Trinkwasserbelastung durch Tagebaue: Her mit den Kröten, Vattenfall!

Die Sulfatbelastung des Berliner Trinkwassers steigt und steigt. Umweltorganisationen machen jetzt Druck auf die Politik – und drohen mit einem Volksbegehren.

Wir vermuten: Auch Amphibien freuen sich, wenn die Qualität des Spreewassers stabil bleibt. Foto: dpa

Mehrere Umweltorganisationen und -verbände wollen den Druck auf den Energiekonzern Vattenfall und die Politik erhöhen, damit diese gegen den wachsenden Sulfatgehalt des Berliner Trinkwassers vorgehen. Bei einer Pressekonferenz am Donnerstag forderten sie Vattenfall auf, für zusätzliche Kosten der Trinkwasseraufbereitung aufzukommen. Darüber hinaus deuteten sie die Möglichkeit eines Volksbegehrens an, sollten die Verantwortlichen auf Landesebene nicht zeitnah eine Lösung präsentierten.

Den Termin hatten die Vertreter von BUND, Grüner Liga, Berliner Energietisch und dem Bündnis Kohleausstieg Berlin mit Bedacht gewählt: Am heutigen Freitag kommt es zwischen Berlin und Brandenburg zu einem „Sulfatgipfel“, bei dem sich Umwelt-Staatsekretär Christian Gaebler mit seiner märkischen Amtskollegin Carolin Schilde trifft, um über einen möglichen Maßnahmenkatalog zu beraten.

BUND-Wasserexperte Wilfried Lücking erinnerte daran, dass die Sulfatwerte an der Messstelle in der Müggelspree bei Rahnsdorf seit Ende der neunziger Jahre steigen. Einen besonders großen Ausschlag nach oben machte die Kurve zwischen 2013 und 2014, im Sommer 2015 wurde mehrmals ein Wert von 250 mg/l leicht überschritten – für reines Trinkwasser wäre dies der bundesweit geltende Grenzwert. Schuld daran, so Lücking, seien einerseits die ehemaligen Braunkohle-Tagebaue in der Lausitz, mit deren Flutung nach 1990 begonnen wurde. Dadurch steige der Grundwasserspiegel wieder und löse die durch Oxidation im Haldenabraum entstandenen Schwefelsalze. Am Ende trete dieses Wasser in kleinen Oberflächengewässern aus, die dann der Spree zufließen.

Verdünnen geht nicht mehr

Aber auch die aktuell von Vattenfall in der Brandenburger und sächsischen Lausitz betriebenen Tagebaue trügen einen beträchtlichen Teil zum Sulfat-Anstieg bei, so Lücking: „Das Problem ist nicht mehr wegzureden.“ Hinzu komme, dass in Talsperren wie der bei Spremberg wegen geringer Niederschläge in den vergangenen Jahren nicht mehr ausreichend Wasser vorhanden sei, um die Einträge aus dem Tagebau in die Spree zu verdünnen – bis jetzt eine übliche Praxis. Deshalb lasse man sulfathaltiges Grubenwasser in größerem Umfang versickern, was aber das Problem nur in die Zukunft verschiebe.

Sulfate sind Schwefelsalze, die natürlicherweise in unterschiedlichen Konzentrationen im Grundwasser enthalten sind. Ihre Aufnahme kann unter anderem die Tätigkeit des Magen-Darm-Trakts beeinflussen. Einige Mineralwasser-Hersteller werben mit dem hohem Sulfatgehalt ihrer Produkte (zum Teil bis 1.000 mg/l), weisen aber auch auf deren verdauungsfördernde Eigenschaften hin. Zur Zubereitung von Säuglingsnahrung etwa sind solche Wässer ungeeignet.

Die deutsche Trinkwasserverordnung begrenzt den zulässigen Sulfatgehalt auf 250 mg pro Liter. Kurzfristige Überschreitungen führen noch nicht zu Sanktionen, bei höheren Belastungen muss ein Ausnahme-Genehmigungsverfahren erfolgen. Normalerweise dürfen die Werte nicht länger als drei Jahre kontrolliert überschritten werden.

Spreeaufwärts, also näher an den ehemaligen und aktuellen Tagebauen der Lausitz, ist die Problematik bereits viel größer. Dort werden in manchen Flussabschnitten bei sommerlichem Niedrigwasser bis zu 600 mg/l gemessen. Sichtbar ist das allerdings nicht – im Gegensatz zur ebenfalls vom Braunkohletagebau verursachten „Verockerung“ der Spree durch Eisenoxide.

Es gebe durchaus Möglichkeiten, die Sulfatentstehung gleich im Tagebau zu verringern, erklärte René Schuster von der Grünen Liga Cottbus: Durch Zugabe von Kalk werde der Oxidationsprozess in den Abraumkippen aufgehalten. Das Verfahren sei Vattenfall aber nach eigenen Angaben zu teuer. Schuster verwies auf die Pläne von Vattenfall, mit dem Cottbuser „Ostsee“ den größten Bergbaufolgesee der Lausitz zu schaffen: „Allein das könnte am Ende eine Zunahme von 50 mg/l Sulfat in der Spree bedeuten.“

Alle Beteiligten forderten, dass das Land Vattenfall zur Kostenübernahme verpflichten solle, wenn künftig Sulfate aus dem Berliner Trinkwasser entfernt werden müssten. Anderenfalls fiele dies auf die landeseigenen Wasserbetriebe und somit auf alle Verbraucher zurück. In großem Umfang hat es eine derartige Sulfat-Abscheidung noch nirgendwo gegeben. In Berlin ist das Problem besonders drängend, weil die Wasserbetriebe den größten Teil des Trinkwassers aus Uferfiltrat gewinnen – Grundwasser, das oberflächennah durch Versickerung aus Flüssen und Seen entsteht.

Aus 17 mach 20

Leider habe man auch auf Nachfrage nicht erfahren, wo der „Sulfatgipfel“ stattfinde, monierte Stefan Taschner vom Bündnis Kohleausstieg Berlin. Dabei wäre er eine gute Gelegenheit gewesen, den Politikern die 17.000-mal unterzeichnete Onlinepetition „Schützt unser Trinkwasser“ zu überreichen. Sollten die Länder nichts unternehmen, so Taschner, „können aus 17.000 Unterschriften ganz schnell 20.000 werden – und die stehen dann unter dem Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens“.

In der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt hängte man das Thema gestern ganz tief: Es gebe keinen „Sulfatgipfel“, betonte Sprecher Martin Pallgen, sondern lediglich ein Arbeitsgespräch auf Staatssekretärsebene – „ein normales Treffen in einer Reihe von vereinbarten Treffen“, um einen Maßnahmenplan zu erarbeiten. Daran sollten auch das Land Sachsen, die Bergbaubetriebe in der Lausitz und die Berliner Wasserbetriebe beteiligt werden. Zu der Androhung eines Volksbegehrens äußerte sich Pallgen nicht.

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