Ozeanversauerung bedroht Ökosysteme: Korallenriffe verschwinden

Kohlendioxid ist nicht nur daran beteiligt, dass die Ozeane wärmer werden. Das im Wasser gelöste Gas verschiebt auch den Säuregehalt.

Ausgebleichte Korallen bei Samoa.

Ausgebleichtes Korallenriff bei Samoa. Foto: ap

BERLIN taz | Der ungebremste Kohlendioxidausstoß heizt nicht nur per Treibhauseffekt die Atmosphäre auf. Das Spurengas wird auch von den Ozeanen aufgenommen und setzt dort ökologische Folgewirkungen in Gang, die nach neuesten Erkenntnissen von Forschern noch schneller ablaufen können als der Klimawandel auf den Kontinenten. Hauptproblem ist die Versauerung der Weltmeere.

Nach den Überschlagsrechnungen der Klimaforscher gelangen derzeit pro Jahr 36 Milliarden Tonnen CO2 überwiegend durch Verbrennungsprozesse, in die Atmosphäre. Davon verbleiben dauerhaft 44 Prozent in der Lufthülle, 29 Prozent werden wieder von der Biosphäre auf dem Festland aufgenommen und 27 Prozent wandern in die Ozeane. Dort wird das CO2 chemisch gelöst und trägt zur Versauerung des ursprünglich leicht basischen Meereswassers (mit einem pH-Wert um 8) bei. Den Messungen der Ozeanografen zufolge ist der Säuregehalt der Weltmeere seit 1850 um 30 Prozent angestiegen.

Die stärkste Zunahme wurde in den letzten 40 Jahren festgestellt. „Diese Veränderung ist erdgeschichtlich einmalig, vor allem in ihrer Geschwindigkeit“, sagt Ulf Riebesell von Meeresforschungsinstitut Geomar in Kiel. Der Biologe koordiniert das vom BMBF geförderte Forschungsprojekt „Bioacid“, das erstmalig die biologischen Auswirkungen der Ozeanversauerung untersucht.

Wie sich das Ökosystem unter Wasser durch die Versauerung verändert, hat sich den Wissenschaftlern erst in den letzten Jahren erschlossen. Von den Meereslebewesen reagierten in Versuchen je nach Art 30 bis 70 Prozent negativ auf die Versauerung. Auf der Verliererseite befinden sich vor allem Seeigel und Seesterne.

„Diese Veränderung ist erdgeschichtlich einmalig, vor allem in ihrer Geschwindigkeit“

Um die Vorgänge im Realzustand zu studieren, haben die Geomar-Forscher in diesem Frühjahr im norwegischen Raune-Fjord südlich von Bergen ein überdimensioniertes Reagenzglas von 9 mal 20 Metern abgesenkt, das die aquatische Lebenswelt bis zu mittelgroßen Tieren (Mesokosmos) enthielt. Wie sich zeigte, reagierten die Flügelschnecken und Kalkalgen auf zunehmende Versauerung am empfindlichsten.

Richtig wohl fühlte sich dagegen das Pikoplankton: kleinste Organismen an der Basis der Nahrungskette. „Kleine Veränderungen im Ökosystem können riesige Konsequenzen haben, die nicht nur das Nahrungsnetz im Meer umkrempeln, sondern auch Aquakulturen und die Fischerei beeinträchtigen“, betont Bioacid-Leiter Riebesell.

Viele Muschelarten sind bedroht

Schon jetzt bekommen Muschelfischer im Nordwesten der USA den Ökowandel im Meer durch geringeren Ertrag zu spüren. Nach einer Aufstellung für das Internationale Geosphären-Biosphären-Programm (IGBP) macht die Muschelbranche einen weltweiten Umsatz von 24 Milliarden Dollar. Aber 60 Prozent der Muschelarten sind gefährdet. Noch höher liegt der Gefährdungsgrad mit knapp 70 Prozent bei Flossenfischen (Heringe, Sardinen, Thunfische, Flundern), deren Marktwert von jetzt 65 Milliarden Dollar entsprechend einbrechen würde.

