The sky is the limit

KLIMA Nicht knapper werdende fossile Ressourcen sind das Problem: Es gibtzu viel Kohle, Öl und Gas – und die müssen unbedingt unter der Erde bleiben

Patrik Graichen

Foto: Archiv

ist Direktor von Agora Energiewende. Von 2001 bis 2012 arbeitete er im Bundesumweltministerium. Dort hat er unter anderem die Ausgestaltung des ­Kioto-Protokolls und die Gesetzgebungsverfahren im Bereich des Energiewirtschaftsrechts federführend verhandelt.

Das Ölzeitalter wird nicht aus Mangel an Öl zu Ende gehen. Im Gegenteil: Es gibt weltweit noch sehr große Öl-, Gas- und Kohlevorräte – und das bleibt hoffentlich auch dauerhaft so. Denn wer sich für die Schonung von Umwelt und Ressourcen interessiert, sollte sich nicht darum sorgen, dass fossile Energieträger knapp werden könnten, wie es der Vertreter der „Peak Oil“-Bewegung, Norbert Rost, an dieser Stelle vor wenigen Wochen noch einmal getan hat. Es geht stattdessen um etwas völlig anderes: Möglichst viel Kohle, Öl und Gas muss da bleiben, wo sie sind – unter der Erde!

Warum? Die Antwort ist schlicht: Unsere Erde würde es nicht vertragen, wenn auch nur die Hälfte der vorhandenen fossilen Reserven aus der Erde geholt und dann verbrannt würde. Das dabei entstehende Kohlendioxid ist die Hauptursache für den globalen Klimawandel. Die Aufnahmekapazität unserer Atmosphäre ist viel früher erschöpft, als Kohle, Öl und Gas knapp werden. Bis zum Ende dieses Jahrhunderts, so die Erkenntnisse der Klimawissenschaft, dürfen nur noch etwa 1.000 Milliarden Tonnen CO2 ausgestoßen werden, um die Erderwärmung auf maximal 2 Grad zu begrenzen. Unter der Erde liegt aber ein Vielfaches davon.

Die Kohlenstoffblase

Für dieses Phänomen gibt es im Englischen auch schon einen Begriff – er heißt „unburnable carbon“. Konkret bedeutet das, dass 80 Prozent der globalen Kohlereserven und die Hälfte der weltweiten Öl- und Gasreserven unter der Erde bleiben müssen. Nicht nur das: Es dürfen noch nicht einmal die fossilen Reserven gefördert werden, die bereits jetzt in den Büchern der Rohstoffunternehmen stehen. Nur etwa ein Drittel der Reserven, die von Exxon, Gazprom, Shell, BP und den anderen Rohstoffunternehmen bereits kapitalisiert und verbucht wurden, dürfen aus Klimaschutzsicht verbraucht werden.

Diese Kohlenstoffblase (“Carbon Bubble“) wird daher platzen müssen. Da dies aber unabsehbare Folgen für andere Wirtschaftsakteure haben kann, überzeugt die internationale Divestment-Bewegung derzeit erfolgreich immer mehr große Kapitalgeber davon, ihre Beteiligungen an fossilen Unternehmen abzustoßen.

Diese neue Sicht der Dinge hat Folgen für die Umwelt- und Klimapolitik: Wenn Kohle, Öl und Gas gar nicht knapp werden (dürfen), dann werden sie vermutlich auch nicht teurer. Noch vor einigen Jahren war die allgemeine Erwartung, dass die Preise für fossile Rohstoffe stetig steigen würden – und deswegen der Klimaschutz quasi von allein käme.

Jetzt aber befinden sich die Kohle-, Öl- und Gaspreise im freien Fall – ausgelöst durch den Fracking-Boom und das daraus resultierende Überangebot an Kohle und Gas in den USA. Es sind keine Zeichen erkennbar, dass sich dies in den kommenden Jahren ändert – im Gegenteil, je mehr die globale Klimapolitik Erfolg hat, desto mehr verstärkt sich dieser Trend.

