Ausstellung über Krieg: Was vom Gemetzel übrig bleibt

Das Landesmuseum in Halle zeigt, was nach dem Kampf ist. „Krieg. Eine archäologische Spurensuche“ ist ein spannendes pazifistisches Manifest.

Menschen stehen vor einem Exponat aus Skeletten.

Ein Exponat: Massengrab der Schlacht bei Lützen aus dem Dreißigjährigen Krieg (Ausschnitt). Foto: dpa

HALLE taz | Krieg kommt von haben und behalten wollen. Krieg kommt von Sesshaftigkeit, von Ackerbau und Viehzucht, von Dichtestress.

Aus Besitz und Organisation von Besitz entwickeln sich komplexe Gesellschaften, mit Klassen und Kriegerkasten. Diese Krieger wiederum werden zu Selbstläufern: Sie schießen erst mit Jagdwaffen aufeinander und auf andere, bis dann – in einem Kabinett der opulenten Hallenser Ausstellung „Krieg. Eine archäologische Spurensuche“ – plötzlich „Menschentöter“ auftauchen: fiese Keulen, die keinem anderen Zweck mehr dienen, als Artgenossen den Schädel zu spalten.

Überhaupt – der Kopf. Durch die Jahrtausende der Gemetzelgeschichte erweist er sich als das bevorzugte Angriffsziel. Der erste nachweislich tödlich-beabsichtigte Schlag, sagt uns die Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte, geschah vor 430.000 Jahren, in Spanien. Die „akribische forensische Untersuchung von Cranium 17 schließt die Möglichkeit eines Sturzes aus, da es bei einem Sturz unmöglich ist, zweimal in verschiedenen Winkeln gegen denselben Felsen zu prallen.“ Hörst du das, Kain?!

Und so geht es weiter: Vor 30.000 Jahren lässt sich die erste Menschentötung durch eine Lanze belegen, vor 18.000 Jahren durch Geschosse. Und wo die Schau schließt, am Ende der Bronzezeit, „ist das Konzept Krieg vollständig entwickelt“, sagt Kuratorin Anja Grothe.

Krieg und Karies

Eigentlich sind es zwei Ausstellungen, die in Halle gezeigt werden. Die eine präsentiert die oben skizzierte Geschichte des Krieges; die andere zeigt erstmals das 2011 entdeckte Massengrab der Schlacht bei Lützen, ausgefochten am 16. November 1632.

Das Grab mit 47 in der Schlacht getöteten Söldnern zwischen 15 und 50 Jahren wurde im Block aus dem Boden geborgen und steht nun hochkant wie ein Mahnmal unter der großen Lichtkuppel des Museums. Wer diese Männer und Jungen waren, die nur ein paar Dutzend Kilometer von Halle entfernt zu Tode kamen, woher sie stammten, für wen sie kämpften, wer sie tötete und warum sie auf genau diese Art bestattet wurden: in der minutiösen Aufschlüsselung solcher Fragen zeigt die moderne Archäologie, zu welch hochexakter, im Herausarbeiten von Details fast schon atemberaubend vergegenwärtigender Wissenschaft sie sich entwickelt hat.

Das Massengrab steht wie ein Mahnmal unter der großen Lichtkuppel

Dabei werden auch schriftliche Quellen herangezogenen. So weiß man, sagt Kuratorin Anja Grothe, aus Aufzeichnungen des Bürgermeisters von Lützen, dass das Schlachtfeld schnell geräumt werden sollte, weil die Aussaat für das kommende Jahr anstand. Die Leichen wurden sorgfältig geplündert, nur bei einem Soldaten fand sich noch eine Silbermünze in Fußnähe – man vermutet, er habe den Notgroschen in seinem Fußlappen versteckt.

In zwei Mündern finden sich Kugeln, weil die Schützen das Blei im Mund hielten, bis ihre Muskete bereit war zum Nachladen. Fast alle Söldner hatten traumatische Vorerkrankungen, Kriegsverletzungen, Karies und Mangelernährung als Kinder. Doch als sie im Kugelhagel starben – die tödlichen Geschosse sind in einer Vitrine vor dem Grab aufgereiht –, waren sie gut genährt: der Krieg kümmert sich um seine Leute.

