Debatte um Suizidbegleitung: Der Streit ums gute Sterben

Die professionelle Suizidbegleitung soll per Gesetz verboten werden: Bei einer Debatte in Bremen prallen Extrempositionen aufeinander.

Sterbemedikation: Auf Wunsch gibt es den Tod auch mit Apfelmus. Foto: dpa

BREMEN taz | Vier interfraktionelle Gesetzesentwürfe zum Thema Sterbehilfe liegen dem Bundestag vor. Und ohne Fraktionszwang wird das Plenum kommenden Freitag darüber debattieren ob, vor allem aber wie die Begleitung des Freitods künftig zu erschweren ist. Wenigstens, wenn sie geschäftsmäßig „kommerziell“ erfolgt.

Auch demokratietheoretisch ist das bemerkenswert, denn laut aktuellen Erhebungen befürwortet eine breite Mehrheit die Erleichterung der Suizidbegleitung. Zwischen 67 und 83 Prozent: „Man fragt sich, was mit den Politikern los ist“, hatte am Mittwochabend in der Bremer Arbeitnehmerkammer eine Frau aus dem Publikum in Anspielung darauf zugespitzt, „brauchen die ein neues Volk?“

Dort veranstalteten der Bremer Landesverband der Humanistischen Union und die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) eine Diskussion. „Wir haben“, so die örtliche DGHS-Ansprechpartnerin Evelyne Gläß, „alle sechs Bremer Bundestagsabgeordneten eingeladen.“ Gekommen waren dann drei: Während die Sozialdemokratie zum Thema nichts beizutragen hat, stellten sich Marieluise Beck (Grüne), Birgit Menz (Die Linke) und Elisabeth Motschmann (CDU) den Bedenken und den Anregungen der WählerInnen. Genau genommen referieren sie nur, wie sie stimmen wollen und warum. Den inhaltlichen Streit trägt das Publikum aus: In Bremen leben wichtige Akteure der Debatte. Und viele von ihnen sind gekommen.

Auch Peter Puppe ist da. Über Puppe hat die Hannoversche Allgemeine kürzlich geschrieben, er sei ein Hauptgrund dafür, dass der Bundestag jetzt über die Gesetze nachdenke. Denn Puppe ist kein Mediziner. Er ist Lehrer im Ruhestand. Früher war er Rektor der Thomas Mann-Schule. Trotzdem berät er Lebensmüde. Die meisten, sagt er, hätten sich gegen den Tod entschieden. Den anderen bereitet er einen speziellen Giftcocktail, den sie zum Beispiel mit Apfelmus einnehmen. Bis auf den Künast-Entwurf (siehe Kasten) würden die neuen Gesetze Puppe das Handwerk legen. Jetzt hält er ein erfahrungssattes Plädoyer fürs Recht, einem Leben, das dem, der es lebt unerträglich geworden ist, den Ausweg in den Tod offen zu halten.

Am 6. November diskutiert der Bundestag über vier Gesetzesentwürfe fraktionsübergreifender Abgeordneten-Gruppen.

Entwurf Künast: Die Straffreiheit von Hilfe zur Selbsttötung wird ausdrücklich gesetzlich fixiert.

Entwurf Sensburg: Die Teilnahme an einer Selbsttötung wird unter Strafe gestellt.

Entwurf Hintze: Nur Ärzte dürfen unter zu regelnden Umständen die Lebensbeendigung begleiten.

Entwurf Brand: Die geschäftsmäßige Hilfe bei der Selbsttötung wird zum Straftatbestand, nicht aber die private Teilnahme.

Puppes Widerpart ist der fromme Kinderarzt Eckhard Piegsa, ein beliebter Prädikant an St. Martini und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Mediziner. Er warnt davor, „eine Tür zu öffnen“: In den Benelux-Staaten habe sich „in einem Feldversuch“ der Freitod epidemisch verbreitet, behauptet er, allerdings im Widerspruch zu den Zahlen des Centraal Bureau voor de Statistiek. Piegsa hatte in die bundesweite Debatte mit einem von 350 ÄrztInnen unterzeichneten Offenen Brief eingegriffen. In dem warnt er vor einem „Bruch mit dem seit 2.400 Jahren gepflegten Hippokratischen Ethos“. Das schließe jede Beteiligung an einer Selbsttötung aus. Dass der Eid des antiken Arztes Hippokrates Medizinern auch verbietet, Operationen durchzuführen, vergisst er, zu erwähnen.

Als Koreferent eingeladen hatten die VeranstalterInnen Lorenz Böllinger. Der hatte eine Stellungnahme deutscher StrafrechtslehrerInnen in die Beratungen des Bundestags eingebracht. Aus dem Publikum muss sich der Experte trotzdem den Vorwurf gefallen lassen, er rede „groben Unfug“: Der Jura-Prof hatte den Fall konstruiert, dass „bei konsequenter Rechtsauslegung“ ein Arzt, der auf Wunsch des Patienten die künstliche Lunge abgestellt hat, lebensrettend eingreifen müsse, sobald der Sterbende sein Bewusstsein verliere. Garantenpflicht heißt das.

Aber das sei reine Theorie, „so bescheuert sind wir nicht mehr“, entrüstet sich Hans-Joachim Willenbrink, der Chefarzt der Palliativstation am Krankenhaus Links der Weser. „Die Garantenpflicht ist aufgehoben“, berichtet er, „wenn eine Verfügung vorliegt.“ Die Gesetzentwürfe, da ist er mit Böllinger wieder einig, lehnt er ab. „Die brauchen wir nicht.“

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