Spiel mir ein Stück vom Tod

Theater Mit „Back to Black“ baut das Duo Auftrag: Lorey einluftig assoziierendes Live-Hörspiel ums Thema Sterben herum

Kunstblut, das nach Himbeere schmeckt: Markwart Müller-Elmau in „Back to Black“ Foto: Arno Declair

von Anne Peter

Was möchte ich tun, bevor ich sterbe? Diese Frage rumort im Kopf, wenn man aus dem Deutschen Theater auf die Straße tritt. Kurz vor dem Applaus haben sie sich auf der kleinen Box-Bühne gegenübergesessen und gegenseitig befragt, Katrin Wichmann und Markwart Müller-Elmau. Der eine sagt: „Before I die I want to …“ Der andere vervollständigt den Satz: „… live one year in Paris“, „help the people from the LaGeSo“, „play in a very good movie.“ Kleine und große Lebensträume sind dabei, realistische und fantastische, alberne und idealistische.

So spielerisch umtänzelt der anderthalbstündige Abend „Back to Black“ das Thema Sterben und Tod auch insgesamt. Das Duo Auftrag: Lorey, das ihn ersonnen hat, ist 2001 aus der Gießener Performer-Schmiede der Angewandten Theaterwissenschaft hervorgegangen und arbeitet zum ersten Mal am DT. Stefanie Lorey und Bjoern Auftrag haben kein philosophisch tiefgründelndes Schwergewicht erschaffen, zünden kein ausuferndes Diskurs-Feuerwerk, sondern reihen assoziative Perlen auf eine Schnur. Klar und reduziert.

Ihr Textmaterial gewinnen sie zum großen Teil aus dem, was die Schauspieler selbst einbringen: Sie erzählen von ihrer ersten Leiche, von dem ertrunkenen Jungen beim Flüchtlingstheaterprojekt im Sommer oder von dem Beinahe-Tod der Mutter und schöpfen daraus manch luftig-leichte und doch nachdenklich stimmende Pointe: „Da flieht einer Hunderte Kilometer in einem Boot übers Mittelmeer, um dann in einem deutschen Baggersee zu ertrinken“, sagt Wichmann. Und wenn Hierse heute seine Mutter besucht, fragt er sich, „ob sie noch mal die Gelegenheit bekommt für so einen schönen Tod“ wie damals am Badesee, als ihr Herz aussetzte und die Söhne blitzschnell über die Reanimation entscheiden mussten.

Das alles erreicht das Publikum über Kopfhörer, die Schauspieler tragen Mikroports. Über weite Strecken ähnelt der Abend einem Live-Hörspiel, mit dezent eingestreuten Geräuschspuren, das vor allem auf die intime Nähe der erzählenden Stimme und auf das Imaginationstheater setzt, das dadurch im Kopf der Zuschauer entsteht.

Etwa wenn die Protokolle des Aeroperú-Fluges 603 verlesen werden, der 1996 auf dem Pazifischen Ozean verunglückte (oder handelt es sich um das Drehbuch zur Verfilmung des Falls?). Wir hören die unterschwellig panischer werdenden, zugleich um sachlichen Informationsausgleich bemühten Stimmen der Piloten. Nach dem Aufprall wird noch einmal zurückgespult – und ein Happy End heraufbeschworen, bei dem die Maschine glücklich in Lima landet.

Aufgelockert werden diese konzentrierten, Sogwirkung entfaltenden Erzählungen durch mehr oder weniger triftige Szenen: Die drei erzählen parallel von ihren Bühnentoden. Wichmann singt den wirklich sehr lustigen Viral-Werbesong der Melbourner U-Bahn „Dumb Ways to Die“. Hierse gibt in animierendem Workshop-Sprech eine Anleitung zum Untertauchen per fingiertem Selbstmord.

Kunstblut von Blattläusen

Müller-Elmau verrät, dass das Kunstblut am DT nach mehrheitlichem Ensemblebeschluss nach Himbeere (statt Pfefferminz) schmeckt, dass der Farbstoff Karmin auf Blattläusefarmen im Peru gewonnen wird und wie viele hundert Liter Blut bei „Nibelungen“-Inszenierungen so draufgehen. Nicht alles erscheint zwingend und der thematische Faden des Szenenreigens ist recht lose gespannt. Um das Grundmotiv der (medial vermittelten) Sterbedarstellung kristallisiert sich keine These.

Und doch gebiert der Abend immer wieder starke Momente. Die Schlussszene zum Beispiel, in der Spiel und Ernst, die Sehnsucht danach, dass das Leben einen Sinn ergeben möge, und die Sinnlosigkeit angeordneter Tode krude nebeneinandergestellt werden: Während Wichmann und Müller-Elmau „Before I want to die“ spielen, verblutet Thorsten Hierse vor ihnen per sorgfältig drapiertem Kunstblutkissen.

Eben noch hat er in virtuosem Crescendo eine filmreife Erschießungs-Choreografie performt, sich auf dem Boden ein letztes Mal aufgebäumt. Am Bühnenrand aufgereiht stehen Teller mit Henkersmahlzeiten. Die Namen derer, die sie verzehrt haben und die von der Justiz zum Tode befördert wurden, werden im Hintergrund an die Wand projiziert – zusammen mit ihrem letzten Satz. Einer spricht von Liebe. Ein anderer hofft, dass es die letzte Exekution in Iowa sein möge.

Wieder am 27., 28. September, 3., 4., 15., 16., 28., 29. Oktober, 19.30, Uhr, Deutsches Theater (Box)