CCC-Aktivist über Kontrolle im Netz: „Eine Komponente der Willkür“

Sichere Kommunikation im Internet gibt es entweder für alle oder für niemanden, sagt Linus Neumann vom Chaos Computer Club.

Straßensperre zwischen Pflaster und Asphalt

An welchen Stellen im Netz soll gesperrt werden? Und wo nicht? Foto: Imago/Chromorange

taz: Herr Neumann, das Hackerkollektiv Anonymous hat angekündigt, IS-Accounts in sozialen Medien lahmzulegen. Hilft das was?

Linus Neumann: Ich glaube nicht, dass das für den IS missionskritisch ist, wenn es darum geht, Terroranschläge zu verrichten. Hinzu kommt, dass bei Anonymous immer völlig unklar ist, wer eigentlich dahintersteckt und ob die Operation ausreichend Unterstützer findet.

Sollten denn IS-Inhalte aus dem Netz verschwinden?

Es gibt natürlich Gründe, weshalb man die Verbreitung dieser Videos eindämmen will. Jugendschutz gehört dazu, und es gibt auch ansonsten viele Menschen, die im Netz einfach nicht darüber stolpern wollen. Ebenso ist verständlich, dass propagandistische Nutzung von Hinrichtungen verhindern werden soll.

Aber?

Ich denke nicht, dass das Aufgabe eines anonymen Hackerkollektivs sein sollte, sondern von Strafverfolgungsbehörden und natürlich den Plattformanbietern, die diese Inhalte bereitstellen. Mein Eindruck ist, dass beide auch sehr bemüht sind, dieser Verantwortung nachzukommen. So berichtete der IS-Vertreter Abu Qatadah schon vor Jahren von großen Schwierigkeiten bei der Nutzung von Social Media, weil IS-Accounts binnen Stunden oder Tagen gelöscht werden.

Den Ermittlungsbehörden sind aber auch Grenzen gesetzt . . .

Gerade den großen Anbietern muss man kaum mit dem Arm des Gesetzes kommen – die Nutzungsbedingungen schließen Derartiges ohnehin oft aus. Die haben da schon selbst das Interesse, diese Inhalte nicht zu verbreiten. Bei kleineren, selbst betriebenen Foren ist das schwieriger, aber dort ist auch nicht die Masse der Nutzer.

ist einer der Sprecher des Chaos Computer Clubs, der größten europäischen Hacker-Vereinigung. Er setzt sich auch in Blogs und Podcasts mit netzpolitischen Phänomenen auseinander.

Das heißt aber auch: Ob Inhalte gelöscht werden oder nicht, hängt vom Ermessen der Plattformbetreiber ab?

Ja, das hat entschiedene Nachteile, denken wir an die aktuellen Diskussionen über Hatespeech bei Facebook. Jede Form der Informationskontrolle hat eine Komponente der Willkür. Was Terrorismus angeht, sind die Beurteilungen natürlich etwas eindeutiger. Trotzdem sollte klar sein, dass das Entfernen von Videos oder Aufrufen, wenn überhaupt, nur einen geringen Effekt hat. Die Probleme werden sicher nicht auf Twitter gelöst.

Sondern wo?

Im Netz sehen wir vor allem Symptome, die wir gern mal mit den Ursachen verwechseln. Was politische Ansichten anbelangt, haben wir ja nicht durch das Internet oder durch Facebook mehr Nazis oder mehr Terroristen bekommen. Menschenfeindliche Ansichten gab es auch schon Jahrhunderte und Jahrtausende vor dem Internet.

Nach den Anschlägen von Paris häufen sich wieder die Forderungen nach einem Verbot von Verschlüsselungstools oder Hintertüren für staatliche Stellen. Ist so etwas überhaupt umsetzbar?

Sichere Kommunikation kann es entweder für alle geben oder für niemanden. Wenn wir sie in irgendeiner Form einschränken, dann leiden sofort alle mit – darunter deutsche Unternehmen, aber auch beispielsweise vom Westen anerkannte Regimekritiker, die ihre Kommunikation sicher gestalten wollen. Dazu kommt: Die Zahnpasta der Verschlüsselung bekommen wir nicht wieder zurück in die Tube. Es gibt sichere Verfahren, die zum Einsatz kommen, und deren Verwendung lässt sich auch nicht mehr kontrollieren.

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