Kriegsfilm „Unser letzter Sommer“: Kurze Augenblicke der Innigkeit

In „Unser letzter Sommer“ kommen polnische und deutsche Jugendliche im besetzten Polen auf bizarre Weise zusammen.

Franka und Romek laufen Bahngleise entlang

Liebe in Zeiten des Krieges: Urszula Bogucka als Franka und Filip Piotrowicz als Romek in „Unser letzter Sommer“. Foto: Alexander Janetzko/promo

Ist so etwas wie Normalität in Kriegszeiten möglich? Oder erlaubt? „Unser letzter Sommer“ des polnischen Regisseurs Michael Rogalski, der Historien- und Coming-of-Age-Film zugleich ist, beschäftigt sich mit dieser Frage. Er handelt von der Begegnung dreier Jugendlicher im Sommer 1943 im Osten Polens vor der Kulisse des Zweiten Weltkriegs. Das ist eine außerordentliche Situation.

Die Begegnung der Jugendlichen indessen ist arglos und pur, deswegen freilich nicht unkompliziert. Was wohl auch jeder bestätigen kann, der mal weder Kind noch Erwachsener gewesen ist. Da ist der junge deutsche Soldat Guido (Jonas Nay), kaum siebzehn Jahre alt, den man zum Gendarmerieposten Wróblew abkommandiert hat. Sowie der ebenfalls 17-jährige Romek (Filip Piotrowicz), ein Heizer bei der hiesigen Eisenbahn. Und Franka (Urszula Bogucka), ein Mädchen aus dem Dorf, das Romeks Schwarm ist.

Der Zufall will es, dass sich ihre Wege kreuzen. Und Michael Rogalski untersucht in seinem Kinodebüt jenes Kreuzen von seinen unterschiedlichen Positionen aus. Denn unterschiedlich positioniert, das sind die drei allemal. Guido ist der jüngste Spross in einem 12-Mann-Trupp, der gerade das Dorf erreicht hat, um einen Wachposten zu beziehen. Der Ort liegt in unmittelbarer Nähe zum Vernichtungslager Treblinka.

In „Unser letzter Sommer“ spielt es keine direkte Rolle, ist aber dennoch präsent. Sei es der Blusen wegen, die Romeks Mutter trägt. Oder des Füllers, den der Trupp dem neuen Oberleutnant zum Dienstantritt schenkt. An den Gleisen stoßen Eisenbahner und Soldaten nämlich immer wieder auf Habseligkeiten Deportierter, die wiederum von deutschen Soldaten gehandelt werden. Manchmal ergattert ein Arbeiter der polnischen Eisenbahn ein besonderes Stück an der Bahnrampe – und bringt es seiner Liebsten mit. Romeks Chef, der zugleich der neue Freund der Mutter ist, verfährt so.

Von Fotografien inspiriert

Es ist ein mitunter bizarrer Zusammenschluss, der hier entsteht, und Polen und Deutsche zusammenbringt. Gewalt ist gegenwärtig, doch nicht selten zugedeckt, eher unterschwellig. Dann wird es wieder roh, grausam. Ekelhaft sind beide Formen. Und immer wieder thematisiert der Film die leidliche Kooperation zwischen Eisenbahnern und Besatzern.

Die erste Begegnung zwischen Guido, Romek und Franka ereignet sich völlig abseits des Alltags­geschehens

Letztere sichert Romek wiederholt das Leben. Als er etwa einmal von Soldaten in einem Waldstück nahe der Gleise aufgefunden wird, bewahrt ihn sein Dienstausweis vor dem möglichen Tod. Es ist aber nicht nur er, der Romek schützt – es ist auch Guido, der mit Romek sympathisiert und ihn ein ums andere Mal, entgegen der Vorschrift, entkommen lässt. Romek und Guido spiegeln einander, sind verbunden, und stehen doch an sehr gegensätzlichen Punkten. Hinzu kommt das Buhlen um dieselbe Frau: Franka.

Michael Rogalski sagt, die Geschichte von „Unser letzter Sommer“ sei von Fotografien inspiriert, die er in einem Familienalbum gefunden habe. Fotografien mit ausgelassenen Paaren an einem Gewässer – aus dem Jahr 1943. Faszination und Schock der Aufnahmen: die völlige Abwesenheit von Krieg. Es ist diese Spannung, die der Film aussenden sollte. Um sie zu erreichen, hat Rogalski eine klassische Strategie angewandt – das Nebeneinanderstellen sehr kontrastreicher Szenen und unterschiedlicher Erzählstränge, die immer wieder in einen gemeinsamen Strom fließen.

Dass diese Wechsel nicht unangenehm aufstoßen, spricht für narratives Geschick. Und „Unser letzter Sommer“ ist nicht bescheiden im Einführen und Anspielen neuer Töne. Da geht es einerseits um das Truppenleben mit seinen Hierarchien, um das männerbündlerische Zusammensein und den Platzhirsch-Gestus. Aber es geht auch um Kameradschaft und kleine Fluchten, denen sich Guido hingibt. Erzählprinzip und Situation geschuldet, halten diese jedoch nie allzu lange vor.

Regie: Michal Rogalski. Mit Jonas Nay, Filip Piotrowicz u.a. Deutschland/Polen 2015, 100 min.

Himmel und Hölle nah beieinander

Alle Tonlagen sind durch den steten Wechsel verstärkt. Die erste Begegnung zwischen Guido, Romek und Franka ereignet sich für ein paar Momente völlig abseits des jeweiligen Alltagsgeschehens. Und sie ist von der Musik bestimmt, wegen der Guido überhaupt erst im Trupp gelandet ist – denn jene, die Guido bevorzugt, gilt als „entartet“. Der Aufenthalt beim Gendarmerieposten ist eine Strafe. Dank Romek kann Guido den geächteten Melodien auch in Polen wieder lauschen.

Denn Romek hat an den Bahngleisen einen Koffer gefunden, der eine wohl sortierte Schallplattensammlung enthält. Jazz, Swing. Sie lässt er eines Abends für Franka spielen. Guido folgt den Klängen, betritt über ein offenes Fenster den Raum und übernimmt, im Namen der Musik, das Kommando. Er bittet Franka zum Tanz und Romek ist abgemeldet. „Das wäre doch ein Küken für dich“, hatten zuvor schon die Kameraden gefeixt. Zärtlichkeit ist in dieser Aussage nicht zu finden. Aber genau die ist es, die Guido für Franka entwickelt.

Während sich die beiden annähern, macht Romek andere Erfahrungen. Auch sie sind von der dramatischen Verschaltung beeinflusst, nach der Himmlisches und Höllisches nie sehr weit voneinander entfernt liegen. Im Wald stößt er auf die geflohene Jüdin Bunia (Maria Semotiuk) und beschließt nach einigem Hin und Her, das abgemagerte Mädchen bei einem Nachbarn zu verstecken. Für kurze Augenblicke erwächst auch hier eine Innigkeit. Bis ein Trupp der Roten Armee das Bauernhaus erreicht.

Es ist ein Einbruch der Wirklichkeit in die Wirklichkeit. „Unser letzter Sommer“ ist ein Spiel mit Ebenen, die einander, auf den ersten Blick, eigentlich ausschließen müssten. Sie existieren aber dennoch. Und das ist ein lebensnahes Paradox.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.