Kommentar Europas Flüchtlingspolitik: Zu wenig und zu spät

Nach langem Gezerre haben sich Europas Innenminister auf eine Verteilung der Flüchtlinge geeinigt. Das erklärte Ziel bleibt aber die Abschottung.

Flüchtlinge auf einem Platz

Aus Syrien geflohen, auf dem Weg nach Nordeuropa: Flüchtlinge am Dienstag in der Athener Innenstadt. Foto: ap

Na also, geht doch! Nach wochenlangem Gezerre haben die EU-Innenminister doch noch die Verteilung von 120.000 Flüchtlingen geregelt. Im ersten Versuch waren sie kläglich gescheitert, im zweiten wurden die Hardliner aus Osteuropa kurzerhand überstimmt. Sogar Ungarns Rechtsausleger Viktor Orban muss nun mitmachen und Flüchtlinge aufnehmen - Brüssel hat ihm genau 1294 Hilfsbedürftige zugeteilt.

Doch rechte Freude will über diese erzwungene Solidarität nicht aufkommen. Denn zum einen wird der Beschluss tiefe Narben hinterlassen. Der Konsens ist futsch, mehrere EU-Staaten in Mitteleuropa und auf dem Balkan stehen sich nun feindselig gegenüber. Das ist nicht nur die Schuld von Brüssel, sondern auch von Berlin, das die Krise mit seinen Alleingängen - erst die Öffnung, dann der Rückwärtsgang - massiv verschärft hat.

Zum anderen haben Orban und seine Freunde ihre wichtigsten Ziele schon erreicht. Nach dem unwürdigen und teilweise unmenschlichen „Empfang“ in Ungarn wird kein Flüchtling mehr freiwillig in Südosteuropa bleiben. Die Abschreckung wirkt, auch über Ungarns Grenzen hinaus. Mit der neuen Mauer hat Orban zudem die „Festung Europa“ an einer neuralgischen Stelle ausgebaut und befestigt. Die CSU klatscht Beifall - ein Trauerspiel.

Pufferzone Griechenland und Italien

Damit nicht genug: Beim Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs am Mittwoch Abend sollen die Hardliner noch mehr Satisfaktion bekommen. Dann stehen ihre Lieblingsthemen auf der Agenda: die Aufrüstung der umstrittenen EU-Grenzschutzagentur Frontex, die Einrichtung von „Hot spots“ zur Erfassung und Abschiebung von Flüchtlingen und die außenpolitische Mobilisierung an allen Fronten - von Libyen über Syrien bis in die Türkei.

Das erklärte Ziel der EU ist es, die Reihen fest zu schließen und den Zustrom nach Europa wieder zu begrenzen. Das unerklärte Ziel ist es, Deutschland wieder mit einem Ring „sicherer“ Staaten zu umgeben und so die Zuwanderung zu stoppen. Schon jetzt dient der Balkan als Wartesaal, und Österreich als Verschiebebahnhof. Künftig sollen Italien und Griechenland zu Pufferzonen werden, die Deutschland abschotten.

Von der Reform der kläglich gescheiterten Dublin-III-Verordnung, die die Asylpolitik regelt, ist in Brüssel schon keine Rede mehr. Auch die Schaffung sicherer legaler Fluchtwege, wie sie die Uno fordert, ist kein Thema. Letztlich handelt die EU genau wie in der Eurokrise: „Too little, too late“ - zu spät und zu halbherzig. Derweil schaffen Orban und seine Komplizen in München und Brüssel Fakten.

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Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog

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