Dann aber waren sie nur noch seuchenauslösende Kadaver, die die verelendeten Bauern so schnell wie möglich unter die Erde bringen wollten. Dass die zuletzt in die Grube geworfenen Leichen wie der gekreuzigte Christus das Grab spektakulär krönen, sei reiner Zufall, sagt Anja Grothe – aber das könne man natürlich auch anders sehen. Ihre Ansicht begründet sie mit der Tatsache, dass Soldaten Asoziale waren, so wenig ein Teil der christlichen Gemeinschaft der frühen Neuzeit wie Bettler, Prostituierte und Schausteller: Welchen Grund hätten die Bauern haben sollen, Mörder, Brandschatzer und Vergewaltiger in der Pose des Heilands zu bestatten? Guter Punkt.

Und gut ist auch das Schaubild, das den Korridor der Verwüstung zeigt, den der 30-jährige Krieg durchs Land zog, die Todeszone von der Ostsee bis ins Elsass, in der die Bevölkerung um bis zu zwei Drittel abnahm. Ob sie irgendwo Aufnahme fanden oder im Mahlstrom des Krieges verschluckt wurden, erfahren wir leider nicht.

Gut ist, dass das Wort „magdeburgisieren“ uns ins Gedächtnis gerufen wird: Mehr als 20.000 Menschen starben bei Belagerung, Beschießung, Erstürmung und Brandschatzung der zuvor blühenden Handelsmetropole. Magdeburg, so erscheint es dem heutigen Besucher, hat sich von dieser Katastrophe nie mehr erholt. Schade ist, dass die Ausstellung (Gesamtleitung: Harald Meller) als solche – eine Führung, zeigt das Gespräch mit Anja Grothe, kann manches ausgleichen und empfiehlt sich sehr – fast nie den Sprung ins Heute wagt, etwa zur Stadt Hama in Syrien, die der Diktator Hafis al-Assad 1982 unter Artilleriebeschuss nehmen ließ.

„Konsequentes“ Massaker

Dem „konsequenten“ Massaker, wie es der Militärhistoriker Martin van Creveld nennt, fielen 20–30.000 Menschen zum Opfer. Der Vater des heutigen Diktators Assad – unseres treuen Verbündeten im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus – hatte dieses „Hamaisieren“ bewusst als demoralisierendes Massaker im Bürgerkrieg gegen die Muslimbrüder geplant und sich damit Jahrzehnte der Friedhofsruhe gesichert.

Jeder mag eigene Assoziationen haben: Aber wenn Kuratorin Anja Grothe sagt, der Eurozentrismus der Ausstellung sei der Tatsache geschuldet, dass man nun mal „hier“ sei und außerdem nur begrenzten Platz zur Verfügung habe, dann ist das so unwiderlegbar wie unbefriedigend. Gerade der 30-jährige Krieg ist doch ein Menetekel, wie ein Bürgerkrieg zum Tummelplatz aller angrenzenden Mächte wird.

An ihren Enden allerdings schwingt sich die eindrückliche Schau dann doch zu einer großen, globalen Idee auf. Denn irgendwann, wenn Menschen und Mittel erschöpft sind, muss er ja kommen, der Friede: der berühmte Westfälische von 1648, der das moderne Völkerrecht begründet; und der im historischen Bewusstsein weniger verankerte, aber gerade durch die Art der Präsentation in Halle berührende Friedensvertrag von Kadesch – der älteste überlieferte der Welt, geschlossen 15 Jahre nach der gleichnamigen Schlacht 1274 v. Chr. zwischen dem Pharao Ramses II. und dem Hethiterkönig Hattusili III.

„Guter Friede“, „gute Brüderschaft“ auf ewig werden sich hier versprochen und ein umfassender Schutz für Flüchtlinge vereinbart. Auszüge hängen heute in der Zentrale der Vereinten Nationen in New York. Und das antike Kadesch findet man im heutigen Syrien.

„Krieg. Eine archäologische Spurensuche“. Landesmuseum für Vorgeschichte Halle, bis 22. Mai 2016.

Mal sehen, ob die Menschheit zum Jagen und Sammeln zurückkehren muss, um Frieden zu halten. Oder in den Worten von Albert Einstein, die einen aus all dem Tod im Museum ins Leben draußen entlassen: „Ich bin nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.