An bestimmten Stellen im Meer, wo auf natürliche Weise CO2 aus dem Boden ausgast und stärker säurehaltiges Wasser produziert, kann die Zukunft der Weltmeere schon im Kleinmaßstab betrachtet werden. „Korallen kommen mit diesen Verhältnissen überhaupt nicht klar“, berichtet Riebesell. „Die Artenvielfalt geht verloren“.

Daher schauen die Meeresforscher mit Sorge in die Klimazukunft. Bisher haben die Ozeane gut ein Drittel des seit der Industrialisierung freigesetzten CO2 aufgenommen und damit die Auswirkungen des Klimawandels abgemildert. Mit steigendem Säuregrad verringert sich jedoch diese Pufferwirkung .

Zwei Grad wämer ist zu viel

Aber die Ozeane versauern nicht nur, „sondern sie erwärmen sich auch“, fügt Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven hinzu. Pörtner leitet eine Arbeitsgruppe des Weltklimarates IPCC für den nächsten, sechsten Klimabericht. Seit 1980 hat sich die Meerestemperatur um 0,5 Grad Celsius erhöht; bei weiter ungebremstem CO2-Ausstoß wird 2040 dann 1 Grad erreicht sein. Der schlimmste Effekt ist dabei, dass die wärmen und kälteren Wasserschichten undurchlässiger werden und ein Sauerstofftransport in die Tiefe erschwert wird.

Pörtner plädiert dafür, dass die unter Klimapolitikern gehandelte 2-Grad-Grenze tolerabler globaler Erwärmung für das Meer niedriger angesetzt wird: maximal 1,5 Grad sollten es für den blauen Erdteil sein, um ein Umkippen ins Öko-Desaster zu vermeiden. Die empfindlichen Korallenriffe verlangen aus Pörtners Sicht sogar eine noch stärkere Begrenzung: „Nach Modellrechnungen können 50 Prozent der Korallenriffe erhalten werden, wenn wir den Temperaturanstieg auf etwa 1,2 Grad begrenzen“. Allerdings, fügt der AWI-Forscher hinzu, seien in diese Rechnung zusätzliche Risiken wie Ozeanversauerung noch nicht einbezogen.

Diskutiert wird, dass die Versauerung des Meeres mit großtechnischen Lösungen („Geo-Engineering“) wie dem Einstreuen von Kalk gestoppt werden könnte. „Das ist ein heikles Thema“, gibt Riebesell zu. „In Deutschland wird diese Forschungsrichtung vom BMBF nicht gefördert.“

Geo-Engineering bietet keine Lösung

Auch für die internationalen Forscher des IGBP wird Geo-Engineering „die Ozeanversauerung nicht verhindern“ können. „Dem Wasser alkalische Materialien hinzuzufügen ist nur in sehr kleinem Maßstab in den Küstenregionen effektiv und wirtschaftlich machbar“, heißt es im Ergebnisbericht eines Symposiums zur Ozeanversauerung. Zudem seien die „Nebenwirkungen für die Umwelt weitgehend unbekannt“.

Insgesamt ist die Erforschung der Ozeanversauerung ein junges Wissenschaftsthema. Seit 2008 laufen in Europa dazu Projekte, mit führender deutscher Beteiligung. „Wir sind jetzt dabei, die Wirkungen für komplette Ökosysteme zu untersuchen“, erklärt Pörtner. Fragen, die noch der Beantwortung harren, sind etwa die Wechselwirkung der unterschiedlichen „Stressoren“ auf das Ökosystem Meer, die Interaktionen in der Nahrungskette sowie die Betrachtung von evolutionären Lösungen: wie die Natur selbst mit den neuen Zuständen klarzukommen sucht.

In der dritten Phase des Bioacid-Forschungsprojekts stehen außerdem die gesellschaftlichen Auswirkungen auf der Agenda. „Das sind vor allem die Fischerei, die Aquakultur, der Tourismus und der Küstenschutz“, präzisiert Riebesell vom Geomar. „Diesen Themen müssen wir uns verstärkt zuwenden, um die notwendigen Handlungsoptionen für politische Entscheidungen und Management-Strategien zu entwickeln“. Will sagen: Politik und Wirtschaft wollen von der Wissenschaft klare Ansagen, wie mit den Weltmeeren anders als bisher umgegangen werden soll.

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