Ein Ständchen für die Revolution

GEBURTSTAGSÜBERRASCHUNG Das Festival „Happy Revolution – views on Iran. 30 years later“ im Ballhaus Naunynstraße feiert das Jubiläum der Islamischen Republik. Im Ballhaus kommt die Opposition im In- und Ausland zu Wort

Wie politisch muss der Mensch angesichts staatlichen Unrechts sein, wann ist der Rückzug erlaubt?

VON JESSICA ZELLER

Am Ende lief die Wirklichkeit ihren Vorstellungen davon. Denn als Negar Moinzadeh und ihr Mann Mehdi Ende vergangenen Jahres die Idee für ihr Festival entwickelten, dachten sie zunächst nur an Veranstaltungen von wenigen Tagen Dauer. 30 Jahre Islamische Republik – da müsse man auch den Gegnern Gelegenheit geben, zu Wort zu kommen. Dass diese Gegner im Sommer über Wochen millionenfach auf die Straßen Teherans gingen, hat die beiden und die Leitung des Ballhauses Naunynstraße dazu bewegt, den Iran und die aktuellen Entwicklungen der „grünen Revolution“ mit ihren mehrheitlich jungen Protagonisten drei Wochen lang ins Zentrum zu rücken. Vom 4. bis 21. Dezember gibt es fast täglich Theater, Lesungen aus Blogs und Büchern, eine Installation, Filme, Konzerte und, Stichwort junge Generation, am kommenden Samstag auch eine Clubnight mit Musik aus dem Teheraner Untergrund.

Eröffnet wurde das Festival am Freitag mit der Band Abjeez, die Ska, Flamenco und HipHop-Beats wild durcheinander mischen. Weiter ging es mit Abbas Maroufis Stück „Und der Herr schuf die Kuh“, einer recht klassischen politischen Parabel, die an Werke von Frisch oder Dürrenmatt erinnert. 1995 in einem iranische Gefängnis geschrieben, dann verboten und nun vierzehn Jahre später in Berlin uraufgeführt, spielt das Stück an einem nicht festgelegten Ort inmitten einer Diktatur. Während auf der Straße lautstark protestiert wird, sitzt ein älterer Uhrmacher (Peter von Strombeck) in seinem Laden und wartet darauf, dass sein Leben von allein eine Wendung nimmt. Er bekommt Besuch von einem jungen Mann, gespielt von einer Frau, Pegah Ferydoni, der mit seinen Gesprächsthemen und seinem Charme schnell seine Aufmerksamkeit erregt.

Wie politisch muss der Mensch angesichts staatlichen Unrechts sein, wann ist der Rückzug ins Private erlaubt? Diese Fragen sind es, die den Uhrmacher und seinen Besucher eigentlich bewegen, auch wenn die Themen, von denen sie sprechen, Uhren, die aus dem Takt geraten, das Erbe der Großväter oder die Existenz Gottes sind. „Wenn Sie im Iran leben, können Sie sich noch so sehr ins Private zurückziehen, wie Sie wollen. Das System wird Sie in die politischen Geschehnisse verwickeln, ohne dass Sie sich aus ihnen befreien können“, schreibt der Autor Abbas Maroufi über das grundlegende Thema seines Stücks.

Maroufi ist es auch, dessen Worte den inhaltlichen Rahmen, für das „Temporary Museum of Subjective Histories. Tehran-Berlin, 1979–2009“ bilden, eine Installation von Afagh Irandoost und Kaya Behkalem, die im Untergeschoss des Ballhauses über den gesamten Festivalzeitraum zu sehen ist. In einem Interview mit den beiden Künstlern sagt er: „Wir sind nicht revolutioniert, wir sind explodiert. Ein Arm landete in Europa, ein Bein in Indien, ein Zeh in England und der Kopf flog bis nach Amerika. Was im Ursprungsland derer blieb, die gegen ein verlogenes, diktatorisches Regime auf die Straße gegangen waren, ist der Bauch, der sich seitdem übergibt.“ Die Installation widmet sich diesen Armen, Beinen, Kopf und Bäuchen – mit einer Ausstellung persönlicher Gegenstände und den damit verknüpften politischen Biografien in Kommentaren und Interviews. Es gibt eine persische Mao-Bibel, Revolutionssongs mit deutscher Übersetzung, gepresst in der DDR und aus dem aktuelleren privaten Besitz, ein zerstörtes Handy mit Filmaufnahmen und ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Free Iran“ in modisch gehaltenen Farben und aus rein biologischer Baumwolle hergestellt. Ein besonders eindrucksvolles Erinnerungsstück ist sicherlich der in sorgfältiger Schönschrift verfasste Brief der 8-jährigen Zara an den früheren Bundeskanzler Kohl, mit der inständigen Bitte, Waffenlieferungen im Ersten Golfkrieg zu unterlassen, sowie die mehrseitige Antwort seines Mitarbeiters. So ist das Archiv mehr als ein Ort, wo man in der Pause oder vor Vorstellungsbeginn kurz hereinschaut. Tatsächlich ist es eine Fundgrube für all jene, die sich gern in kleinen und teilweise skurrilen Anekdoten verlieren, welche die größeren Ereignisse viel anschaulicher werden lassen, als es Schautafeln in chronologischer Reihenfolge vermögen.

„Happy Revolution – views on Iran. 30 years later“ noch bis 21. Dezember „Und der Herr schuf die Kuh“ wird am 8. Dezember, 20 Uhr gegeben