zwischen den rillen
: Zimmer mit Meerblick

Ryan Hemsworth & Lucas: „Taking Flight“ (Secret Songs, Download)

Ein Zimmer mit Meerblick, in das die Sonne scheint. Der Wind lässt die weißen Vorhänge wehen, und auf Bett und Boden ist alles verteilt, wessen es zum Musikmachen bedarf: E-Gitarre, MacBook und Mikrofon. Der Urheber scheint ausgeflogen. Kleine Federn, die in die Luft gewirbelt auf den holzfarbenen Fußboden fallen, lassen darauf schließen. Diese Szene, die das Cover von Ryan Hemsworth & Matt Lucas’ Album „Talking Flight“ ziert, könnte in Seattle oder Tokio spielen. Städte, in denen die involvierten Künstler leben. Das Artwork des Japaners Morimoto Shohei passt perfekt: Der Kanadier Ryan Hemsworth, Produzent und DJ pflegt eine Vorliebe für J-Pop, Pokémon und die 8-Bit-Videospielkonsole von Nintendo.

Bekannt wurde Hemsworth durch die Welt der Blogs. Seine Remixe für Frank Ocean und Grimes wurden zuerst im Netz populär. Seine Mixtapes haben viele Fans. Seine Musikprojekte changieren zwischen Bassmusik und elektronischer Tanzmusik. Hemsworth’ Debüt erschien 2011, es war eine Kollaboration mit dem Rapper Shady Blaze. 2012 veröffentlichte er „Last Words“ auf dem Shlohmo-Label Wedidit. Weitere Studioalben „Guilt Trips“ (2013) und „Alone For The First Time“ (2014) erschienen beim Label Last Gang. Hemsworth’ Sound emanzipierte sich allmählich von HipHop-Einflüssen und entwickelte sich weiter in Richtung Elektronik.

Der Kanadier nimmt sich nicht zu ernst – auf Fotos posiert er im Supermarkt mit Spielzeugzügen. Inzwischen nutzt der 25-Jährige seine Internetpräsenz, um Arbeiten von Künstlerfreunden zu posten. Sein Label Secret Songs basiert nur auf einem Soundcloud-Account. Im Schnitte alle zwei Wochen lädt er dort einzelne Songs hoch. So kreuzte auch der gleichaltrige Matt Lucas seinen Weg. 2014 erscheint der Song „Keep U Warm“ des Bedroom-Produzenten als achte Veröffentlichung auf Secret Songs. Lucas’ Melodien sind jazziger als die Klangsignatur von Hemsworth. Neben seinem breiten Portfolio an Drum-Samples ist auch bei ihm eine Leidenschaft für Computerspiele herauszuhören. Seit einigen Monaten treten die beiden Musiker zusammen auf und veröffentlichen nun auch ihr gemeinsames Album, das jetzt bei Secret Songs erscheint. Ein gutes halbes Jahr dauerte die Arbeit daran: Keiner der Songs entstand allerdings im Studio, die Musiker haben isoliert voneinander produziert.

„Talking Flight“ nimmt mit seinem Einstieg an Fahrt auf. Klingeln mischt sich mit Gesang, der ein zufriedenes Gefühl vermittelt, aber verschwommen bleibt. Die Stimme, die sich wie ein schmieriger Film auf die Songs legt, ist mit Effekten verzerrt. Erst im finalen Song „U Remain“ sind Worte klar zu verstehen.

Die Musik klingt bedächtig und sphärisch, ideal, um Gedanken schweifen zu lassen. Viele Soundelemente überlagern sich von Vogelgeräuschen über Synthesizereffekte, die in sich stimmig sind. Lucas’ Feingefühl für Melodien, die nostalgisch klingen, dominiert. Die Kollaboration ist ein gelungenes Experiment auf Distanz zwischen Tokio und Seattle. Nach dem sechsten Song ist alles zu Ende. Ambiente trifft auf in Bass Drums verliebte Computerkids. Melodisch verortet sich „Talking Flight“ in der Popblase von sanftem Computerspiele-Sound.

Hemsworth treibt der Idealismus an, seine Songs im Netz frei verfügbar zu machen. In Zeiten von Urheberrechtsauseinandersetzungen ist diese Haltung bemerkenswert. So wie Hemsworth glauben viele weitere Produzenten daran, dass Musik kostenlos sein soll. Geht dieses Konzept auf? Für beide Künstler ist es ein musikalischer Mehrgewinn, der in dieser Form vielleicht als Vertragskünstler nicht entstanden wäre. Umso wertvoller ist die Aufmerksamkeit für den unbekannten Matt Lucas an der Seite des charismatischen Hemsworth. Natalie Mayroth