenze zu Serbien dicht zu machen, und sich immer mehr Flüchtlinge auf der serbischen Seite anhäufen.

„Eine der Folgen davon könnte sein, dass Flüchtlinge in einer noch größeren Anzahl von Schlepperbanden und Kriminellen ausgebeutet werden. Etwas Besseres könnte den Schlepperbanden gar nicht passieren. Ungarn hat allerdings internationale Verpflichtungen, Flüchtlinge in einem ordentlichen Asylverfahren aufzunehmen und zu registrieren. Diese Verpflichtungen werden mit dem Zaun nicht verschwinden“, sagt Hans Friedrich Schodder, Leiter des UN Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Serbien.

Serbische Medien zeigen Bilder des Mitgefühls aus Wien oder München, wie Bürger Nahrungsmittel, Getränke und Kleidung für Flüchtlinge bringen. Belgrader tun das längst: Spontan und unorganisiert bringt man massiv das Notwendigste, redet ein wenig mit den Menschen und geht weiter. Einer der Helfer ist der fünfzigjährige Stanko. „Es muss mir doch niemand sagen, jemanden zu helfen, der Hilfe braucht“, sagt er. Man erinnert sich an das eigene Leid, als Hunderttausende serbische Flüchtlinge aus Kroatien und dem Kosovo vor nicht so langer Zeit nach Serbien flohen.

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