Applaus für die Richter

Urteil II Am Verwaltungsgericht bekommen die Stuttgart-21-Gegner auf ganzer Linie recht. Der Wasserwerfereinsatz war rechtswidrig, die Opfer hoffen auf Schmerzensgeld

Laut Verwaltungsgericht hätte das Wasser im Werfer bleiben müssen Foto: Chris Grodotzki

von Benno Stieber

Am Ende applaudiert das Publikum dem Urteil und Richter Walter Nagel lässt dies ohne Widerspruch geschehen. Die Stuttgart-21-Gegner haben hier vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht einen Sieg auf ganzer Linie errungen: Der Polizeieinsatz gegen die Demonstration der Parkschützer am 30. September 2010 war in seiner Härte nicht nur unangemessen, er war komplett rechtswidrig. Sechs von sieben Klägern bekommen recht, können nun auf Schmerzensgeld klagen.

Der am schlimmsten vom Wasserwerfereinsatz gezeichnete Kläger, Dietrich Wagner, sagt nach der Urteilsverkündung: „Mein Vertrauen in den Rechtsstaat ist zumindest ein wenig wieder hergestellt.“ Sein Anwalt sagt, er hoffe jetzt, sich schnell mit dem Land auf ein Schmerzensgeld zu einigen.

Am 30. September 2010 hatten sich Demonstranten im Schlosspark versammelt, um das Abholzen von Parkbäumen zu verhindern. Die Polizei setzte damals Schlagstöcke, Pfefferspray und Wasserwerfer ein, um die Baustelle zu räumen – mit schweren Folgen für viele Demonstranten. 160 Verletzte wurden gezählt. Die sieben Kläger vor dem Verwaltungsgericht, darunter der Rentner Dietrich Wagner, wurden vom Strahl der Wasserwerfer zum Teil schwer verletzt. Wagner ist seit diesem Tag auf beiden Augen fast blind.

Dieser Einsatz hätte nie stattfinden dürfen, entschieden heute die Richter. Denn die spontane Demonstration sei vom Versammlungsrecht und damit von der Verfassung geschützt gewesen. Die Polizei hätte den Schlossgarten damals nur räumen dürfen, wenn die Versammlung zuvor von der Stadt aufgelöst worden wäre. Bis dahin hätte sie nur gegen einzelne Störer vorgehen können.

Das Gericht betonte, die Versammlungsfreiheit gelte auch für Demonstrationen, die gleichzeitig zumindest teilweise eine Blockade seien. Der großen Mehrheit der Demonstranten sei es an diesem Nachmittag aber um eine Meinungsäußerung gegangen, nicht darum, die Baumfällarbeiten zu verhindern, so das Gericht in seiner Begründung.

Das Innen­ministerium wird voraussichtlich auf weitere Rechtsmittel verzichten

Mit seinem Urteil widerspricht das Verwaltungsgericht dem Stuttgarter Landgericht, das im Frühjahr beim sogenannten Wasserwerfer-Prozess verantwortlichen Polizeibeamten nur eine geringe Schwere der Schuld bescheinigte. Im Lichte des heutigen Urteils wäre diese Entscheidung wohl anders ausgefallen, sagte Klagevertreter Frank-Ulrich Mann. Die Justiz hatte dieses Verfahren lange verschleppt.

Das Innenministerium kündigte in einer schriftliche­n ­Stellungnahme an, das Urteil des Verwaltungsgerichts „voraussichtlich“ zu akzeptieren und auf weitere Rechtsmittel zu verzichten. Zugleich wies Innenminister Reinhold Gall darauf hin, dass die Polizei selbstkritisch und verantwortungsbewusst ihre Lehren aus dem Schlossgarteneinsatz gezogen habe.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann, von dem nicht wenige nun eine Versöhnungsgeste erwarten, sagte gestern: Das Urteil sei „gerecht“.