Digitale Stromzähler: Ein Meter Fortschritt

Politiker preisen die Smart Meter als nächsten Schritt der Energiewende. Doch welchen Sinn haben sie? Und was erzählen sie über mich?

Ein herkömmlicher Stromzähler.

Mehr als nur Stromzählen: Die alten Stromzähler sollen bald ausgestauscht werden. Foto: dpa

BERLIN taz | Die kleine Maschine will nur das Beste: Sie soll helfen, zu Hause Energie zu sparen. Die kleine Maschine ist wie ein Spion, der im Keller mitliest oder hinter der Eingangstür lauert. Peu a peu sollen in privaten Haushalten Stromzähler installiert werden, die an das Internet angebunden sind.

So liest sich der Entwurf für das „Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende“. Im November soll er bereits im Kabinett verabschiedet werden. SPD-Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel versteht die „intelligenten Stromzähler“ – englisch: Smart Meter – als wichtige technische Neuerung auf dem Weg zur Energiewende.

Die Smart Meter messen im Viertelstundentakt den Verbrauch eines Haushalts. Der Kunde kann sich seinen aktuellen Stromverbrauch als Kurve auf einem Bildschirm, beispielsweise auf dem Computer, anzeigen lassen. Die gleichen Daten bekommt auch der Stromanbieter. Der Verbraucher kann beobachten, wann er besonders viel Strom verbraucht und im Idealfall Zeiträume dafür auswählen, in denen ein günstigerer Tarif gilt. So könnte er künftig zur Mittagszeit, wenn die Sonne scheint und besonders viel Solarenergie erzeugt wird, seine Wäsche waschen.

Marion Jungbluth von der Verbraucherzentrale Bundesverband, vzbv, sieht die Smart Meter allerdings skeptisch und das nicht aus ökologischen Gründen: Wieder eine digitale Spur hinterlassen, wieder ein Stück Anonymität dahin. Die Expertin für Energie und Mobilität ist derzeit eine der wenigen Widersacherinnen gegen Gabriels – wie sie das nennt – „Zwangsdigitalisierung“.

„Wann stehen Sie auf, wann verreisen Sie, haben Sie Freunde, hängen Sie Stunden im Internet, gucken sie viel fern?“ – Die modernen Ablesegeräte, erklärt sie, könnten viel mehr erfassen als nur den Energieverbrauch in einer Wohnung. Anhand der übermittelten Daten sei zu sehen, ob die Spül- oder Waschmaschine an sind, der Computer oder der Fernseher. Es lasse sich sogar analysieren, welches Programm, Rosamunde Pilcher oder Talkshow, läuft. Experten der Fachhochschule Münster haben das beschrieben: Hell- und Dunkel-Abschnitte brauchen verschieden viel Strom.

Julia Verlinden, Grüne

„Es darf keine Zwangsbeglückung mit Smart Metern für private Haushalte geben“

Schon seit einigen Jahren kümmert sich die „Kleemann-Arbeitsgruppe“ um den Entwurf. Alexander Kleemann ist Referent für Netzregulierung im Bundeswirtschaftsministerium. Er lädt regelmäßig in den Hörsaal des Ministeriums. Dabei sind dann Beamte, Fachleute, zahlreiche Industrievertreter. Und Jungbluth oder eine ihrer Kolleginnen für den vzbv.

Das Recht auf Privatsphäre werde bedroht, sagt Jungbluth: „Verbraucher willigen nicht ein. Sie können es nicht ablehnen. Aber Sie zahlen dafür.“ Denn für die Installation der Smart Meter wird eine Gebühr fällig. Dazu kommt der monatliche Messpreis, der oft höher liegt als bisher. Genauer: Im Gesetzentwurf sind nach Verbrauch gestaffelt Preisobergrenzen festgelegt – insgesamt 23 bis 100 Euro im Jahr.

So mancher Verbraucher hat, um den Strompreis zu senken, schon den Anbieter gewechselt, moderne LED-Lampen eingedreht und den sparsamen A+++-Kühlschrank in der Küche. Doch den Energieverbrauch zählen oft noch die alten Ferraris-Stromzähler. Diese liefern nur einen einzigen Wert: Verbrauch seit Installation des Geräts. Darum kommt jedes Jahr einmal ein Ablesedienst vorbei.

Das Interesse nimmt ab, die Kosten bleiben

Viele können den Smart Metern etwas abgewinnen. Die digitale Wirtschaft, zum Beispiel. Der Verband Bitkom findet, dass sich „Energieeinsparpotenziale heben lassen“. Und die Wohnungsbesitzer, also der Gesamtverband der deutschen Wohnungs- und Immobilienunternehmen, GDW, „begrüßt wesentliche Inhalte des Referentenentwurfs“.

Stromversorger haben bereits versucht, ihre Kunden von Smart Metern zu überzeugen, aber ohne durchschlagenden Erfolg. „Der Vorteil ist nur theoretisch“, meint die Verbraucherschützerin, „das Interesse am visualisierten Stromverbrauch nimmt schon nach drei Monaten ab und dann ist wieder alles beim Alten, aber die Kosten bleiben.“ Wie bei einem Fitnessgerät, man kauft es, ist begeistert – und lässt es stehen. Auch die Energiewende liefere kein Argument.

