Wohlfühl-Patriotismus

Wir-Gefühl Es ist zu einfach, einen neuen Patriotismus zu fordern und alle positiven Geschehnisse der letzten Wochen mit diesem Gefühl zu verbinden

Stefan Wallaschek

Foto: privat

befasst sich mit Problemen des Nationalismus, hat Politikwissenschaften und Ethnologie studiert. Seit September 2014 ist er Doktorand an der Bremen International Graduate School of Social Sciences (BIGSSS) an der Uni Bremen.

In Krisenzeiten nehmen Rufe nach Formen sozialer Integration vermehrt zu. Wie kann der gesellschaftliche Zusammenhalt angesichts von sozial-humanitären Krisen, wie wir sie gerade in Europa erleben, gewährleistet werden?Anjes Tjarks in der taz (14. 9. 2015) plädiert für einen neuen Patriotismus in Deutschland, der nicht ausgrenzend gegenüber „Fremden“ ist und der „uns“ sagt, dass „wir“ uns zu Deutschland bekennen können. Sogar ein Bekenntnis zu Europa soll dieser „entspannte Patriotismus“ beinhalten.

Ist es nicht zu einfach, einen „neuen Patriotismus“ zu fordern und dabei alle positiven Geschehnisse der letzten Wochen mit diesem Gefühl zu verbinden? Die Verschärfung des Asylrechts, die Hasstiraden in Onlinemedien und Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte lässt er unter den Tisch fallen. Tjarks wischt den Ruf „Wir sind das Pack!“ oder Merkels Bezeichnung als „Volksverräterin“ einfach mit den Worten weg, dass der Begriff Patriotismus nicht nur den Rechten und Konservativen gehöre.

Nationalismus und Patriotismus

Natürlich gehört er nicht den Rechten und Konservativen. Aber die Grenze zwischen Nationalismus und Patriotismus ist schwammig. Von der Mobilisierung positiver Gefühle, um ein neues „Wir“ zu schaffen, zum „Wir“, welches als besser, toller, größer wahrzunehmen ist, ist es nur ein kleiner Schritt. Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt, dass Nationalstaatsbildungen fast immer das Ziel hatten, ein Wir-Gefühl zu kreieren. Dies ging jedoch stets mit Ausgrenzung gegenüber Minderheiten, Schwachen und angeblich nicht dem Volk zugehörigen Menschen einher.

Tjarks will zudem aus der jüngeren deutschen Geschichte lernen, als „GastarbeiterInnen“ als ArbeiterInnen, aber nicht als BürgerInnen gesehen wurden. Sie wurden als „Gäste“ bezeichnet, weil von PolitikerInnen, die die Zuwanderung gefordert und gefördert haben, erwartet wurde, dass diese „Gäste“ entweder selber wieder gehen oder man sie sogar wieder aus dem „Haus“ werfen kann, wenn sie nicht mehr erwünscht sind. Doch stattdessen wurde „der Gast“ zu Georg Simmels Fremden, der „heute kommt und morgen bleibt“.

Wer aber morgen bleibt, der verändert die Gesellschaft von heute. Integration ist keine Einbahnstraße. Ein Aufruf zu neuem Patriotismus proklamiert zwar eine „Willkommenskultur“, betont jedoch gleichzeitig, dass die „Fremden“ sich einzufügen haben – nichts anderes heißt integrieren.

Ist es schon eine gute Integration, wenn „wir“ ihnen, wie Tjarks vorschlägt, die Chance zur doppelten Staatsbürgerschaft anbieten, wenn wir Geflüchtete auffordern, die Mehrheitssprache zu lernen und alle die Menschenrechte achten? Warum bedarf es dazu eines neuen Patriotismus, der angeblich nicht ausgrenzt, aber allzu oft doch in nationalistische Tendenzen umschlägt?

