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: Ein Leben in vielen Auslassungen

„Saint ­Laurent“ (F 2014, Regie: Bertrand Bonello)

Moujik ist tot. Der Hund hat zu viele von den herumkullernden Drogen beziehungsweise Tabletten erwischt: Er wankt, japst, fällt. Yves Saint Laurent (Gaspard Ulliel) überlebt, die Tabletten, die Drogen, die Schnittwunden am Körper. (Dass man ihn später bei lebendigem Leibe für tot erklärt, ist trotzdem kein Wunder.) Um Moujik trauert er sehr, es wird ein regelrechter Ähnlichkeitswettbewerb ausgerufen, der Anfang einer Dynastie: Moujik Nummer vier sehen wir später. „Saint Laurent“ ist auch ein Film über einen Modemacher und seine Liebe zum Hund.

Das Schöne ist, dass der Film auch dafür Zeit hat. Wie für so vieles. Für die Zeichnungen und Schnittmuster, die Models, gerne in Split Screens, für Pierre Bergé (Jérémie Renier), den Gefährten und Zusammenhalter von Leben und Werk, für ­Jacques de Bascher (Louis Garrel), den Liebhaber. Warhol ruft an, Saint Laurent sammelt Kunst und träumt von einem Rothko, er entwirft, er ist berühmt, die Welt liegt ihm zu Füßen, während die Welt ihm entgleitet.

Bertrand Bonellos Film meidet geschmeidig alle Fallen, die das Biopic bietet. Es sind sehr viele Fallen, und es ist umso großartiger, wie souverän sich „Saint Laurent“ – gerade nicht zu verwechseln mit dem 2013 entstandenen „Yves Saint Laurent“ – auf dem Gelände der Lebenserzählung bewegt. Es beginnt mit der Anmutung von Chronologie. Fett und rot stehen die Jahreszahlen 1968, 1969; es sind Stempel, die aber dem inneren Zusammenhalt der Figur und ihres Schicksals in gewisser Weise äußerlich bleiben. Dreist, aber gar nicht frivol, wie 68 ins Bild kommt: schwarz-weißes Protest-Dokumentarmaterial links, während rechts die ­Models in Saint-Laurent-Mode eine Treppe herabsteigen, eine nach der anderen. Da ist ein Zusammenhang, aber nichts daran ist kausal, der Zeitgeist ist eine Montage im Split Screen, eine Verbindung und eine Trennung im selben Bild.

Man könnte sagen, dass der Film, trotz der Jahre, trotz der wiedererkennbaren ikonischen Figur in seinem Zentrum, in einen Bilderbogen zerfällt. Nur ist es ein riesiges Kompliment, ein Sieg über Thesen, Biografismen, Behauptungen von Kausalität. Hier wird ein Leben in vielen Auslassungen präsentiert. Aber auch mit Zeit, Liebe, Geduld für das, was man sieht: die Partys (oder Orgien), aber auch die Verhandlung über die Geschäfte, die Begehung der Wohnung, die Saint Laurent für seine Begegnungen mit Jacques de Bascher mit Spiegeln an allen Wänden aufrüsten will. Die Kamera gleitet durch die Räume und über die Figuren, wie eine Hand über edlen Stoff gleitet, sie fast nicht berührend, bewundernd, genießend, eine Eleganz in den Objekten und den Personen wie in der Bewegung, die sie liebkost.

Zunächst ist die Nähe zum Tod fast noch etwas komisch, siehe Moujik. Nach der Mitte jedoch tritt der Tod selbst in den Film, der sich mit korrekten zeitlichen Abfolgen nicht länger aufhält. Plötzlich rot, fett der Stempel 1989 im Bild. Saint Laurent ist nun Helmut Berger, alle Zeichen des Verfalls und alle Manierismen, die sich an diesen Schauspielerkörper im Lauf der langen Jahre angelagert haben, sind mehr als präsent. Und sie sind bewegend, passend, die Besetzung, die ein Risiko war, erweist sich als Coup.

Von nun an geht es vor und zurück: der junge, schöne, lebensgierige Gaspar-Ulliel-Saint-Laurent neben dem geschminkten, müden Helmut Berger. ­Jacques de Bascher stirbt an Aids, kaum einer begleitet seinen Sarg. Weil alle Bögen des Biopic gekappt, die Dramaturgien des gelungenen Lebens von Anfang an ausgehebelt sind, gibt die Form keinen falschen Trost. Die Zeit war sehr groß. Sie ist nun vorbei.

Ekkehard Knörer

Die DVD ist ab 13 Euro im Handel erhältlich.