Die Dinge anders zum Ausdruck bringen

SPRENGSÄTZE Zu seinem 40. Todestag zeigten Veranstaltungen am Deutschen Theater und der Neuköllner Kneipe Laidak, wie aktuell der Schriftsteller und Filmemacher Pier Paolo Pasolini noch immer ist

Pier Paolo Pasolini 1971 während der Dreharbeiten zu seinem Film „Decameron“ Foto: Vittoriano Rastelli/Corbis

von Jens Uthoff

Die Vita und die Erscheinung des großen italienischen Künstlers Pier Paolo Pasolini hatte so ziemlich alles, was man braucht, um postum mystifiziert zu werden: Skandalwerke am laufenden Band. Wechselnde Berufungen, die vom Lehrer bis hin zum Dichter und Filmregisseur alles vorsahen. Dazu kam ein Äußeres zwischen Biedermeier und Boheme, mit Trenchcoat und Sonnenbrille. Beides machte sich gut zur Denkerpose. Und am Ende stand ein ungeklärter Mord, möglicherweise ein politischer: Am 2. November 1975 wurde Pasolini im Alter von 53 Jahren an einem Strand in der Nähe von Rom gefunden. Erschlagen und überfahren von dem jungen Prostituierten Pino Pelosi, mit dem er unterwegs war. Das zumindest glaubte man lange, ehe Pelosi 2005 eine andere Version auf den Tisch brachte, die eine Beteiligung der politischen Elite am Mord nahelegt. Aufgelöst ist bis heute nichts.

Dass der Schriftsteller, Filmemacher und Autor auch 40 Jahre nach seinem Tod noch aktuell ist, dass er uns etwas über die heutige Gegenwart erzählen kann, das war in den vergangenen Tagen an sehr unterschiedlichen Orten in Berlin zu sehen und zu hören. So lasen die Schauspielerinnen Nina Hoss, Leda Palma und Graziella Galvani am Sonntag im Deutschen Theater unter dem Motto „Die schwarze Wut der Poesie“ Gedichte und autobiografische Notizen Pasolinis. Tags darauf war in der Neuköllner Kneipe Laidak der Berliner Low-Budget-Film „Sequenza violenta“ (2002) zu sehen, der von den Todesumständen und von den Beziehungen des Künstlers erzählt und zugleich ausschließlich aus Zitaten von ihm besteht.

Sätze wie „Sprengsätze“ – so beschrieb Pasolini einmal selbst in einem Gedicht, wie für ihn Lyrik zu sein hat, und so ist es am Sonntagabend auch auf der Bühne des DT zu erleben. Hoss, Palma und Galvani lesen die bekanntesten Gedichte Pasolinis wie „Le ceneri di Gramsci“ (“Die Asche von Gramsci“) oder „Fragment an den Tod“.

Das Setting könnte Pasolini gefallen haben: Zwei Stühle auf der Bühne, eine Schauspielerin trägt vor, die anderen beiden hören sitzend zu. Nina Hoss im schwarzen Hosenrock, die die zunächst im Original vorgetragenen Gedichte auf Deutsch liest. Die Italienerin Leda Palma, in eine weite Tracht gekleidet, trägt Texte auf Furlanisch vor, der Dialektsprache, in der Pasolini anfangs schrieb. Und dann, von Nina Hoss mit glasklarer Stimme vorgetragen, verharren Sätze wie Widersprüche in der Luft: „Ich liebe die Welt die ich hasse.“ Pasolini: ein Mann des Antagonismus, ein Mann der Widerstände. Aufgelöst wird hier nichts.

Diese Texte haben nichts an Aktualität eingebüßt, sie stehen stark und spröde im Raum. Es entsteht der Eindruck, Pasolini handele sämtliche Probleme des modernen Subjekts auf wenigen Zeilen ab, am deutlichsten wohl in den Gedicht, das mit den berühmten Worten „Io sono una forza del passato“ beginnt: „Ich bin eine Kraft der Vergangenheit (…) / Monströs ist wer geboren wird aus den Eingeweiden einer toten Frau / und ich, erwachsener Fötus, wandle / moderner als jeder Moderne / auf der Suche nach Brüdern, die es nicht mehr gibt.“

Aber es sind auch die Topoi und Motive des aus Bologna stammenden Dichters, die weit in die Zukunft – also in die jetzige Gegenwart – reichen und weit über Italien hinaus. Vor allem seine fast soziologische Sezierung der Gesellschaft, die sich zum Beispiel in seiner Verachtung für das (Klein-)Bürgertum – ein Kampf gegen die eigene Herkunft und ein Widerspruch, den er thematisierte – und seiner Faszination für das Subproletariat niederschlägt. Assoziationen an Banlieues, an Favelas, an White Trash entstehen heute vor dem inneren Auge.

Pasolini faszinierte das Ungestüme dieser Welten. In dem in Neukölln vorgeführten Film „Sequenza violenta“, der erst zum zweiten Mal öffentlich in Berlin gezeigt wurde und den Produzent Fränk Heller mit einem Schmalspurbudget von 4.000 Euro realisiert hat, klingt das so an: „Ich wollte stets die Dinge anders zum Ausdruck bringen unmittelbar und physisch“, spricht Pasolini-Darsteller Uwe Kahler dessen Worte, „anders eben“.

Und am Ende stand ein ungeklärter Mord, möglicher­weise ein politischer

Die Politik des Körpers

Zudem sind es die Beschreibungen von Sexualität, die Pasolini, der wegen seiner Homosexualität aus der PCI ausgeschlossen wurde, sehr heutig wirken lassen. Die Politik des Körpers, eine sich zunehmend entfremdende und mechanische Sexualität, all dies scheint bei Pasolini bereits angelegt – unbeachtet der Tatsache, dass er zu der Zeit, in der er wirkte, aufgrund seiner sexuellen Neigung natürlich andere Kämpfe zu kämpfen hatte als die Homosexuellen in westlichen Demokratien heute.Nicht zuletzt wirkt es so, als sei das Gespenst des Totalitarismus und der Folter, wie Pasolini sie etwa in der Marquis-de-Sade-Verfilmung „Salò o le 120 giornate di Sodoma“, ein zeitloses Thema.

Pasolini hat Sätze und Satzfragmente hinterlassen, die einen unmittelbar zum Nachdenken anregen – so stehen sie auch bei der Vorführung in der Neuköllner Kneipe im Raum wie der Zigarettenrauch und lösen sich nur langsam auf. „Leben heißt, sich den Voraussagen zu widersetzen“, ist einer dieser Sätze. Ein anderer ist: „Sich ausdrücken und sterben“.