BGH vor Grundsatzurteil: Kann Selbstverteidigung Terror sein?

Die „Allgäuer Islamistin“ wollte sich in Syrien mit einer Waffe gegen Angriffe von Regierungssoldaten wehren. Zu prüfen ist, ob das als Notwehr gilt.

Polizisten und eine Angeklagte im Münchner Landgericht

Muss sich erklären: die Angeklagte Andrea B., hier im Landgericht München im Februar 2015. Foto: dpa

KARLSRUHE taz | Eigentlich gilt Selbstverteidigung nicht als Terrorismus. Was aber, wenn sich jemand in syrischen Rebellengebieten gegen Angriffe der staatlichen Armee verteidigen will? Im Fall der „Allgäuer Islamistin“ Andrea B. muss jetzt der Bundesgerichtshof ein Grundsatzurteil fällen.

Die junge Verkäuferin aus Immenstadt konvertierte 2012 zum Islam und radikalisierte sich schnell. Im Internet lernte sie ein Paar kennen, das aus Hessen stammte und jetzt in den syrischen Kampfgebieten lebte. B. reiste 2014 ebenfalls nach Syrien und wurde zur Zweitfrau des Mannes. Mit dabei hatte sie ihre beiden Töchter, damals drei und sieben Jahre alt. Der Mann kämpfte zwar für die Nusra-Front, den syrischen Ableger von Al Qaida. Andrea B. sagte später jedoch, sie habe nur humanitäre Hilfe leisten wollen. Nachdem ihr die Lage in Syrien zu gefährlich wurde, kehrte sie nach einigen Monaten zurück.

Das Landgericht München verurteilte B. im Februar zu einer eineinhalbjährigen Bewährungsstrafe wegen Kindesentziehung. Der Vater der Töchter, mit dem sie nicht mehr zusammenlebte, hatte sie angezeigt, weil sie die Kinder ohne ihn zu fragen nach Syrien mitgenommen hatte.

Die Staatsanwaltschaft ging in die Revision. Sie wollte, dass Andrea B. auch wegen „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ verurteilt wird. B. hatte in Syrien Zugang zu Handgranaten und ihr Mann unterwies sie auch im Gebrauch einer Kalaschnikow. Aus Internet-Chatprotokollen wurde deutlich, dass sie bereit war, die Waffen einzusetzen, wenn die syrische Armee angreift.

Verteidigung oder Terrorakt?

Bei der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe ging es nun um die Frage, ob auch solche Verteidigungshandlungen als Terrorakt gewertet werden können. Die Bundesanwaltschaft bejahte dies. Eine Verteidigung gegen die offiziellen syrischen Truppen sei nicht gerechtfertigt, denn diese handelten rechtmäßig, wenn sie versuchen, von Rebellen besetztes Gebiet zurückzuerobern. Die Nusra-Front könne sich auch nicht auf das Recht zum Töten im Krieg berufen, denn sie sei weder ein Staat noch eine antikoloniale Befreiungsgewegung, sondern eine Terrororganisation.

Verteidiger Jochen Rüter betonte dagegen, dass B. auf keinen Fall in Kämpfe verwickelt werden wollte. Mit den Waffen habe sie nur ihr eigenes Leben und das ihrer Kinder verteidigen wollen. „Wenn in Syrien Soldaten kommen, wird nicht angeklopft, sondern gleich geschossen“, erklärte Anwalt Rüter, gewaltfreie Selbstverteidigung sei dort nicht möglich. Rüter räumte ein, dass B. in einer Chat-Nachricht geschrieben habe „Wenn die Ungläubigen kommen, schieß ich ihnen mit der Kalaschnikow den Kopf ab“. Das sei aber nur großsprecherisch gewesen. In Wirklichkeit habe sie mehrfach ihren syrischen Wohnsitz gewechselt, um Gefahren aus dem Weg zu gehen.

Der Vorsitzende BGH-Richter Jörg-Peter Becker deutete an, dass Andrea B. im Prinzip auch gegen Übergriffe syrischer Soldaten grundsätzlich ein Notwehrrecht zugestanden hätte. Es sei jedoch zu prüfen, ob das Notwehrrecht hier entfalle, weil sie sich absichtlich in die Gebiete der Dschihadisten begeben habe. Das Urteil wird am 27. Oktober verkündet.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.