Nachrichten nach den Attentaten: Säbelrasseln auf Papier

Unaufhörlich rattern die Liveticker. Journalisten rufen zum Krieg auf. Berichterstattung ist längst Teil des Terrors geworden.

Mehrere Titelseiten von deutschen Zeitungen liegen nebeneinander

Zeitungen, die Krieg spielen. Foto: dpa

Jedes Attentat hat seine Bilder, die bleiben. Beim 11. September sind es die Feuerwolken, die aus den Türmen schlagen. Beim Anschlag in Madrid, 2003, sind es Zugabteile, die wie Spielzeugeisenbahnen herumliegen. Bei Charlie Hebdo ist es das Video, das die Attentäter zeigt, wie sie triumphierend und mit ihren Kalaschnikows wedelnd die Redaktion verlassen. Und welche Bilder werden es diesmal sein?

Egal welche bleiben, jedenfalls werden sie wieder nicht bei allen Betrachtern Betroffenheit und Angst hervorrufen. Denn für die Attentäter selbst sind sie Ikonografien ihres Terrors. Triumphe, Werbebotschaften, verbreitet von den Medien.

Ein Handyvideo, das zeigt, wie Menschen aus dem Konzertsaal Bataclan fliehen, wie einige an Fenstersimsen hängen, andere zusammenbrechen, andere reglose Menschen hinter sich herziehen, geisterte erst durch die sozialen Netzwerke und stand später auf den Nachrichtenseiten.

Abgesehen davon, dass man sich fragen kann, ob es die Aufgabe einer Nachrichtenseite ist, solche Videos zu verbreiten, zeigt das Beispiel auch, wie sich in Extremsituationen medienethische Standards aufweichen: Bilder und Namen von Opfern werden veröffentlicht, Videos und Fotos direkt von den Attentaten.

Das, was nach dem 11. September George W. Bush mit seinem „War on Terror“ geliefert hat, liefern jetzt einige Journalisten

Aber auch handwerkliche Standards leiden. Im hyperventilierenden Onlinegeschäft geht es um Minuten. Da verwischt schon mal die Genauigkeit, da muss schon mal das Zweiquellenprinzip leiden, da werden Kleinigkeiten zu Nachrichten aufgeblasen, und da nimmt man es nicht so genau mit der journalistischen Aufgabe der Reduktion von Komplexität.

Am Sonntagabend verschickten Spiegel Online, Zeit Online und ZDF „heute“ Eilmeldungen: Neue Schüsse in Paris, Massenpanik. Kurz darauf: falscher Alarm. Die Richtigstellung erfolgte in den Livetickern, die seit Freitag unaufhörlich rattern.

Nicht vergessen: Schweigeminute

Eine willkürliche Auswahl des Livetickers von Spiegel Online gestern: „10.07 Uhr: Eine kleine Erinnerung: Um 12 Uhr heute Mittag soll es eine Schweigeminute geben [...].“, 11.33 Uhr: „Vor dem Bataclan in Paris bereiten sich die Trauernden auf die Schweigeminute um 12 Uhr vor“. 11.47 Uhr: „Zeichen gegen den Terror: Für 12 Uhr haben die Staats- und Regierungschefs der EU zu einer Schweigeminute aufgerufen“. 12 Uhr: „In ebendiesem Moment gedenken Menschen in Frankreich und ganz Europa der Opfer von Paris mit einer Schweigeminute.“ 12.08 Uhr: Ein Foto von stillen Menschen mit der Unterzeile: „Menschen gedenken in Paris der Opfer der Anschläge mit einer Schweigeminute“.

Es ist ein altes Dilemma: Das Interesse an Informationen ist riesig, die Erkenntnisse sind (noch) gering. Die Liveticker peitschen dieses Problem, auch gezwungen durch die sozialen Netzwerke, weiter voran. Beim Leser entstehen dadurch Gehetztheit, Nervosität und Verwirrung: Welche Information ist wichtig, welche nicht? Nach der Lektüre ist man kaum schlauer als vorher.

Wir rüsten auf

Aber nicht berichten ist auch keine Option. Leser, ZuschauerInnen und Zuhörer haben ein Recht auf Informationen. Wie also wird man dem gerecht? Wie so oft liegt die Antwort im Wie – und auch da verlieren einige Medien in diesen Tagen jegliches Maß. Das Handelsblatt titelte am Montag “Weltkrieg III“, die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung „Weltkrieg“, die Bild am Sonntag „Krieg“.

Und es sind nicht irgendwelche Autoren. Springer-Chef Mathias Döpfner schrieb in der Welt: „Die westlichen Demokratien stehen vor einer schicksalshaften Frage: Wie wollen wir unsere viel beschworene Freiheit verteidigen? Oder noch archaischer: Unterwerfung oder Kampf?“ Berthold Kohler, FAZ-Herausgeber, schrieb: „In der muslimischen Welt ist ein Ungeheuer herangewachsen, das seine Tentakeln um die ganze Welt schlingen möchte [...] Das Ungeheuer hat viele Köpfe und Arme, die immerfort nachzuwachsen scheinen, wenn man sie abschlägt.“

Das, was nach dem 11. September George W. Bush mit seiner „Achse des Bösen“ und dem „War on Terror“ geliefert hat, liefern jetzt einige Chefredakteure und Herausgeber. Säbelrasseln auf Papier. Den IS, der für seine wirksame Propaganda in den sozialen Medien bekannt ist, dürfte solche Rhetorik freuen. Sie ist das Gegenteil des mantraartigen „Wir lassen uns keine Angst machen“. Sie transportiert eher: Wir lassen uns nicht nur Angst machen, wir rüsten sogar schon mal auf.

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