Kommentar Optionen für Syrienpolitik: Asyl für Assad

Putin kann Syriens Regierung nicht fallenlassen – Assad aber schon. Die USA täten gut daran, dem zuzustimmen. Einen besseren Vorschlag gibt es nicht.

Syrische Frauen demonstrieren mit Bildern von Assad und Putin.

Unterstützerinnen von Assad halten auf einer Demonstration im Jahr 2012 Bilder von Assad und Putin in die Höhe. Foto: ap

Manchmal ist die Interpretation der Welt eben doch genauso wichtig wie der Wille zu deren Veränderung.

Wie sich am Beispiel Syrien zeigt. Es ist erstaunlich, dass die USA plötzlich – zurückhaltend – positiv auf die russische Anregung reagieren, gemeinsam gegen die Organisation Islamischer Staat vorzugehen. Dieser Vorschlag lag nämlich schon so lange auf dem Tisch, dass er zu vergilben drohte. Geändert hat sich also nicht der Zustand, sondern der Blick darauf.

Das ist erfreulich, denn zumindest etwas lässt sich schwerlich bestreiten: dass die Lage im Nahen Osten ohne Kompromissbereitschaft nicht entschärft werden kann. Manche im Westen meinen, der russische Präsident Wladimir Putin habe spätestens im Ukraine-Konflikt bewiesen, dass ihm nicht zu trauen sei. Und damit sei auch zu einer möglichen Zusammenarbeit in Syrien alles gesagt. Eine solche Haltung mag ehrenwert sein, aber damit werden keine Kriege beendet.

Um vom Krieg zum Frieden zu finden, muss man sich in die Position des Gegners versetzen – was nicht dasselbe ist, wie diese Position zu billigen. Der Handlungsspielraum in Moskau ist kleiner, als er auf den ersten Blick erscheinen mag. Russland und Syrien sind Verbündete, schon lange. Deshalb ist auch jede lautstarke Empörung über Waffenlieferungen an das Assad-Regime wenig glaubhaft: Was erwartet man denn von Bündnispartnern – wenn nicht Hilfe in bedrängter Lage?

Keine Flucht nach Russland

In mancher Hinsicht ist eine Verständigung mit dem Westen derzeit für Moskau riskanter als umgekehrt. Wenn Putin sich vom syrischen Verbündeten lossagte – kein Hund im Nahen Osten oder anderswo auf der Welt würde noch einen Knochen von ihm nehmen. Russland hätte jeden möglichen Einfluss verloren und sich selbst von der Weltmacht zur Regionalmacht geschrumpft. Das wird, das kann Putin nicht akzeptieren.

Etwas anderes als militärische Unterstützung hat Moskau nicht zu bieten. Die USA sind nach wie vor das Sehnsuchtsziel von Millionen, selbst von Kritikern der US-Außenpolitik. Von Flüchtlingsströmen nach Russland hat man bisher nichts gehört.

Will Moskau seine Position als Weltmacht halten, dann muss die russische Regierung zumindest Bündnistreue zeigen. Die Idee, ein Ende des syrischen Bürgerkrieges mit militärischen Mitteln zu erzwingen, ist deshalb absurd. Es sei denn, man wünschte sich ein unmittelbares Aufeinandertreffen von Nuklearmächten in einem Krisengebiet. Das kann niemand wollen.

Asyl für Assad

Was sind also die Optionen? Wenn man sich in die Lage aller Beteiligten versetzen will, dann muss man sich auch in die Situation der USA versetzen. Sie dürfen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad nicht als Verhandlungspartner akzeptieren, ohne jede Glaubwürdigkeit aufzugeben. Der syrische Diktator bombardiert die Bevölkerung des eigenen Landes, er ist für sehr viel mehr Todesopfer verantwortlich als die Terrormiliz IS.

Assad als Person kann kein Gesprächspartner mehr für den Westen sein, so viel steht fest. Es ist anzunehmen, dass dies auch der russische Präsident Putin weiß. Ein möglicher Kompromiss könnte darin bestehen, dass Moskau auch weiterhin die syrische Regierung unterstützt – Assad jedoch fallen lässt.

Diplomatischer ausgedrückt: Baschar al-Assad erhält freies Geleit, also Asyl im russischen Einflussbereich. Ein Mitglied seiner Regierung, an dessen Händen möglichst wenig Blut klebt – zuständig für Kultur? Familie? Sport? – , würde neues Staatsoberhaupt und akzeptabler Verhandlungspartner in einer regionalen Friedenskonferenz.

Ein hoher Preis

Friedensnobelpreisträger Martti Ahtisaari, Diplomat und ehemaliger finnischer Präsident, hat jetzt erklärt, dass Moskau eine solche Lösung schon einmal vorgeschlagen hat. Damals wurde die Welt offenbar noch anders interpretiert, zumindest von den USA, die seinerzeit an einen schnellen Sturz von Assad glaubte.

Der Preis für eine solche Lösung wäre auch für den Westen hoch. Wenn Assad zugesichert würde, dass er straffrei ausgeht, dann wäre die Integrität des Internationalen Strafgerichtshofs nur einer von vielen Kollateralschäden. Ganz zu schweigen von den Interessen Israels, des Libanon, der Opposition in Syrien.

Eine allseits befriedigende Lösung wird sich nicht finden lassen. Aber ein Ende des Krieges in Syrien wäre so erfreulich, dass sich damit selbst „faule Kompromisse“ rechtfertigen ließen. Jemand anderer Meinung? Mit anderen Lösungsvorschlägen? Bitte vortreten.

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Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

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