Arbeiterverein VfL Wolfsburg: Die proletarische Seele des Eliteklubs

Der Sozialwissenschaftler und VfL-Fan David Bebnowski erklärt, warum der Verein für die geringen Zuschauerzahlen verantwortlich ist.

Fußballspieler vor leerer Stadionkulisse

Ein wenig mehr Zuschauer als hier beim Training der Gastmannschaft sind dann doch im VfL-Stadion Foto: dpa

Die Zuschauerfrage lässt Klaus Allofs nicht los. Vor dem Champions League-Heimspiel gegen den PSV Eindhoven (Mittwoch, 20.45 Uhr) warb der Manager des VfL Wolfsburg für seine Idee. Man solle doch frühere Anstoßzeiten in der Königsklasse zulassen, damit mehr Kinder und auswärtige Fans ins Stadion können. Beim Champions-League-Comeback seines Klubs gegen den ZSKA Moskau lamentierte Allofs erst über das geringe Publikumsinteresse. Die Ursache dafür verortete er aber damals bei der eigenen Anhängerschaft. Er sei enttäuscht, ließ er wissen, die Mannschaft habe das nicht verdient. Wieder einmal sind die Zuschauerzahlen in der VW-Arena Auslöser einer Debatte, die für VfL-Fans schwer erträglich ist.

Die Debatte ist alt und ihre Argumente stets dieselben: Der VfL sei ein Plastikklub ohne Geschichte, bekomme das Stadion nicht voll, habe also kaum echte, treue Fans. Aber woran liegt es, dass der VfL nicht so „zieht“ wie andere Vereine?

Der VfL macht es sich leicht, indem er unter der Woche auf mindestens 5.000 fehlende Schichtarbeiter verweist. Zurecht zwar, denn Heimspiele am Wochenende sind stets gut besucht. Der Haken dieser Argumentation: Die Verantwortung wird vollständig bei den Fans abgeladen, die unversehens in die Schusslinie geraten. Und gelten sie selbst ersteinmal als Hauptproblem, gelangen tiefer liegende Erklärungen zum Verständnis des Zuschauerproblems nicht in den Blick.

Dies ist vor allem für den VfL bequem – wird so doch nie die Verantwortung bei ihm selbst gesucht. Dabei zieht sich wie ein roter Faden eine katastrophale Außendarstellung durch seine Bundesligageschichte. Dem VfL gelang es deshalb nicht, interessierte Zuschauer so zu begeistern, dass sie sich in treue Fans verwandeln. Hier liegt der Grund für die Wolfsburger Zuschauersituation.

Verspieltes Image

2001 nahm man die Ausgliederung der VfL-Fußballsparte als GmbH offenbar so wörtlich, dass man ohne Not Identifikationssymbole des international erfolgreichen und breit in der Region verankerten Vereins mit abstieß. Das Symbol hierfür bildet der Austausch des Vereinslogos. Über Nacht wurde das traditionelle W mit Zinnen, Symbol für die Wolfsburg als Wahrzeichen der Stadt, durch ein giftgrünes asymmetrisches W in einem oben unterbrochenen Kreis ersetzt. Das Logo sollte forsch „nach oben offene“ Ziele verkörpern.

Ohne Not wurde dadurch all das, was der VfL vor 2001 erreichte, verschüttet. Erst jetzt wurde sein Image künstlich. Denn der VfL ist älter als der 1. FC Köln und spielte bereits in den 1950er Jahren erstklassig. Den Aufstieg in die oberste Spielklasse verpasste das Gründungsmitglied der zweiten Bundesliga 1970 nur knapp. Ohne ganz großes Geld etablierte man sich Ende der 90er in der Eliteliga. Kaum Sinn für die eigene Geschichte zeigte sich auch im September beim 70. Geburtstag des Vereins. Die imposante Choreographie im Heimspiel gegen Hertha BSC ging – auch finanziell – ganz auf Rechnung der Fans. Die Fußball-GmbH machte keine Anstalten, dieses Jubiläum zu feiern.

So wirkt der VfL weniger traditionsreich als etwa Mainz 05, das erst sieben Jahre nach den Wolfsburgern in die 1. Bundesliga aufstieg und während gemeinsamer Zweitligazeiten weniger Zuschauer anzog. Dort verleiht das Image des Karnevalsklubs dem Fußballstandort das wichtige emotionale Lokalkolorit – in Wolfsburg wurde solch ein passendes, feuriges Selbstbild nie aufgebaut.

Abhängigkeit von VW

Auch die zunächst utopischen Zielsetzungen von VW schufen Distanz zum VfL. Zu schnell wünschte man sich in die Champions League, investierte hierfür aber lange Jahre nicht nachhaltig genug. Trainer, Spieler, Manager wechselten, eine Verbindung mit dem Team war kaum möglich, der VfL verkam zur sportlichen Lachnummer. Nur in der allerjüngsten Geschichte verhieß die enge Verbindung mit VW sportliche Kontinuität. Wie die Stadt Wolfsburg insgesamt, so ist auch der VfL vom Zustand VWs abhängig.

Aber gerade wegen dieser engen, gewachsenen Verbindung wäre hier so viel möglich! In Wolfsburg ist Arbeit alles und man ist stolz auf sie. Es wäre so ein Leichtes, den Vorwurf, eine Betriebssportgruppe zu sein, selbstbewusst zum Symbol des VfL zu wenden. Nirgendwo sonst gibt es eine glaubhaftere Verbindung zwischen Stadt, Sportverein und Arbeitgeber. Der VfL entstand als Betriebsmannschaft der Werkarbeiter, die Stadt borgte sich ihre Farben von ihm. In der Krise rückt Wolfsburg beeindruckend solidarisch zusammen – ums Werk und um den VfL. Natürlich ist der VfL ein Arbeiterverein – was denn sonst?

Indes: Auch zurzeit fangen die Hochglanzkampagnen des VfL gerade diesen Umstand nicht ein. Man sieht keine Kratzer, keine Anstrengung, keinen Schmutz oder Schweiß – weder Emotionen noch Verständnis für die Bedingungen vor Ort. Wie ein Aufsteigerkind schämt sich der VfL der proletarischen Seele seiner Stadt und seiner selbst. Das Zuschauerproblem in Wolfsburg hat der VfL selbst zu verantworten – dieser Debatte muss sich der VfL Wolfsburg stellen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.