Islamismus und Islamfeindlichkeit: Aufgewachsen mit Vorurteilen

Nach den Anschlägen in Paris: Bremens Innensenator stellt sich vor die Flüchtlinge und gegen schärfere Gesetze. Es fehlt am Geld, auch für die Beratungsstelle Kitab.

Über der Eingangstür des Institut Français weht die fanzösische Flagge mit einer schwarzen Fahne auf Halbmast.

Beflaggung für die Opfer von Paris vor dem Institut Français. Foto: Ingo Wagner/dpa

BREMEN taz | Vor dem Hintergrund der Anschläge von Paris widersprach der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) am Montag allen Forderungen nach schärferen Sicherheitsgesetzen. Auch warnte er in der aktuellen Debatte vor einer Instrumentalisierung der Flüchtlinge.

Der SPD-Politiker war geladen, um bei der parteinahen Friedrich-Ebert-Stiftung über Islamfeindlichkeit und islamistischen Extremismus zu debattieren. Eine Diskussion von ungewollter Aktualität, an der auch die Soziologin und Streetworkerin Berna Kurnaz vom Verein zur Förderung akzeptierender Jugendarbeit (Vaja) und der ehemalige Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) teilnahmen.

Der hatte 2014 maßgeblich den Entwurf eines Berliner Staatsvertrages mit den islamischen Religionsgemeinschaften formuliert und saß an der Spitze eines Expertengremiums, das jüngst ein dickes Buch mit „Handlungsempfehlungen“ im Umgang mit islamistischem Extremismus und Muslimfeindlichkeit vorlegte. Für Körting sind beide Phänomene zwei Seiten einer Medaille: „Sie befeuern sich gegenseitig.“

Bis zum 11. September 2001 habe es wenig Kontakte der Mehrheitsgesellschaft mit Muslimen gegeben, seither aber stünden sie unter „Generalverdacht“. Körting will nicht nur für Toleranz werben, sondern die Muslime „ernst nehmen“.

Berna Kurnaz, Kitab

„Viele dieser muslimischen Jugendlichen empfinden sich nicht als selbstverständlichen Teil der Gesellschaft“

Moscheen müssten genauso akzeptiert werden wie andere Gotteshäuser auch, islamische Gemeinden genauso Fördergelder etwa für Jugendarbeit bekommen wie evangelische oder jüdische. Und man müsse auch mit jenen Moscheen reden, die vom Verfassungsschutz überwacht würden, findet Körting. Zugleich sagte er: „Die Anschläge von Paris ändern nichts an der Bedrohung durch islamistischen Extremismus“ – nur an seiner Wahrnehmung.

Die Zahl der politischen Salafisten in Deutschland schätzt er auf 3.500 – aber nur jeder zweite unter ihnen sei „gewaltbereit“, weniger als 800 ausgereist, um für den Islamischen Staat zu kämpfen. Die Zahl der islamistischen Extremisten hierzulande sei „überschaubar“, so Körting, ja: „kaum messbar“, verglichen mit mehr als vier Millionen Muslimen, die ihn Deutschland leben. Mäurer zufolge sind bislang 22 Menschen und elf Kinder aus Bremen nach Syrien ausgereist, acht davon wieder hierher zurückgekehrt. In einer „Vielzahl von Fällen“ habe die Ausreise unterbunden werden können, zudem habe es zuletzt „Dutzende von Hausdurchsuchungen“ gegeben. Mit den hier lebenden Flüchtlingen „hat das aber gar nichts zu tun“, sagt Mäurer und es seien auch nicht die Eingereisten, die den Behörden Sorge machten – sondern jene, die hier aufwachsen.

„Viele dieser muslimischen Jugendlichen empfinden sich nicht als selbstverständlichen Teil der Gesellschaft“, sagt Kurnaz, die für Kitab arbeitet, einer Beratungsstelle für Eltern, Angehörige und Betroffene in der Auseinandersetzung mit Islamismus. Sie machten „zu wenig Selbstwirksamkeitserfahrungen“, würden in dem Bewusstsein der Vorurteile gegenüber den Muslimen groß – und „in die Ecke gedrängt“. Solche direkt oder indirekt erlebte Ausgrenzung „ist ein wichtiger Baustein in der Radikalisierung“.

Dabei gehe es „nur vordergründig um Religion“, sagt Kurnaz – die Extremisten sähen sich als „unterdrückten Teil einer ausgewählten Gemeinschaft an“ und wollten die Welt „zu einem besseren Ort machen“. Wenn es um „Sinnsuche“ gehe, blieben die Antworten innerhalb der regulären Gesellschaft meist eher „schwach“, während das Angebot des Islamischen Staates (IS) ein „starkes“ sei. „Es ist nicht einfach, ein gutes Gegenangebot zu machen“, sagt Kurnaz, eines, das auch jene anspricht, die sich von Heroisierung oder den Männlichkeitsidealen des IS angesprochen fühlten.

Die Beratungsstelle Kitab existiert seit 2012, finanziert vom Bund. Ihr Fortbestand sei aber nicht gesichert, warnt Kurnaz – „das finde ich traurig“. Mäurer schwieg bei der Frage nach dem Geld und fordert seinerseits mehr vom Bund sowie einen „nationalen Integrationspakt“. Auch Körting will mehr Geld – er möchte damit vor allem die wissenschaftliche Erforschung des islamistischen Extremismus verbessern.

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