„Ich muss einfach mit Tomaten werfen“

ÜBERLEBENSKÜNSTLER Thomas Mahmoud ist ein echter Multichecker: Musiker, Schauspieler, Autor und Hörspielproduzent. An seine Jobs kommt er manchmal auf ungewöhnliche Weise, erzählt er im Interview

Fällt gerne ins Loch: Thomas Mahmoud Foto: privat

Interview Andreas Hartmann

taz: Thomas Mahmoud, Sie schreiben Hörspiele, sind Musiker und arbeiten als Schauspieler. An was arbeiten Sie gerade?

Thomas Mahmoud: Ich habe ein neues Projekt gegründet, Phoebe Killdeer & The Shift. Phoebe war mal Sängerin bei der erfolgreichen französischen Cover-Band Nouvelle Vague. Kürzlich haben wir unsere Debütsingle aufgenommen und produzieren nun Songs für ein Album. Ich arbeite auch an einem Hörspiel: „Rocky Movement – Der Irrsinn läuft weiter“. Ein Science-Fiction-Hörspiel. Drei Superhelden – die Gonzo-Journalistin Mary Cane Vogel, der Musiker Grandmaster Softgott und der Filmemacher Jimmy Sorglos – sind auf der Suche nach dem Ursprung eines Virus, der das Sprachzentrum auf null reduziert und die Leute mit Ideologien infiltriert und Denkmustern, aus denen sie nicht mehr herauskommen. Und ich plane eine Oper.

Sie veröffentlichen unter ständig wechselnden Pseudonymen beinahe wöchentlich. Wie sieht denn so Ihr Tagesablauf aus? Wie schaffen Sie es, sich nicht zu verzetteln?

Ich mache alles mögliche gleichzeitig. Kaffee trinken gehen muss ich auch noch, und Freunde treffen. Deswegen wollte ich auch nie einen richtigen Beruf, aber auch kein Künstler sein. Man braucht eigentlich auch gar keinen Beruf.

Und das läuft alles rund?

Ich falle immer in ein Loch rein, komm dann wieder raus und bin wieder irgendwo anders drin. Das funktioniert. Es gibt außerdem ein paar Leute, die mögen, was ich mache. Dadurch habe ich solche Jobs bekommen, die mir das Leben finanzieren, wie ich es führe.

Anfang der Nullerjahre, als Sie noch in Köln lebten, waren Sie Sänger von Oliver Twist und Von Spar, zwei Bands, die kurz davorstanden, groß zu werden. Jetzt machen Sie sperrigen Noise, bei dem das Publikum von einst schreiend den Raum verlassen würde.

War eine gute Zeit damals, aber das ist lange her. Ich sehe mich auch gar nicht als Musiker, sondern als jemand, der Geräusche aufnimmt und versucht, aus diesen Musik zu machen. Ich spiele keine klassischen Instrumente, und wenn, dann werden sie unbedingt gegen ihre Bestimmung genutzt. Ich kann mich auch gegen die Wand schmeißen und daraus Sound machen. Oder meine Waschmaschine aufnehmen und daraus Basslines basteln. Alles kann Klangkörper sein. John Cage hat einmal auf die Frage, was für ihn die schönste Musik sei, geantwortet: Wenn er in seiner Wohnung in New York sitzt und das Fenster aufmacht.

Das Singen haben Sie ganz aufgegeben?

Ich war eigentlich gar kein Sänger, ich kann ja auch gar nicht singen. In meinen Bands war ich stets der schlechteste Instrumentalist, deswegen haben alle gesagt: Komm, das Einzige, was du kannst, ist Schreien, also schrei. Meine Kollegen haben dazu Akkorde gespielt und ich habe Texte geschrien.

Nach Ihrer Bandzeit sind sie zunächst mit einem Soloprogramm aufgetreten, unter anderem im Vorprogramm der Goldenen Zitronen. Was genau haben Sie gemacht?

Industrial und dazu Texte von Rolf Dieter Brinkmann, Fassbinder und Adorno zerhackt. Damit habe ich meist vier- bis fünfhundert Leute vor die Tür gejagt. Manchmal blieben nur noch ein paar von den Zitronen übrig. Das Spex-Publikum fand das dagegen nicht so prickelnd.

Und danach wollte Sie niemand mehr als Anheizer?

Nein. Außer einigen Theaterleuten, die das, was ich gemacht habe, cool fanden. Die haben mich dann gefragt, ob ich nicht für sie Theatermusik machen könne. Das war dann an der Schaubühne. Das habe ich gemacht, bis ich bei einer Produktion rausflog, weil ich mit der Struktur des Theaters nicht klargekommen bin. Aber auch hier zeigt sich, dass sich aus dem einen oft noch etwas anderes entwickelt. Zuletzt war ich mit Mouse In Mars ein dreiviertel Jahr in Wien am Schauspielhaus. Eigentlich war ich mit für die Musik verantwortlich, aber dann fragte mich die Regisseurin, ob ich nicht noch als Rezitator mit auf die Bühne wolle, und so war ich auch noch als eine Art Schauspieler mit bei dem Stück dabei.

Vor Kurzem sind Sie unter die Filmschauspieler gegangen. Sie sollen den Regisseur Klaus Lemke von einem Fenster Ihrer Wohnung aus mit Tomaten beschmissen und dadurch zu seinem Helden geworden sein.

So war es. Ich habe ihn mit Tomaten beworfen und kurz darauf stand er vor meiner Tür und ist nicht mehr gegangen. Ich habe ihm ja gesagt: Bitte bleib weg von meiner Wohnung. Er hat mich angebettelt und ich wurde ihn einfach nicht mehr los. In Lemkes letzten beiden Filmen, „Berlin für Helden“ und „Kein großes Ding“, habe ich mitgespielt, und seitdem fragt er mich dauernd, ob ich nicht Lust habe, mal wieder einen Film mit ihm zu drehen. Vielleicht auch, weil ihn vorher noch nie jemand mit Tomaten beschmissen hat. Dabei ist das doch nur mein Job.

