Ein neues schwarzes Kino

FILMGESCHICHTE Umgeben von einem durch und durch feindlichen System: Das Österreichische Filmmuseum präsentiert den Kontext der „L. A. Rebellion“

Sozialrealismus und Blaxploitation geben sich die Hand: Still aus „Welcome Home, Brother Charles“ (1975) von Jamaa Fanaka Foto: Österreichisches Filmmuseum

von Fabian Tietke

Die Kenntnis globaler Filmzusammenhänge gleicht manchmal eher einem Koordinatensystem als einer Landkarte. Eine Filmreihe im Österreichischen Filmmuseum verbindet freischwebende Koordinaten nun ausgehend von filmhistorischen Gruppenkonstellationen nicht nur zu einer Landkarte, sondern gleich zu einem ganzen Kino-Atlas, indem sie filmhistorische Gruppenkonstellationen in den Blick nimmt; das Konzept dazu stammt von den Berliner Kinomachern Hannes Brühwiler und Lukas Foerster.

Eine der freien Koordinaten ist Charles Burnetts Film „Killer of Sheep“, der vor einigen Jahren in restaurierter Form wiederauflebte. Bei der Wiederentdeckung wurde Burnetts Arbeit über das entfremdete Leben eines Schlachthofarbeiters in Los Angeles zu Recht als ein Meilenstein des US-Kinos der 1970er Jahre gefeiert.

Der Kontext des Films, die sogenannte L. A. Rebellion, eine Gruppe schwarzer Filmemacher, die an der University of California in Los Angeles (UCLA) Film studierte und ein neues schwarzes Kino in den USA schuf, blieb im Dunkeln. Eben dieser widmet sich der erste Teil des Kino-Atlas unter dem Titel „L. A. Rebellion. Creat­ing a New Black Cinema“.

Als Charles Burnett, der Äthiopier Haile Gerima und Jamaa Fanaka Ende der 1960er Jahre ihr Filmstudium an der UCLA aufnahmen, entstand ein Produktionszusammenhang, der schnell große öffentliche Wahrnehmung fand. Schon die ersten Arbeiten zeigen eine erhebliche Bandbreite an filmischen Ansätzen: Burnett umkreist in seinem Kurzfilm „Several Friends“ den Alltag einer Gruppe von Freunden; Jamaa Fanaka arbeitet sich in seinem Erstling „A Day in the Life of Willie Faust, or Death on the Installment Plan“ an Gordon Parks Blaxploitationklassiker „Super Fly“ ab. „Hour Glass“, Haile Gerimas erster Kurzfilm, handelt von einem jungen schwarzen Mann, der über sein Dasein als Basketballspieler vor weißen Zuschauern ins Grübeln kommt.

Diese Bandbreite hält sich auch in den ersten Langfilmprojekten. Noch vor seinem Abschlussfilm dreht Jamaa Fanaka den Langfilm „Welcome Home, Brother Charles“. Der Film ist schwer greifbar: Um die Geschichte Charles Murrays herum gruppiert Fanaka anfangs vor allem sozialrealistische Szenen aus dem Alltag, zeigt das Abhängen der jungen Männer, Pros­titution und immer wieder die fortwährende Belagerung durch die Polizei. Charles Murray wird schließlich von einem weißen, rassistischen Polizisten verhaftet, misshandelt (auf dem Höhepunkt der Qual versucht der Polizist Charles zu kastrieren) und landet im Gefängnis. Nach seiner Freilassung sinnt Charles auf Rache und tötet mit einer überdimensionierten Penisattrappe seine Peiniger.

Fanaka greift ­Elemente der Blaxploitationfilme auf, konfrontiert diese Bilder aber immer wieder mit dem zähen Alltag in L. A.

„Welcome Home, Brother Charles“ wurde ebenso wie Fanakas nächster Film „Emma Mae“ als Teil der Blaxploitation­welle vermarktet. In der Tat greift Fanaka Elemente der Blaxploitationfilme wie die starke Sexualisierung, das Rachemotiv, die Vorliebe für Nachtclubs auf, konfrontiert diese Bilder aber immer wieder mit dem ernüchternden, zähen Alltag im L. A. der 1970er Jahre. Im Vergleich zu einem Autorenblaxploitation­film wie „The Spook Who Sat by the Door“ zeigt sich die Abwesenheit jenes Pathos, das die Blaxploitationfilme politisch so beliebt wie kurzlebig machte. Der Selbstmord von Charles am Ende von Fanakas Film ist kein Fanal, er ist der einzige Ausweg, den der Protagonist aus einem durch und durch feindlichen System sieht.

Die Filmreihe macht auch sichtbar, wie sehr sich die Filme der L. A. Rebellion über die Jahre verändert haben. Julie Dashs Langfilmdebüt „Daughters of the Dust“ von 1991 versetzt uns an den Anfang des Jahrhunderts auf eine der Inseln vor der Südwestküste der USA. Eine Großfamilie, deren Vorfahren im 19. Jahrhundert aus Westafrika verschleppt und als Sklaven zur Plantagenarbeit gezwungen wurden, beschließt die Insel zu verlassen und in den Norden zu ziehen. Zuvor trifft sich die Familie noch einmal zu einem Picknick an der Küste.

Dashs Film gewinnt daraus eine rückwärtsgewandte Utopie einer schwarzen, stark weiblich geprägten Welt, in der sich Allegorie und Wirklichkeit durchdringen. Die Regisseurin findet für den fragilen Moment zwischen den Welten Bilder mit kräftigen Farben, die den fast märchenhaften, surrealen Eindruck noch verstärken.

„L. A. Rebellion. Creating a New Black Cinema“, Österreichisches Filmmuseum, Wien, 24. 9.–8. 10. 2015

Eine Auswahl der Reihe wird vom 17. bis 30. 11. 2015 im Berliner Arsenal zu sehen sein