Ein weiterer Widerspruch kommt bei Tjarks noch hinzu: Wie kann es eine Heimat geben, ein „Wir“, wenn dieses nicht abgrenzbar ist, wenn das „Wir“ alle sind und die Heimat überall ist? Sind wir dann nicht WeltbürgerInnen, die überall und nirgends zu Hause sind mit einer kosmopolitischen Solidarität, die die Menschheit als Ganzes umfasst und alle Menschen als gleich ansieht und daher nicht mehr Rechte und Pflichte für Landsleute oder EU-BürgerInnen einräumt als Menschen aus Angola, Syrien oder Myanmar. So theoretisch positiv wie dieser Kosmopolitismus auch sein sollte, so wenig praktisch real ist er.

Refugee heißt Zuflucht

Das heißt: Ein Patriotismus, der keine Grenzen kennt, ist kein Patriotismus. Wenn ein Mensch patriotisch zu seinem Land steht, dann gibt es Grenzen. Patriotismus begründet eine Schicksalsgemeinschaft, eine emotionale Verbindung aufgrund dessen, dass man zum gleichen Volk gehört. Wie passen da Geflüchtete ins Bild, Refugees, die nach dem englischen Begriff eine Zuflucht, einen sicheren Ort suchen? Ein sicherer Ort, an dem das Heimatgefühl wiederbelebt wird und man sich patriotisch vergewissert, dass Deutschland Tolles vollbringt, dem mag der Stolz der Aufnahmegesellschaft befremdlich erscheinen. Sie werden als das „Sie“ wahrgenommen, welches dem „Wir“ gegenübersteht: „Wir“ helfen, und „sie“ benötigen Unterstützung. Und nur wer sich einfügt, also integriert, darf zu einem späteren Zeitpunkt zum „Wir“ gehören.

Ein Patriotismus hingegen, der keine Grenzen kennt und doch vorgibt, dass ein Bekenntnis zu Deutschland wichtig für den sozialen Zusammenhalt ist, der gießt Wasser auf die Mühlen von Nationalismus und Exklusion.

Neu entfachte Solidarität

Das „Wir“ entsteht im kooperativen Mitein­ander und im gemeinsamen Handeln

Was wir stattdessen befördern sollten, ist die neu entfachte Solidarität – in Zeiten, in denen Tausende Freiwillige geflüchteten Menschen helfen und sie bei der Ankunft unterstützen. Die HelferInnen versuchen sprichwörtlich das gesuchte Refugium vor Krieg, Leid und Hunger zu schaffen. Diese HelferInnen stellen in den Worten des Soziologen Émile Durkheim eine organische Solidarität bereit, die nicht darauf basiert, dass wir alle ein gemeinsames Heimatgefühl haben.

Sondern organische Solidarität erwächst genau dort, wo Menschen freiwillig kooperieren, unterschiedlich sein dürfen und diese Verschiedenheit akzeptiert wird. Sie helfen und unterstützen, weil sie die Not der anderen sehen, weil sie merken, dass das spontane zivilgesellschaftliche Engagement in solchen Krisenzeiten schneller agieren kann (und muss) als staatliche Stellen.

Auch wenn ein Nach-der-Flüchtlingskrise kaum abzusehen ist, muss selbstverständlich auch darüber geredet werden, wie die Integration von beiden Seiten – Aufnahmeland wie Ankommenden – geschafft werden kann.

Von staatlicher Seite sollte alles getan werden, eine staatsbürgerliche Gleichstellung der Asylsuchenden zu ermöglichen. Da muss von staatlicher Seite alles getan werden, die staatsbürgerliche Gleichstellung der Asylsuchenden zu ermöglichen. Die Menschen und zivilgesellschaftlichen Gruppen leisten von sozialer Seite ­bereits Erstaunliches. Das „Wir“ entsteht im kooperativen Miteinander, im gegenseitigen Austausch und Handeln – gegen Ausgrenzung und Nazi-Parolen und auch jenseits eines Wohlfühlpatriotismus.

Stefan Wallaschek