Die Macht bekommt ein Gesicht

AUSSTELLUNG „Zartrosa und Lichtblau“. Das Museum für Fotografie in der Jebensstraße zeigt Höhepunkte der japanischen Fotografie aus der Meiji-Zeit (1868 bis 1912)

Gartenlandschaft mit Geisha, um 1885, Fotograf unbekannt Foto: Staatsbibliothek zu Berlin/Preußischer Kulturbesitz

von RALF HANSELLE

Es ist ein Foto zum Niederknien: Ein uniformierter Mann mit Bart und Kurzhaarschnitt sitzt steif in einem roten Sessel auf grün gemusterter Auslegware. Apathisch, fast gefühlskalt schauen seine Augen in das Objektiv einer Plattenkamera jenseits des Bildrandes. Wir schreiben das Jahr 1873.

Japan, bis dato eine abgeschottete Insel am Rande des Ostchinesischen Meeres, ist auf dem Weg in die Moderne. Aus dem Land von Samurai und Shogune soll in den kommenden 30 Jahren ein Staat nach westlichem Vorbild werden. Importiert wird alles, was fortschrittlich und europäisch erscheint: Gregorianischer Kalender, Verfassung, Film und Dampfmaschine. Es dauert nicht lange, und die Untertanen der Monarchie sind in der halben Welt als die „Preußen Asiens“ verschrien. Verantwortlich für diesen Wandel ist vor allem dieser Uniformierte auf dem roten Sessel: Kaiser Meiji – der 122. Tenno Japans. Unter seiner Regentschaft sucht die Insel ihren Platz in der Welt.

Der Tenno sucht noch

Meiji selbst indes suchte zunächst nach einem Platz an der Wand. Die Fotografie aus dem Studio eines gewissen Uchida Kuichi, einem der damals renommiertesten Porträtfotografen, sollte zum offiziellen Kaiserporträt seiner Regentschaft werden. Abzüge der Aufnahme wurden an Regierungsbehörden und Schulen verschickt. Auch bei diplomatischen Empfängen wurde das kolorierte Bild auf Albuminpapier zum willkommenen Tausch- und Sammlerstück. Zum ersten Mal in der Geschichte Japans wurde wahrnehmbar, was in Europa bereits seit dem Kaiser-Gemälde Ludwig XIV. aus der Werkstatt Hyacinthe Rigauds gebräuchlich war: die Herrschaft des Abbilds.

Denn mit der Fotografie bekam die Macht ein Gesicht. Sie hatte jetzt Name, Aussehen und Frisur. Sollte der Kaiser einmal nicht am Hofe sein, konnte an seiner statt das Foto zu zeremoniellen Huldigungen herbeigeholt werden. Ein Gesslerhut aus Ammoniumchlorid und Silbernitrat. Angesichts dieser visuellen Revolution ist es nicht verwunderlich, dass das lichte Porträt derzeit den Auftakt zu einer Ausstellung im Museum für Fotografie in der Jebensstraße bildet, die auf mehr als 250 Exponaten die japanische Fotografie der Meiji-Zeit dokumentieren will. Historische Abzüge aus den Beständen der Kunstbibliothek, des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst zeigen eindrucksvoll, dass Japan zwischen 1868 und 1912 längst nicht mehr nur jenes eskapistische Traumbild aus Kirschblüten und Holzschnitt-Kunst widerspiegelte, nachdem sich besonders die europäischen Reisenden der Zeit so verzehrten.

Zwischen Tempeln, Geishas und Sumoringern wird Neues sichtbar

Zwar bedienten Fotopioniere wie Kusakabe Kimbei, Usui Shūzaburō oder Tamamura Kōzaburō auch solche Sehnsuchtsbilder perfekt, doch zwischen ihren Aufnahmen von Tempeln, Konkubinen und Sumoringern wird auch Stück für Stück das in Lauerstellung liegende neue Jahrhundert sichtbar. So zeigt Kuratorin Christine Kühn Dutzende Stereofotografien des US-Fotografen James Ricalton. Im Auftrag der „Stereocompany Underwood & Underwood“ hatte der mehr als 300 Aufnahmen des Russisch-Japanischen Krieges zwischen 1904 und 1905 angefertigt. Es waren Vorboten des kommenden Schreckens. Im Angesicht von Ricaltons schwarz-weißen Dokumenten erschlaffen die muskulösesten Sumo-Arme und brechen die härtesten Kjudo-Bögen. Für einen Moment verwischen die Pastelltöne der handkolorierten Fotografien in der Ausstellung und legen den Blick frei auf Felder voller toter Soldaten, auf Verwundete im Lazarett und auf Waffendepots voller Bomben.

Doch es braucht gar nicht der Bilder des Bösen und Brachialen, um die zunehmende Verwischung zwischen Osten und Westen zu bemerken. Auch auf den filigranen Landschaftsaufnahmen oder auf den ethnografischen Gruppen- und Einzelporträts wird ein Schwinden der Differenzen sichtbar. Die um 1890 am Fuße des Fuji entstandene Naturstudie eines unbekannten Fotografen etwa handelt nur vordergründig von Bäumen, Gräsern und Nadelhölzern. Komposition und Bildaufbau verweisen vielmehr auf einen leeren Raum hinter den Dingen, der auch schon die Malerei der deutschen Romantik beschäftigt hatte.

Zur vollkommenen Kulturverschmelzung kommt es indes, wo das mitteleuropäische Auge selbst auf die asiatische Exotik blickt. Ein Herr Raimund Stillfried von Rathenitz etwa, einstiger Offizier des österreichischen Heeres, ließ sich in den 1870er Jahren in Japan nieder und fertigte dort unzählige Genre-Fotografien an. Seine in der Ausstellung gezeigten Porträtaufnahmen sowie zahlreiche Typologien von unterschiedlichsten Berufsgruppen und Gesellschaftsschichten zeugen nicht nur von der Katalogisierungswut eines Hobby-Ethnografen; sie sind auch Vorboten jener typologischen Nüchternheit, die bald stilbildend werden sollte für die Fotografie in Europa. Als hätte von Rathenitz am Fuji geübt, was August Sander später auf Rollfilm gelang. Das Foto des Kaisers war eben nur der Anfang. Dahinter wartete eine ganze Gesellschaft auf fotografische Repräsentanz.

„Zartrosa und Lichtblau. Japanische Fotografie der Meiji-Zeit“. Museum für Fotografie, Jebensstraße 2. Bis 10. Januar 2016. Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog erschienen