Tatsächlich schrieb der Bundestag dieses Jahr im Bericht „Moderne Stromnetze als Schlüsselelement einer nachhaltigen Stromversorgung“: Es sei nicht „erforderlich, die Verbrauchsdaten jedes einzelnen Haushalts zu jeder Zeit zu kennen, sondern die aggregierten Daten eines Straßenzugs oder eines Quartiers würden für diesen Zweck völlig ausreichen“. Diese Daten liefern sogenannten regelbare Ortsnetztransformatoren.

Jungbluth sagt das so: „Wären Smart Meter eine Revolution, könnten Wirtschaft und Regierung die Verbreitung auch dem Markt überlassen. Machen sie aber nicht.“

Unternehmensberatung bezweifelte den Nutzen

Das Bundeswirtschaftsministerium beruft sich auf eine EU-Richtlinie. Danach sollen 80 Prozent der Verbraucher bis 2020 mit der neuen Technik ausgestattet werden. Vorausgesetzt: Der Nutzen überwiegt die Kosten. In Italien werden zum Beispiel schon heute viele Smart Meter eingebaut – vor allem um Stromklau einzudämmen. In Deutschland ist das aber weniger ein Problem. Die hiesigen Beamten haben also nachrechnen lassen.

Ein erstes Mal im Jahr 2013. Da kam die Unternehmensberatung Ernst & Young zum Schluss, dass es sich in der Regel für den einzelnen Privathaushalt nicht lohne, die modernen Zähler mitsamt der nötigen Kommunikationstechnik einzubauen. Im Dezember 2014 hat das Ministerium diese Studie, wie es am Anfang des Gesetzentwurfs heißt, „aktualisieren“ lassen.

Die Unternehmensberater empfahlen nun einen „am individuellen Nutzenpotenzial orientierten Rollout“. Sie rechneten vor, das ein klassischer 1-Personen-Haushalt 3 Euro spare, ein größerer Haushalt mit 7.500 Kilowattstunden 80 Euro. So viel verbraucht etwa ein Haushalt mit fünf Kindern – oder so hoch ist der Verbrauch von Leuten mit einer wenig effizienten Wärmepumpe im Keller.

So soll die Umstellung nun 2017 beginnen. Ab dann sollen jene, die mehr als 10.000 Kilowattstunden Strom verbrauchen – das sind vor allem Gewerbe und Industrie – ihre Zähler modernisieren. Auch für Verbraucher, die ein E-Auto fahren oder Ökostromanlagen mit einer Leistung von mehr als 7 Kilowatt soll es die neuen Messsysteme geben. 2020 folgt dann eine Einbaupflicht für größere Haushalte mit über 6.000 Kilowattstunden.

Für die meisten Verbraucher ist aber vor allem eins in dem Gesetzentwurf interessant: Stadtwerke und Netzbetreiber „können“ überall moderne Zähler und Digitaltechnik einbauen. Heißt: Es gibt keine Pflicht, aber wenn Betreiber sich für die Installierung der neueren Geräte bei ihren Kunden entschließen, können diese sich nicht dagegen wehren. Sie haben kein Recht mitzureden.

Geschäft mit Daten

Die Daten der Stromkunden werden zum Geschäft, sagt Jungbluth. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Unternehmen und Versicherungen an die Stromzählerdaten wollen.“ Ist doch nicht schlimm, wenn jemand weiß, wann ich wasche? „Irgendwann interessiert sich vielleicht die Krankenkasse für die Lebensgewohnheiten – und erhebe entsprechende Beiträge“, meint Jungbluth.

Die neuen intelligenten Messsysteme sollten „höchsten technischen Datenschutzanforderungen“ genügen, erklärt das Bundeswirtschaftsministerium. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) arbeite an „pivacy by design“-Standards. Der technische Fortschritt werde voraussichtlich auch „neue Bedrohungsszenarien mit sich bringen“. Die intelligenten Messsysteme müssten Schritt halten.

Was davon zu halten sei, könne jeder selbst überlegen, meint Jungbluth. Sie fordert nur eins: Verbraucher sollen sich entscheiden dürfen, auch gegen einen Smart Meter. Wie in Österreich. Oder in den Niederlanden. Auch die energiepolitische Sprecherin der Grünen, Julia Verlinden, sagt, es dürfe „keine Zwangsbeglückung mit Smart Metern für private Haushalte geben“. Jungbluth muss aber auch die Regierung überzeugen. Viel Zeit bleibt nicht.

Sie kann sich auch berufen auf ein Maßnahmenprogramm, das das Bundeswirtschaftsministerium mit dem Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz erst Anfang Oktober verabschiedet hat. Der Titel: „Mehr Sicherheit, Souveränität und Selbstbestimmung in der digitalen Wirtschaft.“ Darin heißt es: „Damit die Chancen auch Chancen bleiben, müssen Risiken und Probleme für Verbraucher, Rechtsstaat und Demokratie offen diskutiert werden.“

Wie ernst das gemeint ist – unklar. Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz wollte sich zu den Stromzählern nicht äußern. Zunächst stimmten sich die Ministerien untereinander ab, erklärte ein Sprecher der taz. Verbraucherstaatssekretär Ulrich Kelber hat die Sache für sich übrigens bereits entschieden: Er hat zu Hause schon ein Smart Meter.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.