Wie ein kostbares Weihnachtsgeschenk

BÜHne I Andreas Homoki hat an der Komischen Oper „My Fair Lady“ neu inszeniert. Der Musical-Klassiker wird zwar nicht in aktuelle Kontexte eingebunden – aber die ganze Größe und Eigenart des Werkes wird spürbar

„My Fair Lady“ an der Komischen Oper, inszeniert von Andreas Homoki Foto: Komische Oper

von Niklaus Hablützel

Andreas Homoki ist zurückgekehrt an seine Komische Oper. Es ist seine, denn ohne den ehemaligen Intendanten wäre sie vermutlich längst abgewickelt. Man vermisst ihn hier nur deswegen nicht, weil er auch noch seine Nachfolge mit derselben überlegenen Klugheit geregelt hat, die seine gesamte Intendanz an der Behrenstraße auszeichnete. Er ging vor drei Jahren nach Zürich und übergab sein Amt an Barrie Kosky.

Jetzt ist alles ganz einfach. Kosky hat den letzten Rest an Ostalgie weggefegt mit Inszenierungen, die ständig ausverkauft sind und die inzwischen in die ganze Welt exportiert werden. Homoki kann entspannt nach Hause kommen und die Ernte einfahren. Es ist alles da, was er braucht, und er hat ein Geschenk mitgebracht. Ein Stück nämlich, das er sehr liebt, aber an seinem neuen Haus in Zürich nicht so gut aufführen kann. Er sagt im Programmheft, warum das so ist. In der Schweiz reden alle Schichten denselben Dialekt, in Berlin aber nicht. Wer hier berlinert, gehört zur Unterklasse.

Das ist typisch Homoki. In seinem Theater muss alles stimmen. Der ganze Witz von Allan Jay Lerners Erfolgsmusical „My Fair Lady“ (und seiner Vorlage „Pygmalion“ von George Bernard Shaw) beruht darauf, dass die Sprache über die Zugehörigkeit zur jeweiligen Gesellschaftsklasse entscheidet. In Zürich müsste man vermutlich das englische Original spielen und hätte das Problem, eine Darstellerin für die Eliza zu finden, die Cockney sprechen kann.

In Berlin kann man Katharine Mehrling engagieren, die zwar gebürtige Hessin ist, aber lang genug in Berlin lebt, um die weibliche Version der Berliner Schnauze glaubwürdig auf die Bühne zu bringen. So geht alles wie von selbst, ungekürzt, drei Stunden lang. Die deutsche Übersetzung stammt vom original Berliner Schlagertexter Robert Gilbert. Dessen erster Erfolg hieß „Kathrin, du hast die schönsten Beine von Berlin“, Musik: Fritz Löwe, der spätere Komponist der „My Fair Lady“. Na bitte. Flott und frech kehrt auch das Orchester zurück in die Goldenen Zwanziger, die musikalisch für ihn, der sich in New York dann Frederick Loewe nannte, nie wirklich zu Ende gegangen waren.

Max Hopp, noch ein geborener Berliner, spielt den Higgins – nicht ganz so überzeugend wie Katharine Mehrling, die eine hinreißend herzliche Göre ist. Man hat Hopp schon besser gesehen. Vor allem am Anfang ist dieser arrogante Frauenhasser mit seinem Phonetik-Spleen nur lächerlich. Der Sänger Jens Larsen, auch ein Urgestein an Homokis Komischer Oper, kracht dagegen als Elizas ewig besoffener Vater mit solcher Wucht auf die Bühne, dass Hopp daneben ziemlich blass aussieht.

Gegen Ende gewinnt auch er an Tiefe hinzu. Der sadistische Herr Professor ist ein einsamer, unglücklicher Mann, der nach seiner Mutter ruft. Barrie Kosky hätte vielleicht die Homoerotik eines Songs wie „Warum sind die Frauen nicht wie Männer?“ gezeigt, aber so weit wollten Hopp und Homoki hier nicht gehen. Und wenn am Ende Hopp und Mehrling zu der Liebe zusammen finden, die sich ewig zanken muss, um Liebe zu sein, ist alles gut – und auch ein bisschen wahr.

Die Schalltrichter der Grammofone sehen aus wie fantastische Blüten

Nur neu ist nichts. Typisch Homoki: Seine eigenen Inszenierungen haben nie nach Aktualität gegiert. Sie waren am besten, wenn sie die Größe und Eigenart eines Werkes einfach nur in Erinnerung gerufen haben. Diese My Fair Lady ist die gute alte, die auch jetzt wieder bezaubert. Wir verstehen danach die Gegenwart nicht besser, sie ist nur schöner geworden, so schön wie das Bühnenbild von Frank Philipp Schlößmann.

Das ist nun wirklich ein Meisterwerk der Nostalgie. Es besteht aus einem einzigen Motiv: Dem Trichter-Grammofon, das dem legendären Produzenten von Schellack-Platten „His Masters Voice“ als Markenzeichen gedient hat. Es steht – ohne den Hund – zunächst klein mitten auf der schwarz glänzenden Platte der Drehbühne. Wieder stimmt alles: Die Maschinen zur Sprachaufzeichnung, die Shaw seinem Higgins vorgeschrieben hatte und der Kalauer: „Her Masters Voice“ für den Plot.

Seidenglänzende Vorhänge mit goldenen Bordüren umschließen die Szene wie ein Theater im Theater. Sie verpacken das Stück wie ein kostbares Weihnachtsgeschenk, und sie gehen elegant und prachtvoll auf und zu und zeigen ­immer neue Bilder. Manchmal nur ein einziges, riesengroßes Grammofon, manchmal viele, und ihre Schalltrichter sehen aus wie fantastische Blüten. Es ist wunderschön. Anhaltender und dankbarer Applaus am Ende.

Nächste Aufführungen: 5., 9., 15., 27., 31. Dezember