Thomas Mahmoud

Geboren 1977, wurde mit der Kölner Band Von Spar bekannt. Er hat auch mit Fehlfarben und Stereo Total gespielt. In Berlin arbeitet er projektbezogen, macht Theater, oder Musik. Zahlreiche Veröffentlichungen als Grandmaster Softgott, Tannhäuser Sterben & das Tod. Mahmoud produziert zudem Hörspiele und übernimmt Rollen in Filmen von Klaus Lemke. Das Interview fand in der Kneipe Quelle statt, wo man Futschis trinkt und wo Helene Fischer läuft.

Das ist Ihr Job? Jemanden mit Tomaten zu beschmeißen?

Einen richtigen Job habe ich ja gar nicht, ich kann machen, was ich will. Aber wenn ich Langeweile habe, beschmeiße ich Leute eben mit Tomaten. Von meinem Fenster aus.

Das passiert also tatsächlich öfter, dass Sie Leute mit Tomaten bewerfen?

Dauernd. Ständig rege ich mich über irgendetwas auf und dann muss ich einfach mit Tomaten werfen. Ich will eigentlich nie jemanden konkret treffen, aber manchmal passiert das eben.

Und Sie haben immer Tomaten im Haus?

Ja. Tomaten sind so praktisch. Man kann sie als Saft trinken, man kann sie essen und man kann sie werfen.

Wie kam Klaus Lemke dann dazu, Sie als Schauspieler für seine Filme zu engagieren?

Zwei Tage nach der Tomatenattacke lag schon die erste nackte Frau bei mir im Wohnzimmer. Der Lemke sagte nur: Mach den Mahmoud und beschimpf sie und die anderen Schauspieler. Dafür gibt’s 50 Euro am Tag. Da habe ich gesagt: Dafür gibt es 50 Euro? Das ist der beste Job, den ich je hatte, wie lange darf ich das machen?

50 Euro, das ist der Tagessatz von Klaus Lemke, den er allen seinen Schauspielern zahlt. So richtig viel ist das auch nicht.

Nein. Der Tagessatz wird aber erhöht, wenn der Film an das ZDF verkauft wird. Dann kommen nochmals 100 Euro pro Tag dazu. So kommt da richtig Geld rein. Und die Drehtage mit dem Lemke waren auch immer nur so zwischen fünf Minuten und zwei Stunden. Wir haben immer den ersten Take genommen, weil ich dem Lemke gesagt habe: Ich überarbeite mich nicht, auch für dich nicht. Das hat er akzeptiert – First Take und dann hat er immer gesagt: Bombe, Digger! – und seitdem sind wir Freunde.

Arbeiten mit Klaus Lemke, ist das so, wie man sich das vorstellt: Eine durchgeknallte Grenzerfahrung?

„Ich habe Industrial gemacht und dazu Texte von Rolf Dieter Brinkmann, Fassbinder und Adorno zerhackt und damit meist vier- bis fünfhundert Leute vor die Tür gejagt“

Thomas Mahmoud

Das ist total bereichernd. Wir haben in Berlin an Orten gedreht, die wird es in zehn Jahren nicht mehr geben. Oder der Lemke kommt mir entgegen mit einer Frau im Arm, die drei Köpfe größer ist als ich, weil sie so dermaßen hohe Higheels anhat und die sagt: Hey, ich bin Leila Lowfire, und dann googelt man die, erfährt, dass das eine Iranerin aus der Softpornobranche ist. Und so habe ich meinen Horizont schon wieder erweitert.

Klaus Lemke soll gesagt haben, in Ihnen erkenne er sich selbst wieder.

Wir haben eben eine ähnliche Art, unsere eigenen Sachen zu lieben, dahinterzustehen und sie um jeden Preis umzusetzen. Wir machen beide einfach und orientieren uns nicht danach, ob das jetzt einem Redakteur oder einem Intendanten gefällt, ob ein Sender oder eine Plattenfirma das veröffentlicht, ob ein Film- oder Musikjournalist darüber schreibt. Das ist uns beiden wichtig, auch wenn am Ende vielleicht nichts aus dem Projekt wird. Dann bleibt immer noch die Zeit, in der man mit anderen Leuten seine Idee verfolgt hat. Und diese Erfahrung kann man vielleicht schon wieder in seinem nächsten Projekt nutzen.

Junge Bands heute schauen erst mal, ob sie über irgendeinen öffentlich finanzierten Fördertopf ihr Album produziert bekommen. Einfach nur so läuft nur noch wenig.

Das stimmt. Beim Durchblättern von aktuellen Musikmagazinen stellst du aber auch schnell fest: Das sind alles dieselben Leute, dieselben Labels, dieselben Bands und eigentlich sehen die auch alle gleich aus. Aber alle behaupten, anders als die anderen zu sein.

Zum Schluss noch was ganz anderes: Die Plastiktüte, die Sie dabeihaben, haben Sie die ernsthaft geflickt?

Ich habe immer eine Plastiktüte dabei und die flicke ich auch. Ich bin kein verschwenderischer Typ und man muss ja auch schauen, dass man ein wenig bewusst lebt. Ich habe drei Tüten. Eine von Kaisers, eine von Lidl und eine von Aldi. Ich sammle immer das, was andere wegschmeißen. Je nachdem, mit wem ich mich treffe, entscheide ich mich für eine bestimmte Tüte.

Thomas Mahmoud live mit seinem Projekt SFX am 28. 10. im 60Hz Club in Prenzlauer Berg