Zweite Staffel „The Leftovers“: Sünde, Sekte, Sinnsuche

Am Freitag startet die zweite Staffel der US-Serie „The Leftovers“. Ein düsteres Sittengemälde einer Gesellschaft, die sich von innen selbst zerfleischt.

Ein Sektenmitglied der Guilty Remnants sitzt weißgekleidet auf einem Bett

Ausnahmsweise mal ohne Zigarette: ein Sektenmitglied der Guilty Remnants. Foto: 2015 Home Box Office

Für einen Moment sieht es so aus, als hätten sie das Paradies gefunden. Der ehemalige Polizist und jetzt traumatisierte Choleriker Kevin Garvey (Justin Theroux) sitzt zusammen mit seiner neuen Frau Nora (Carie Coon), seiner Tochter Jill (Margaret Qualley) und dem Baby, das ihm jemand vor die Tür gelegt hat, im SUV und rollt durch die Eisentore von Jarden.

Jarden, die Kleinstadt in Texas, ist der eigentliche Protagonist in der zweiten Staffel der US-Serie „The Leftovers“. Alle nennen sie hier nur „Miracle“, denn sie ist als einziger Ort auf der Erde von der Katastrophe verschont geblieben: Von einer Sekunde auf die andere sind zwei Prozent der Weltbevölkerung verschwunden. Einfach weg. Außer in Miracle.

Die erste Staffel behandelt die Suche und das Klarkommen der Übriggebliebenen. Die zweite, die am Freitag startet, beschreibt das Leben in Miracle. Obwohl das unerklärliche Verschwinden der vielen Menschen selbst den Priester von seinem Glauben hat abfallen lassen, obwohl jede Hoffnung in der Serie in Düsternis erdrückt wird, ist „The Leftovers“ das Religiöseste, was das Unterhaltungsfernsehen seit Langem gezeigt hat.

Christen haben einen Begriff dafür, wenn ein Mensch aus der irdisch-konkreten Erscheinungswelt in eine himmlische Sphäre versetzt wird: Entrückung. Und auch wenn die Zuschauer nicht erfahren, was mit den Verschwundenen passiert ist (und es auch nie erfahren werden, wie Serien-Autor Damon Lindelof bereits angekündigt hat), liegt nahe, dass etwas Überirdisches geschehen sein muss.

Hilflosigkeit mit Sinnsuche übertünchen

In der ersten Staffel versucht jeder und jede, das Verschwinden zu erklären. Wissenschaftler untersuchen die Gründe, eine staatliche Agentur befragt Hinterbliebene, der Pfarrer glaubt, es seien die Sündigen, die verschwunden seien. Und neben denen, die ihre Hilflosigkeit mit Sinnsuche übertünchen, gibt es auch diejenigen, die sich dagegen wenden, einfach weiterzumachen wie bisher: die Guilty Remnants.

Die Mitglieder dieser Sekte kleiden sich in Weiß, schweigen, rauchen, beobachten. Warum sie rauchen, wird nie erklärt. Es ist ihre Art des Gebets, das in der Kirche ja auch nicht infrage gestellt wird. Die Guilty Remnants sehen sich als brutale Antwort auf das brutale Verschwinden. Ihr Glaube ist der absolute Nihilismus. In einer der grausamsten Szenen der gesamten Serie wird ein Sektenmitglied an einen Baum gebunden und gesteinigt – eine drakonische Strafe.

Obwohl das nach mystischem Verschwörungsszenario klingt, ist „Leftovers“ alles andere als das

In der zweiten Staffel nehmen die übernatürlichen Anspielungen zu. Miracle ist zur Berühmtheit geworden: Wer dort leben will, braucht eine Erlaubnis, Häuser werden zu horrenden Preisen versteigert, wer nicht reinkommt, campiert vor den Toren der Stadt. Touristen werden durchgeschleust. Sie kaufen das dortige Quellwasser in kleinen Fläschchen, weil sie es für heilig halten. In Miracle leben Wanderprediger, die Kontakt zu Toten aufnehmen können, Menschen, die behaupten, böse Geister zu vertreiben und verlorene Seelen zu retten.

2. Staffel „The Leftovers“: Freitag, 11. Dezember 2015, 21 Uhr, Sky Atlantic

Und obwohl das nach mystischem Verschwörungsszenario klingt, ist „Leftovers“ alles andere als das. Die Serie ist das düstere Sittengemälde einer Gesellschaft, die so entrückt ist, dass sie sich von innen selbst zerfleischt. Jeder kämpft für sich und wird zum Feind aller anderen. An die Stelle von Solidarität treten Hass, Zorn und Wahnsinn. Nur wenige glauben noch daran, das Gute bewahren zu können.

Einer von ihnen ist Pfarrer Matt (Christopher Eccleston), der in der zweiten Staffel in den Vordergrund rückt. Aufopferungsvoll kümmert er sich um seine Frau, die im Wachkoma liegt. Er zieht nach Miracle in der Hoffnung, dass die heilige Erde dort seine Frau erweckt. Aber nicht nur sie versucht er zu retten: Er opfert sich für die Menschen, die vor den Toren von Miracle campieren. So, wie Jesus es für seine Jünger getan hat. In einer Szene, die einer Kreuzigung sehr nahekommt. Aber auch dieses Opfer wird bestraft. Denn anders als in der Bibel ist in der Dystopie der „Leftovers“ das Paradies nicht vorgesehen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.