Es gibt zu viel Öl

Die Konsequenz aus dieser Entwicklung ist: Kohle, Öl und Gas werden auf längere Sicht billig bleiben. Es gibt einfach zu viel, was noch zu relativ günstigen Förderkosten aus der Erde geholt werden kann.

Wir stehen also vor der Herausforderung, den Ausstieg aus Kohle, Gas und Öl organisieren zu müssen, ohne dass uns die Verteuerung der Rohstoffpreise dabei helfen würde. Die Klimapolitik muss hier daher aktiv werden: Die Diskussion darüber, wie heute eine intelligente Ökosteuerreform aussehen könnte, gehört auf die Agenda.

Die Dekarbonisierung der Energiewirtschaft ist das Gebot der Stunde. Kohle, Öl und Gas werden nur dann im Boden bleiben, wenn der Energiebedarf der Menschheit anders gedeckt werden kann. Glücklicherweise haben die erneuerbaren Energien in den vergangenen Jahren enorme technologische Fortschritte erzielen können, sodass vor allem Solar- und Windanlagen heute ausgereifte Technologien sind. Solaranlagen sind seit 2005 drastisch billiger geworden, und Experten erwarten weitere Kostenreduktionen in den kommenden Jahren.

An guten Standorten produzieren neue Wind- und Solaranlagen bereits jetzt Strom zu den gleichen Kosten wie neue Kohle- oder Gaskraftwerke. Damit werden sie für viele Länder weltweit hochinteressant. Denn sie haben neben dem Klimaschutzeffekt noch einen weiteren entscheidenden Vorteil: Sie produzieren keine Luftschadstoffe. Dies ist besonders wichtig in den Mega-Metropolen der Schwellenländer, etwa in Peking, Schanghai und Neu-Delhi. Dort ist die Luftqualität oft katastrophal. Der Ersatz von Kohle- und Gaskraftwerken durch Wind- und Solaranlagen hat daher nicht nur positive Folgen für das Weltklima, sondern auch für die Gesundheit der Menschen vor Ort.

Dass Wind- und Solaranlagen konkurrenzfähig sind, ist in vielen Ländern der Erde erfreulicherweise längst erkannt worden: Die globalen Inves­titionen in neue Erneuerbare-Ener­gien-Kraftwerke steigen stetig, während die für fossile Kraftwerke sinken. Im Jahr 2013 wurden weltweit erst-mals mehr Erneuerbare-Ener­gien-Anlagen installiert als Kohle-, Gas und Kernkraftwerke zusammengenommen.

Weg von Kohle, Öl und Gas: Die Dekarbonisierung der Wirtschaft ist das Gebot der Stunde

Zukunft Elektromobilität

Bleibt die Frage, wie die Menschheit vom Öl loskommt. Die Antwort liegt in der Elektrifizierung des Verkehrssektors, denn dorthin fließt derzeit der allergrößte Teil des Erdöls. Die Zukunft des Verkehrs liegt daher in der Elektromobilität in allen ihren Formen – Fern- und Nahverkehrszüge, Straßenbahnen und natürlich Elektroautos – versorgt mit Strom aus erneuerbaren Energien. Auch hier gibt es positive Effekte über den Klimaschutz hinaus – weniger Lärm, weniger Abgase, weniger krebserregender Feinstaub, um nur einige zu nennen.

Es bleibt also: Ja, wir müssen uns möglichst schnell von Kohle, Öl und Gas verabschieden. Aber nicht weil sie knapp und teuer werden, sondern weil sie billig und breit verfügbar sind – und damit die zentrale Gefahr fürs globale Klima darstellen.

Der Schlüssel liegt in einem schnellen weltweiten Ausbau von Wind- und Solaranlagen, die gerade noch rechtzeitig zu ausgereiften und kostengünstigen Technologien avanciert sind. Packen wir’s entschlossen an, denn uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Patrik Graichen