Diagnose: Weg vom Dreck

KLIMA Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker: Auch medizinische Gründe sprechen für Kohleausstieg

BERLIN taz | I Die Diagnose ist klar, das Rezept auch: Bis 2040 soll Europa seine letzten Kohlekraftwerke schließen, und Deutschland brauche einen „nationalen Zeitplan für einen geordneten Ausstieg aus der Kohle“ – und zwar aus medizinischen Gründen. Das fordert eine EU-weite „Gesundheits- und Umweltallianz“ (HEAL) beim „Weltgesundheitsgipfel“ am Montag in Berlin. Die Allianz aus etwa 70 Patienten- und Ärzteverbänden, Instituten, Krankenversicherungen und Umweltverbänden verlangt vom Pariser UN-Gipfel im Dezember besseren Klimaschutz als Vorsorge gegen Gesundheitsrisiken.

Klimawandel bedeutet schon jetzt Probleme für die Gesundheit: Stürme und Hochwasser bedrohen Menschenleben, Dürren führen zu Mangelkrankheiten, Seuchen und Allergien können sich schneller ausbreiten. Allein während der Hitzewelle 2003 starben in Europa Tausende ältere Menschen, weil sie unter den Temperaturen litten.

Auch fossile Energien gefährdeten die Gesundheit, betont Julia Huscher von HEAL. Sie hat in einer Studie die gesundheitlichen Auswirkungen von Feinstaub, Stickoxiden, Arsen oder Quecksilber aus Europas Kohlekraftwerken untersucht: „Diese Schadstoffe sind auch in Deutschland für etwa 2.700 zusätzliche Todesfälle und 620.000 Krankentage jährlich verantwortlich. Ein Ausstieg aus der Kohle kann Gesundheitskosten bis zu 6,4 Milliarden Euro im Jahr vermeiden.“

Ähnlich argumentierten im Sommer internationale Forscher in der Fachzeitschrift The Lancet: Die Bekämpfung des Klimawandels „könnte die größte Chance für die weltweite Gesundheit im 21.Jahrhundert sein“, hieß es dort. Weniger Kohle- und Ölverbrennung füh­- re zu besserer Luft und als Folge zu weniger Kranken und vorzeitigen Todesfällen. „Ernsthafter Klimaschutz kostet weltweit etwa eine Billion Dollar im Jahr“, erklärte Sir Andy Haines, Professor für öffentliche Gesundheit in London, „aber schon ein Anteil von 30 Prozent von Erneuerbaren an der Energieversorgung würde jedes Jahr 230 Milliarden an Gesundheitskosten sparen.“

Ähnlich denkt offenbar der neue Vorsitzende des UN-Klimarats IPCC, Hoesung Lee. Im ersten Interview nach seiner Wahl in der vergangenen Woche sagte Lee am Montag, die Wissenschaft müsse mehr zur Lösung des Klimaproblems beitragen. „Wir haben fantastische Arbeit geleistet, die Gründe für den Klimawandel zu finden“, zitiert der Guardian Lee, „jetzt sollten wir uns mehr auf Chancen und Lösungen konzentrieren.“ Bernhard Pötter