Bilderwörterbuch für Flüchtlinge: Illustrationen für den täglichen Bedarf

Eigentlich war das Buch für Touristen gedacht, nun hilft es vor allem Flüchtlingen. Finanziert werden soll das Ganze durch Crowdfunding.

Ein Smartphone mit Bildern zu Gesundheit. Dahinter ein Buch mit anderen Bildern.

Die Bilder beziehen sich auf Alltagssituationen Foto: Amberpress

BERLIN taz | „No Small Talk“ steht auf einem Plakat mit ausgestreckter Zunge im Büro von Amberpress in Berlin-Mitte. Die drei Frauen hinter dem Verlag meinen es ernst: Gerade tüfteln sie daran, wie man Tuberkulose-Test oder Gleichberechtigung von Mann und Frau mit einem simplen Icon grafisch ausdrücken könnte. No Small Talk.

Die Grafikerinnen Gosia Warrink und Katja Koeberlin sowie die Bildwissenschaftlerin Monika Pfau arbeiten an einem Bildwörterbuch für Flüchtlinge und Flüchtlingshelfer*innen, das Kommunikation ermöglicht, auch wenn man keine gemeinsame Wortsprache spricht.

Vor zwanzig Jahren kam Gosia Warrink aus Polen nach Berlin fürs Linguistik-Studium. Man sagte ihr: „Du sprichst ja ein komisches Schiller-Deutsch.“ Weil sie zwar Kant lesen konnte, aber das Wort für Schüssel nicht kannte. 2007 entwarf sie ihr erstes Bildwörterbuch namens „Icoon“. Mehrere Jahre hat das gedauert: 2.000 Symbole, eigenhändig illustriert. Das Buch wurde ein Erfolg: Über 200.000 Exemplare sind inzwischen verkauft.

Mit „Icoon“ lassen sich nicht bloß Substantive, sondern auch die Inhalte von Sätzen vermitteln: Dass man allergisch gegen Erdnüsse ist, zeigt man, indem man auf das Icon für Ausschlag zeigt und dann auf das für Erdnüsse. Ursprünglich für Tourist*innen entwickelt, kam das „Icoon“ immer wieder auch anders zum Einsatz: Es wurde Taubstummen, Analphabet*innen, Schlaganfallpatient*innen gereicht, um mit ihnen in Dialog zu treten.

Ohne Worte in den Dialog treten

In den letzten Monaten bekam der Verlag Amberpress viele Anfrage von Flüchtlingshelfer*innen und Organisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz. Die drei Frauen, übrigens alle auch noch Mütter, packten also fleißig Kisten voller „Icoons“ und verschickten sie nach Görlitz oder Offenbach. Für einzelne Helfer*innen, Organisationen, Kirchengemeinden. Als kleiner Verlag seien sie an ihre Grenzen gestoßen, sagt Warrink, denn sie wollen von den Helfer*innen kein Geld nehmen. Deshalb setzen sie aufs Crowdfunding: 10.000 Euro bräuchten sie mindestens bis zum 20. November.

Die Resonanz ist überwältigend: 20.112 Euro wurden schon gespendet, von mehr als 260 Unterstützern. Pro Euro können die Leute von Amberpress ein Bildwörterbuch verschenken. 30 Tage nach dem Crowdfunding sollen die Bücher dann gedruckt vorliegen, auch mit einigen Phrasen, etwa auf Arabisch. „Icoon for Refugees wird eine Basic-Version“, sagt Koeberlin. „Damit wir möglichst viele Bücher verschenken können, verzichten wir auf aufwendiges Farbdesign oder teure Bindung.“ Einfach machen es sich die drei aber trotzdem nicht, denn natürlich brauchen Flüchtlinge mitunter andere Bildsymbole als Tourist*innen. Deshalb tüfteln die drei gerade an vielen neuen Icons, etwa zu den Themen Gesundheit, Hygiene, Unterkunft, Berufe, Behörden.

Braucht es in Zeiten von Übersetzungs-Apps ein solches Buch? Ja, denn es funktioniert auch ohne Handy, ohne Akku, ohne Internet – und vor allem: ohne Kenntnisse der Schrift.

Monika Pfau weiß, wovon sie redet. Sie hat in den letzten zwei Jahren selbst eine Flüchtlingsfamilie, die sie auf dem Spielplatz kennenlernte, begleitet. Pfau hat geholfen, Wohnung und Kita zu organisieren. Beim Lageso waren sie, beim Jobcenter, am Gericht. „Wir sind selbst 1988 aus Polen geflohen. Ich habe gleich verstanden, was das Problem ist“, sagt Pfau heute. Und: „Unser Buch soll ein Willkommenszeichen sein, mit dem man sich austauschen kann.“ Bedürfnisse äußern, nach Hilfe fragen und sie anbieten. Vielleicht sogar mal der ein oder andere Satz Small Talk. Das wäre groß.

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