Großmachtsehnsucht in Russland: Kreuzritter Wladimir

Der militärische Ausflug nach Syrien soll Russland zu Größe verhelfen. Und er ist ein probates Mittel, von Problemen zu Hause abzulenken.

Russlands Präsident Wladimir Putin

Wahrlich kein Stratege: Russlands Präsident Wladimir Putin. Foto: dpa

MOSKAU taz | Wladimir Putin ist ein Meister der Selbstdarstellung. Was er auch anpackt, es gelingt. Zuhause bleibt der Kremlchef unangefochten die Nummer Eins, Russlands Ikone des nationalen „Liders“. Selbst im Westen wird er bewundert.

Jetzt tritt er auch noch in Syrien den Siegeszug an. Entschlossen, skrupellos – so wie es die Mehrheit der Russen von ihrem Präsidenten auch erwartet. Dass er in Syrien in Windeseile Militärstützpunkte aus dem Boden stampfte und den zaudernden Amerikanern riet, Kampfjets auf dem Boden zu halten, kommt daheim bestens an. Präsident Putins syrische Intervention ist denn auch vor allem fürs heimische Publikum gedacht.

Der Kremlchef ist ein talentierter Illusionskünstler, dem es gelang, den Bürgern Glauben und Stolz an Russlands weltbeherrschende Rolle zurückzugeben. Als stünde das Supermacht-Revival unmittelbar bevor.

Dabei steht es um Moskau gar nicht zum Besten. In den 16 Jahren Putin-Herrschaft ist Russlands Abhängigkeit vom Rohstoffsektor noch einmal um die Hälfte gewachsen. Als Modernisierer des Reiches tat sich der Kremlchef nicht hervor.

Extensives Wirtschaften

Vielmehr reagiert das Moskau Putins mit dem Engagement in Syrien wie dessen kommunistische und zaristische Vorgänger. Auch sie versuchten, wirtschaftliche Krisen durch territoriale Ausdehnung, Militarismus, erhöhte Rohstoffausbeutung – sprich extensives Wirtschaften zu meistern.

Der Ausflug in den Mittleren Osten ist ein willkommener Anlass, von wirtschaftlichen Schwierigkeiten abzulenken. Schon sieht es so aus, als müsste der finanziell klamme Staat schmerzhafte Eingriffe in die Rentenkasse vornehmen. Die ältere Generation ist Wladimir Putins treueste Wählerschaft.

Allerdings ist der russische Pantokrator gegen Trivialitäten des Lebens auch gefeit. Die Bürger erwarten von ihm keine Kärnerarbeit am Boden. Er ist für das Große und Ganze, Russlands zivilisatorische Mission zuständig. Zumal territorialer Zu- und Statusgewinn auch Einbrüche des Lebensstandards kompensieren helfen, wie das russische Vorrücken in der Ukraine zeigte.

Militärische Niederlage und Sturz Baschar al Assads würde Moskau als eine vom Westen eingefädelte Erniedrigung empfinden. Dem galt die Stationierung russischer Flugabwehrraketensystemen Anfang September, die ein weiteres Vorrücken gemäßigter Gegner des Assad-Regimes unterbinden sollte. Moskau begründete die Intervention mit dem Kampf gegen den Islamischen Staat (IS), doch verfügen die IS-Rebellen über kein Fluggerät.

Risiko Konfrontation

Die Auseinandersetzung mit den Gotteskriegern scheint eher zweitrangig zu sein. Auch wenn Russland den IS kurz vor den ersten Luftschlägen noch als Hauptgrund nannte. Westliche und oppositionelle syrische Quellen gehen davon aus, dass die ersten Luftangriffe nicht Einrichtungen des IS, sondern Stellungen der gemäßigten Opposition galten. Sollte das der Fall sein, wächst auch das Risiko einer Konfrontation mit der westlichen Koalition.

Putin scheint sich seiner Mission jedoch sicher zu sein, wenn er es nicht einmal fürs Protokoll für nötig hielt, zunächst den IS ins Visier zu nehmen. Er scheint sich auch deswegen sicher zu sein, weil sich Washington mit dem Verbleib Assads für eine nicht näher begrenzte Übergangszeit bereits abgefunden hatte.

Putin ist kein Stratege, jedoch ein gewiefter Taktiker, der den Westen vor sich hertreibt. Klar ist, der Kremlchef bastelt an einer Koalition mit dem Iran. Käme die zustande, wäre die Kräfteverteilung im Nahen Osten verschoben. Moskau hätte nicht nur eine Annäherung Teherans an die USA vereitelt, sondern in der Region auch ein Gegengewicht zur Achse USA-Saudi-Arabien geschaffen.

Wladimir Putin ist wie seine Entourage besessen von der Übermacht der USA. Vielleicht übersieht er daher Risiken, die im Bündnis mit Teheran und Bagdad lauern. Russland würde einen Pakt mit den Schiiten eingehen. Die Mehrheit der Muslime in der Region sind unterdessen genauso wie Russlands Muslime Sunniten.

Sunniten auf Distanz

Wenn Moskau Assad unterstützt und den IS bombardiert, dürften die Sunniten bald auf Distanz gehen. Nicht nur in der arabischen Welt, in der sie dominieren, sondern auch in Russland.

Nun wollte der Kreml aber gerade durch das Vorgehen gegen den IS der Gefahr des Terrors zu Hause vorbeugen. Auch im Nahen Osten träumt der Kreml von Einflussgewinn. Es sieht jedoch so aus, als hätte er langfristige Folgen nicht bedacht. Nimmt Moskau solche Gefahren in Kauf, um dem verhassten Westen kurzfristig eins auszuwischen?

Der Kremlchef hat sich schon beim Buhlen um den neuen Verbündeten China verrechnet. Verständlich ist, dass Präsident Putin in den Kreis der Mächtigen zurückkehren möchte. Nicht durch einen Gnadenakt, sondern aus einer Position der Stärke heraus, die es Moskau erlaubt, sich als Weltpolizist und Global Player zu fühlen. Viele Bürger wären ihm dafür dankbar. Die Stärke täuscht indes, sie ist das Resultat permanenten Foulspiels.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.